„Man zeigt quasi nur ein Kuchenstück“
Bettina Hering, die neue Schauspielchefin der Salzburger Festspiele, spricht über ihre Pläne fürs Sprechtheater
MÜNCHEN - Die Salzburger Festspiele starten im Sommer 2018 nicht nur in eine neue Saison. Auch das Leitungsteam ist neu. Den frischen Wind spürt man beim Sprechtheater. Bettina Hering ist die neue Schauspielchefin. Im Geiste von Gründervater Max Reinhardt soll dem Theater wieder die ihm gebührende Aufmerksamkeit bei den Festspielen zuteil werden. Es gibt vier große Premieren und ein neues Begleitprogramm, die „Schauspiel-Recherchen“. Bettina Hering erläutert im Gespräch mit Barbara Miller ihren ersten Spielplan. Was unterscheidet Festspiele vom „normalen“Theaterbetrieb? Sehr viel. Es ist eine grundlegend andere Arbeit als im Tagesgeschäft an einem Repertoirehaus, wo man täglich bei Proben zusammenarbeitet. Bei den Festspielen konzentriert sich das auf den Sommer. Selbstverständlich gibt es in der Zeit dazwischen viele Gespräche. Aber es ist anfangs ein bisschen „dislozierter“. Und dann kommt alles zusammen. Das ist dann wie eine Essenz. Gibt es inhaltliche Unterschiede? Wenn man eine ganze Spielzeit konzipiert, dann hat man ein relativ großes Spielfeld vor sich. Bei einem Festspiel zeigt man quasi nur ein Kuchenstück, nicht den ganzen Kuchen. Hier kommt es auf die Auswahl an. Die muss umso genauer sein. Damit man einen kleinen, aber stringenten Spielplan erstellt, der dicht verwoben sein soll mit der Oper. Wir machen jetzt nicht einfach einen Spiegel „Wozzeck“auf der Opernbühne, „Woyzeck“im Sprechtheater. Was ist Ihre „Salzburger Dramaturgie“? Dieses sehr enge thematische Mitdenken mit der Oper: Thema der Festspiele 2017 ist „Macht und Strategien der Macht“. Im Schauspiel fragen wir zum Beispiel: „Wer steht auf der Verliererseite?“Auf unserem Spielplan stehen unter anderem „Lulu“, „Kasimir und Karoline“und „Rose Bernd“. Wichtig ist mir auch die neue Reihe „Schauspiel-Recherchen“im Stefan-Zweig-Zentrum in Salzburg. Da will ich verschiedene Künstler, aber auch Wissenschaftler zusammenbringen. So spricht zum Beispiel der Soziologe Oliver Nachtwey über die Abstiegsgesellschaft. Aufhänger ist Horváths Stück. Wir wollen auch verschiedene Künstler zusammenbringen und denken spartenübergreifend. Im Mittelpunkt des Schauspielprogramms stehen Frauen – in den Stücken (Rose Bernd, Kasimier und Karoline, Lulu) und an den Regiepulten (Andrea Breth, Karin Henkel, Athina Rachel Tsangari). Ich finde es richtig und gut, dass Frauen mehr repräsentiert werden. Das ist vielleicht im Schauspiel auch unterrepräsentiert gewesen. Was die Titelheldinnen angeht: Da gibt es einen inneren Zusammenhang. Weder die „Lulu“noch „Rose Bernd“waren jemals bei den Festspielen zu sehen. Ich fand es spannend, wie unterschiedlich zwei Autoren fast zur selben Zeit Frauenfiguren zeichnen. Bestenfalls ergibt sich auch eine Verbindung zu Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“, die im Opernprogramm zu sehen ist. Außerdem gibt es noch eine Lesung von Edith Clever aus „Fräulein Else“. Mit Hauptmann, Wedekind und Schnitzler hat man ein schönes Porträt dieser Zeit. Wie passt Pinters „Die Geburtstagsfeier“dazu? Pinter hat ja fast schon absurde Werke geschrieben. Er war sehr sozialkritisch. Insofern passt er sehr gut zu Hauptmann und Horváth. Die Regisseurin Andrea Breth hat erst jüngst sein Stück „Der Hausmeister“inszeniert. Er ist ihr sehr nahegerückt, wie sie sagt – in seiner abgründigen Komik. Sie interessieren Figuren, die auf dünnem Eis gehen. In München erleben wir gerade eine Art Kulturkampf zwischen den traditionellen und neuen Theaterformen. Hat das „klassische Theater“noch eine Zukunft? Ich finde, auf jeden Fall. Im Moment haben wir einen Pluralismus. Ich fände es vollkommen verkehrt, wenn sich das jetzt so scheiden sollte. Qualität findet man in unterschiedlichen Ausformungen. Ich bin bei meiner Arbeit mit sehr verschiedenen Arten, Theater zu machen, konfrontiert worden. Ich habe am Schauspiel Frankfurt gearbeitet, als dort einerseits Einar Schleef und andererseits Hans-Jürgen Syberberg tätig waren. Hausregisseur war Michael Gruner. Größere Gegensätze der Inszenierungsstile sind kaum vorstellbar. Es war eine Herausforderung und eine Zerreißprobe für das Ensemble. Theater muss in Bewegung bleiben. Bei Festspielen will sich das Publikum feiern – sucht Prominenz, Stars und vielleicht nicht Performance und Textfläche. Ich kann mir alles vorstellen. Es kommt darauf an, was es für eine Textfläche ist, wer die Textfläche mit wem aufbereitet. Und den Begriff „Stars“mag ich nicht. Künstler, die man so bezeichnet, sind ja nicht ohne Grund da, wo sie sind. Zum Beispiel Anna Drexler. Das ist einfach eine fantastische junge Schauspielerin. Das sind Darsteller, die mich auch interessieren, weil sie auf spezifische Weise etwas sagen, etwas transportieren können. Es geht auch bei Festspielen nicht um ein Abhaken von Namen. Vielmehr kann man hier gezielt unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler zusammenführen. Zum Beispiel bei unserer „Lulu“-Inszenierung. Viele der dort auftretenden Schauspielerinnen und Schauspieler kennen sich nicht. Fritzi Haberlandt, die die Gräfin Geschwitz spielt, und Christian Friedel, der den Alwa Schöning darstellt, haben sich neulich zufällig im Zug getroffen – und freuen sich, zusammen aufzutreten. Diese Art von Neugier aufeinander, das ist ein Zustand, den ich herbeiführen möchte. Was passiert da, wenn solche kreativen Kräfte zum ersten Mal aufeinandertreffen? Dass Momente stattfinden, die so nirgendwo anders stattfinden könnten, das sind für mich Festspiele. Kartenbüro der Salzburger Festspiele, PF 140, 5010 Salzburg, info@salzburgfestival.at www.salzburgfestival.at