Beamtenvertreter warnen vor Kollaps
Öffentlichem Dienst fehlt der Nachwuchs – Land gibt Kommunen indes mehr Freiräume
STUTTGART - Die Rathäuser in Baden-Württemberg können ihre Führungskräfte bald besser entlohnen – ein entsprechendes Gesetz wird in der kommenden oder darauffolgenden Woche im Kabinett auf Drängen der Grünen verabschiedet werden. Das sagte die finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Thekla Walker am Donnerstag der „Schwäbischen Zeitung“. Beamtenbund, Hochschullehrerverband sowie der Verein der Richter und Staatsanwälte haben unterdessen die Landesregierung davor gewarnt, den öffentlichen Dienst weiter zu schädigen.
Zuerst die gute Nachricht: Wie im grün-schwarzen Koalitionsvertrag verankert, schafft die Landesregierung die sogenannte Stellenobergrenzenverordnung ab. „Die Kommunen sollen mehr Spielraum bekommen“, erklärt Walker. Einen entsprechenden Brief mit der Forderung habe ihre Fraktion vor Weihnachten an die grüne Finanzministerin Edith Sitzmann verschickt. Nun kommt die Gesetzesänderung ins Kabinett. „Dann können die Kommunen beim Personal freier wirtschaften“, so Walker.
Konkret bedeutet die Gesetzesänderung mehr Entscheidungsfreiheit für die Rathäuser, wie Steffen Jäger vom baden-württembergischen Gemeindetag erläutert. „Das Thema ist in unseren zuständigen Gremien seit einigen Jahren virulent.“Denn bisher gibt es maximale Besoldungsgrenzen für Führungspersonal in den Rathäusern. Durch komplexer werdende Aufgaben, etwa durch Ausgründung von Eigenbetrieben, könnten Amtsleiter aber nicht mehr adäquat bezahlt werden. Dass die Grenze nun falle, helfe den Rathäusern beim Buhlen um die besten Köpfe, so Jäger. „Man muss nicht die Sorge haben, dass es zu einer blinden Beförderungswelle kommt“, glaubt er. Denn ob eine Stelle besser besoldet wird, muss zunächst extern geprüft und dann vom Gemeinderat bewilligt werden.
Mehr Lohn für Topmitarbeiter Rainer Haußmann, der parteilose Bürgermeister von Dettingen unter Teck (Landkreis Esslingen), nennt die Änderung „eine große Chance in Zeiten des Fachkräftemangels aller Orten.“Im Großraum Stuttgart mit seinen Lebenserhaltungskosten müsse die Stelle eines Kämmerers für Kommunen mit 5000 bis 10 000 Einwohnern mehrfach ausgeschrieben werden, weil die Attraktivität fehle – auch finanziell. „Wenn man Zukunftsaufgaben bewältigen will, braucht eine Kommune herausragende Führungspersonen.“In Landratsämtern mit weniger Verantwortung gebe es eine deutlich höhere Besoldung. Ohne die Obergrenze hätten die Kommunen den Freiraum, ihre Topmitarbeiter angemessen bezahlen zu können.
Erfreut äußert sich auch Beamtenbundchef Volker Stich. „Die Abschaffung war eine jahrzehntelange Forderung des Beamtenbunds“, sagt er. „Das begrüßen wir sehr. Das Besoldungsgefüge muss sich ändern.“
Und nun die schlechten Nachrichten: Gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Hochschullehrerverbands Rainer Gadow und mit Matthias Grewe, Landesvorsitzender des Vereins der Richter und Staatsanwälte, hat Stich am Donnerstag Alarm geschlagen. Die drei Spitzenverbände des öffentlichen Diensts haben ein „Bündnis pro Staat“gegründet, um gemeinsam die Landesregierung vor weiteren Einschnitten im öffentlichen Dienst zu warnen. Der Nachwuchs werde knapp. Während die Wirtschaft mit lukrativen Angeboten locke, verprelle das Land Berufseinsteiger mit immer schlechteren Rahmenbedingungen.
Grundsicherung unterschritten Zudem sei es ein Unding, dass der Verdienst von Beamten in den unteren Besoldungsgruppen A5 – vor allem Justizwachtmeister – und A6 nach Berechnungen im Auftrag des Beamtenbundes in der Landeshauptstadt Stuttgart im Jahr 2016 die Grundsicherung unterschritten habe. Daher warnte das Bündnis auch mit Blick auf die Tarifrunde für Angestellte im öffentlichen Dienst davor, die Tarifabschlüsse nicht auf die Beamten zu übertragen. „Wenn der Sparkurs zu Lasten des öffentlichen Diensts so fortgesetzt wird, wird es ihm nicht mehr möglich sein, seine Aufgaben zu erfüllen“, sagte Stich.
Die Auswirkungen der Sparpolitik mache sich bereits bemerkbar, erklärte Matthias Grewe, Leiter des Ravensburger Amtsgerichts. „Immer wenn eine Vakanz entsteht, entsteht eine Verringerung der Rechtsstaatlichkeit.“Vakanzen von einem bis eineinhalb Monaten bei Personalwechseln seien normal. Fehlt also ein Richter einen Monat lang, würden rund 50 Fälle auf die lange Bank geschoben. Im württembergischen Teil des Landes habe es 2016 mindestens 40 Stellen von Richtern und Staatsanwälten gegeben, die mehrere Monate unbesetzt blieben.