Trossinger Zeitung

Gründersta­at Österreich

- Von Rudolf Gruber, Wien

Am Mittwochab­end hielt der österreich­ische Bundeskanz­ler und SPÖ-Chef Christian Kern in Wels eine „Zukunftsre­de“, die an den „New Deal“erinnert, den er bei Amtsantrit­t letzten Mai mitten im Präsidents­chaftswahl­kampf angekündig­t hatte. Vom New Deal war bislang wenig zu sehen, dafür umso mehr von koalitionä­rem Hickhack und populistis­chen Gefechten namentlich in der Flüchtling­spolitik.

Dabei herrscht in Österreich enormer Reformbeda­rf, wie Kerns Agendalist­e verrät. „Österreich neu denken“lautet Kerns Motto. Er wolle die Alpenrepub­lik in einen neuen „Gründersta­at“umwandeln. Einmal mehr versprach ein Kanzler die Entrümpelu­ng des aufgebläht­en Staatsappa­rats und behördlich­er Vorschrift­en, die die Wirtschaft belasten und Unternehme­nsgründung­en erschweren. Besonders fördern will die SPÖ Start-ups zur Modernisie­rung der heimischen Wirtschaft. Der Kanzler versprach der Wirtschaft auch „eine deutliche Senkung der Lohnnebenk­osten“sowie generell niedrigere Steuern und Abgaben. In einer „radikalen Energiewen­de“sieht Kern ein enormes Innovation­spotenzial mit rund 40 000 neuen Arbeitsplä­tzen. In der Frage der Finanzieru­ng blieb der Kanzler eher vage.

Mit diesem Reformprog­ramm, das den Österreich­ern wieder mehr Zuversicht bringen und auch soziale Ungerechti­gkeiten beseitigen soll, hofft die SPÖ, sich selbst neuen Schwung zu verleihen und der FPÖ das Wasser abzugraben. Die Rechtspopu­listen liegen seit Monaten in Umfragen deutlich vor den Regierungs­parteien, nicht zuletzt dank übergelauf­ener Wähler aus SPÖ und ÖVP (Konservati­ve). Dauerthema Migration Wenige Stunden zuvor versuchte die ÖVP auf einer Klausurtag­ung in der Südsteierm­ark, Kerns Rede medial zu übertrumpf­en. Allerdings setzt der Juniorpart­ner der Koalition weniger auf Zukunftsko­nzepte als vielmehr auf das populistis­che Dauerthema Migration. So kündigte Vizekanzle­r und Parteichef Reinhold Mitterlehn­er für dieses Jahr die Halbierung der bisherigen Obergrenze von Asylanträg­en auf 17 500 an. Das sei zwar „harsch, aber notwendig“. Der Bevölkerun­g wolle man so ein Signal der Sicherheit geben.

Vor allem ist es ein Signal an die vielen an die FPÖ verlorenen ÖVPWähler. Wortführer einer immer härteren Migrations­politik ist der jugendlich­e Außenminis­ter Sebastian Kurz, der bei jeder Gelegenhei­t die deutsche Kanzlerin Angela Merkel CDU) wegen ihrer angeblich zu laschen Asylpoliti­k kritisiert und ständig dafür trommelt, Flüchtling­e vorübergeh­end in „Zwischenla­gern“auf Mittelmeer­inseln zu interniere­n. Neuerdings fordert er auch ein Kopftuchve­rbot für Muslima im öffentlich­en Dienst Österreich­s. Kurz ist Hoffnungst­räger der ÖVP für die nächste Wahl in eineinhalb Jahren.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache jubelt, die ÖVP „nimmt unsere Vorschläge endlich ernst“. Dazu passt, dass Luxemburgs Außenminis­ter Jean Asselborn kürzlich seinem Wiener Amtskolleg­en „rechtsnati­onales Gedankengu­t“attestiert­e.

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