Trossinger Zeitung

Ein sehr schwerer Gang zum Gericht

Und die Öffentlich­keit soll draußen bleiben –Verfahren wird wieder ausgesetzt

- Von Cornelia Spitz

VILLINGEN-SCHWENNING­EN - Ist der angeklagte ehemaige Unternehme­r verhandlun­gsfähig? Diese Frage stand am Mittwoch im Mittelpunk­t des ersten und vorerst letzten Verhandlun­gstages im Prozess wegen des Vorwurfs der Untreue gegen den ehemaligen Hess-Chef. Das Verfahren wurde nun ausgesetzt.

Der Angeklagte nahm nicht den Haupteinga­ng des Amtsgerich­ts Villingen. Er kam im Auto seines Verteidige­rs, dieser parkte im Innenhof, und so versuchte er, unerkannt in den Gerichtssa­al zu gelangen. Auch das Treppenhau­s betrat der ehemalige Firmenboss, dem unter anderem Untreue vorgeworfe­n wird, nicht. Er ließ sich Zeit bis nach 15 Uhr, als die Verhandlun­g schon hätte beginnen sollen. Und er kam über einen kleinen Aufzug, der direkt neben dem Gerichtssa­al liegt, und versuchte weitgehend unerkannt von der Presse und den Fernsehkam­eras, im Schatten seines Münchner Rechtsanwa­lts und seines Betreuers in Saal 1 des Gerichts zu huschen. Im Saal, so die richterlic­he Anordnung schon im Vorfeld, sei das Fotografie­ren ab sofort streng verboten.

Als er aus dem Auto im Innenhof stieg, lachte der Ex-Unternehme­r noch. Trotzdem war er augenschei­nlich ein Schatten seines früheren Selbst: aufgedunse­n, stabiler als früher, gezeichnet. Als die Richterin seine Personalie­n verlas, musste sie wiederhole­n. Er hatte nicht aufgepasst. Dann ein kurzer Abgleich: Geburtsdat­um, verheirate­t, deutscher Staatsange­höriger ...? Der Angeklagte nickte alles ab. Nur eines stellten er und sein Verteidige­r offenbar in Frage: Ist der Mann verhandlun­gsfähig oder nicht?

Eigentlich war seine, zumindest eingeschrä­nkte Verhandlun­gsfähigkei­t sogar schon im Vorfeld gutachterl­ich attestiert worden. Aber trotzdem wurde nun offenbar alles versucht, die Verhandlun­gsfähigkei­t des Mannes zu bezweifeln, der einst Villingens Vorzeigeun­ternehmen Hess betrieb und im Oktober 2012 sogar zur Börsenreif­e führte. Doch wie „reif“die mittelstän­dische Firma für die Börse tatsächlic­h war, daran gibt es seit vier Jahren große Zweifel: Dem früheren Chef wird vorgeworfe­n, gemeinsam mit seinem Geschäftsf­ührungskol­legen die Bilanzen geschönt zu haben, auf deren Basis der Börsenpros­pekt geschriebe­n worden ist.

Und er soll, den Verdacht haben die Ermittlung­en ergeben, auch Untreue begangen und Privates über die Firma abgerechne­t haben. Es geht wohl um Arbeiten am eigenen Haus, eine Küche, ein Sicherheit­skonzept fürs private Anwesen und sogar Fleischwar­en vom Metzger im Februar 2012 in Höhe von 1200 Euro.

Die mutmaßlich­en Leidtragen­den: Das Finanzamt – weil private Kosten eigentlich nicht abzugsfähi­g wären – und die Aktiengese­llschaft Hess. Doch dazu, dass all das vor dem Villinger Gericht erörtert wurde, kam es erst gar nicht. Der Ex-Unternehme­r sei nur verhandlun­gsfähig, wenn die Öffentlich­keit vollständi­g ausgeschlo­ssen werde, hieß es. Das aber sieht das Gesetz nicht vor, und so wurde der Prozess wieder ausgesetzt und nun soll erst einmal ein neues Gutachten klären, wann der Mann voraussich­tlich wieder vollständi­g verhandlun­gsfähig ist. Wäre er das ohne Ausschluss der Öffentlich­keit auch künftig nicht, müsste im äußersten Fall, so Richterin Anja Mannhardt, das Verfahren wegen Untreue sogar eingestell­t werden. Wird der Justiz ein Schippchen geschlagen? Schlägt der Angeklagte der Justiz damit „ein Schnippche­n“, wie es ein Beobachter des Prozesstag­es vermutete? Oder war der Druck durch das Gerichtsve­rfahren vor der eigenen Haustür zu groß? Klar ist: Der Firmenchef war nicht irgendein Geschäftsf­ührer eines x-beliebigen Unternehme­ns. Er führte das Villinger Vorzeige-Unternehme­n und tat dies als Enkel des Firmengrün­ders und Nachfolger des ehemaligen Aufsichtsr­atsvorsitz­enden – er ist der Spross einer Familie, der sich als Gönner und Mäzen vieler Villinger Vereine, allen voran der Historisch­en Narrozunft Villingen, der Katzenmusi­k und des Sinfonieor­chesters, um die Kultur der Zähringers­tadt verdient gemacht hatte. Das makellose Bild des Vorzeige-Villingers hat mit dem Eklat 2013 ganz unerwartet tiefe Risse bekommen.

Gebeugt, gebrochen, fast gar als Schatten seiner selbst, stahl er sich nun an den Pressevert­retern und Fernsehkam­eras vorbei auf die Anklageban­k im Villinger Amtsgerich­t. Ob er auf dieser so schnell wieder Platz nehmen wird, ist fraglich und auch, wie sich diese Umstände auf das von vielen mit Spannung erwartete Hauptverfa­hren im Bilanzskan­dal noch auswirken könnten.

 ?? FOTO: SPITZ ?? Nur wenn der Prozess ohne Öffentlich­keit durchgezog­en wird, soll der Angeklagte laut Gutachten verhandlun­gsfähig sein. Knackpunkt: Rechtlich sei ein kompletter Ausschluss der öffentlich­keit aber nicht möglich, so der Staatsanwa­lt.
FOTO: SPITZ Nur wenn der Prozess ohne Öffentlich­keit durchgezog­en wird, soll der Angeklagte laut Gutachten verhandlun­gsfähig sein. Knackpunkt: Rechtlich sei ein kompletter Ausschluss der öffentlich­keit aber nicht möglich, so der Staatsanwa­lt.

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