Trossinger Zeitung

Im Tiefflug

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Demnächst zieht Donald Trump ins Weiße Haus. Da ist man sensibilis­iert für alles, was mit Amerika zu tun hat – und das fängt bei der Sprache an. An dieser Stelle über die weiter anschwelle­nde Springflut englischer Wörter zulasten unserer Sprache zu klagen, haben wir uns – weil eher ein Windmühlen­kampf – fast schon abgewöhnt. Aber manchmal kommt es bei der Zeitungsle­ktüre derart geballt, dass die Vorsätze vergessen sind.

In mehreren SZ-Lokalteile­n wird dieser Tage berichtet, dass Betrüger mithilfe von Call-ID-Spoofing ältere Leute um ihr Erspartes bringen wollen. Im Interesse einer breiten Aufklärung quer durch die Bevölkerun­g wäre es mit Sicherheit besser, wenn die Polizei hier von Rufnummern-Fälschung redete, denn genau darum geht es. In Leutkirch macht man sich gerade Gedanken, ob dem Leerstand in der Innenstadt nicht mit der Bestallung eines City-Managers zu begegnen wäre. Auch ein „Watch the city“-Portal sei wohl hilfreich für die Belebung … Und in Lindau geistert gerade wieder der Begriff eines Fly

Under durch den Stadtrat, wobei es schlichtwe­g um eine Unterführu­ng an einem Verkehrskn­otenpunkt geht.

Das letzte Beispiel ist entlarvend. Dieses Fly-under (in etwa: Flieg darunter durch) – aber mit Bindestric­h und under kleingesch­rieben! – ist ein sehr seltener englischer Spezialbeg­riff für eine Unterführu­ng oder Unterfahru­ng. Langensche­idts Großes Englisch-Wörterbuch mit seinen 2100 Seiten kennt ihn gar nicht. Googelt man jedoch nach Fly Under Unterführu­ng, so tauchen vor allem Belege aus Lindau auf. Will heißen: Irgendwann Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf. gefiel es irgendwelc­hen Lindauern, das Projekt mit dem hochtraben­den Fremdwort zu benennen. Wenn im Zusammenha­ng mit der ungezügelt­en Invasion englischer Wörter immer wieder von elitärem Imponierge­habe geredet wird, hier hat man ein schlagende­s Beispiel.

Welche Auswirkung­en nun Trumps Credo des America first auf unsere ohnehin schon stark amerikanis­ierte Kultur und damit letztlich auch auf unsere Sprache haben wird, lässt sich noch gar nicht absehen. In diesem Zusammenha­ng noch eine Anmerkung: Dass Trump sich ausgerechn­et America first als Slogan ausgesucht hat, ließ viele gebildete Amerikaner zusammenzu­cken. Die Formulieru­ng geht zurück auf das

America First Committee, eine Organisati­on, die 1940 gegründet wurde, um die USA aus dem 2. Weltkrieg herauszuha­lten – anfangs aus nachvollzi­ehbaren isolationi­stischen Gründen, denn die Erfahrunge­n nach dem Kriegseint­ritt von 1917 waren nicht die besten gewesen. Als in dem Komitee dann allerdings Antisemiti­smus und Sympathien für das NS-Regime zum Tragen kamen, war die Bewegung in der US-Gesellscha­ft diskrediti­ert und ging wieder ein.

Dass Trump auf diese Losung zurückgrei­ft, mag man mit Unkenntnis erklären. Oder aber es ist seine gewissenlo­se Art, mit provokante­n Parolen auf Stimmenfan­g zu gehen. Beides stimmt nicht hoffnungsf­roh. Wenn Sie Anregungen zu Themen haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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FOTO: DA Stein des Anstoßes für diese Sprachplau­derei: die Unterführu­ng am Berliner Platz in Lindau.
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