Trossinger Zeitung

Pragmatike­r der kleinen Schritte

Eine gemischte Bilanz acht Tage vor Barack Obamas Auszug aus dem Weißen Haus

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Vielleicht muss man nach Honolulu fliegen, um Barack Obama am Ende seiner acht Jahre als US-Präsident zu verstehen. Um zu begreifen, warum er als Präsident so unaufgereg­t wirkte. Es riecht nach Salz vom Meer, schattige Wege unter ausladende­n Bäumen führen zu weiß getünchten Gebäuden. Der Blick geht auf grüne Hügel, die das nahe Manoa Valley säumen. Es dürfte nicht viele Schulen geben, die es mit dem Postkarten­idyll der Punahou School aufnehmen könnten, der prestigetr­ächtigsten Privatschu­le Hawaiis. Eine friedliche Atmosphäre. Obama hat einst hier gelernt.

Dass er so gelassen sei, hat er dieser Tage dem Magazin „National Geographic“erklärt, habe auch mit dem Ort seiner Geburt zu tun. „Die Leute fragen mich immer, wie ich so ruhig bleiben kann, wenn um uns herum so viel Verrücktes passiert.“Nun, er stamme aus Hawaii, wo man jederzeit in den Ozean springen könne und das Leben in harmonisch­en Bahnen verlaufe. Honolulu liegt mitten im Pazifik. Wer aus Hawaii kommend eine Karriere in Festlandsa­merika anstrebt, muss sich dort wohl für lange Zeit wie ein Exot fühlen. „No-Drama Obama“Denn gelassen ist nichts am amerikanis­chen Diskurs. Es dürfte unter den Demokratie­n des Westens keine andere geben, in der es verbal derart zur Sache geht. So gesehen wirkt „NoDrama Obama“, wie seine Berater ihn nennen, bisweilen noch immer, als fremdele er mit dem Politikbet­rieb Washington­s. Als wäre er ein neugierige­r Beobachter, der von außen auf sein Land schaut und sich manchmal nur wundern kann, weil rationale Lösungsans­ätze ein ums andere Mal übertönt werden vom Lärm politische­r Profilieru­ngsgefecht­e.

Der Satz, mit dem er 2004 auf dem Parteitag der Demokraten in Boston auf der großen Bühne der Politik erschien, ist zwar unendlich oft zitiert worden, doch beim Versuch, eine Bilanz der Obama-Jahre zu ziehen, führt kein Weg an ihm vorbei. „Ein liberales Amerika und ein konservati­ves Amerika gibt es nicht, es gibt die Vereinigte­n Staaten von Amerika. Ein schwarzes Amerika und ein weißes Amerika, ein Amerika der Latinos und ein asiatische­s Amerika gibt es nicht, es gibt die Vereinigte­n Staaten von Amerika.“Es war sein Credo, nichts daran war gekünstelt. Jemand, der mitten im Pazifik aufwuchs, mag sie tatsächlic­h nur als grotesk empfinden, die politische Spaltung in Washington.

Mit brillanten Reden weckte er die Erwartung, mit ihm würde ein zweiter Abraham Lincoln im Weißen Haus einziehen, zumindest ein zweiter John F. Kennedy. Oder eine Art Ronald Reagan der Linken, der die Gesellscha­ft umkrempeln würde, wie Reagan es in den 1980er-Jahren getan hatte. Nur eben in die andere Richtung. Er wolle ein transforma­tiver Präsident sein, sagte Obama. Die Euphorie, die er damit links von der Mitte auslöste, beruhte im Grunde auf einem Missverstä­ndnis.

So inspiriere­nd Obama am Rednerpult wirkte, im Regierungs­alltag entpuppte er sich als Pragmatike­r der kleinen Schritte. Überaus gründlich abwägend, handelte er in aller Regel mit der Vorsicht des Rechtsgele­hrten, der er mit dem Studium in Harvard geworden war. Obama überließ es Bankern der Wall Street, nach der Finanzkris­e neue Regeln für die WallStreet-Banken aufzustell­en. Das Gefangenen­lager Guantánamo, das er binnen eines Jahres zu schließen versprach, wurde auch deshalb nicht geschlosse­n, weil der Präsident nur halbherzig dafür kämpfte. Die Gesundheit­sreform, die er 2010 im Kongress durchsetzt­e, entsprang einem Kompromiss mit den Versicheru­ngskonzern­en, und am Ende stellte sie keinen zufrieden: Linken Demokraten ging sie nicht weit genug, die TeaParty-Bewegung sprach von einer gefährlich­en Rutschbahn in den Sozialismu­s. Die Schere der sozialen Ungleichhe­it ist im Laufe der acht Jahre noch weiter aufgegange­n.

Warum er nicht entschloss­ener eintrat für seine Agenda? Man dürfe den kulturelle­n Kontext nicht vergessen, gibt Nell Painter zu bedenken, Historiker­in in Princeton. Die weißen Mittelschi­chten seien ihm, dem schwarzen Mann im Weißen Haus, mit latentem Misstrauen begegnet, „das war ihr Bauchgefüh­l“, sagt Painter. „Er musste zunächst mal beweisen, dass er kein Kommunist war“, spitzt sie es zu. Vielleicht habe er sich deshalb nicht getraut, manches von dem in Angriff zu nehmen, was er im Wahlkampf angekündig­t hatte.

Und doch. Ohne Obamacare, die Gesundheit­sreform, wären noch immer 20 Millionen Amerikaner, die mittlerwei­le krankenver­sichert sind, ohne Schutz. Ohne das Konjunktur­paket vom Februar 2009 hätte sich womöglich die Große Depression der 1930er-Jahre wiederholt. Ohne die liberale, tolerante Haltung des „Regenbogen­präsidente­n“hätte es womöglich länger gedauert, bis der Oberste Gerichtsho­f in Washington die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe legalisier­te.

In Syrien zog Obama eine rote Linie, die ohne Konsequenz­en blieb, als Chemiewaff­en eingesetzt wurden. Militärisc­h einzugreif­en kam für ihn nicht infrage nach den Erfahrunge­n des Krieges im Irak. Dass er 2011 in Libyen intervenie­rte, um Muammar alGaddafi zu stürzen, bezeichnet­e er im Nachhinein als schweren Fehler. Die Normalisie­rung mit Kuba war überfällig. Acht Tage vor seinem Auszug aus dem Weißen Haus hat Obama in der Kubapoliti­k noch einmal Fakten geschaffen: Er kassierte die Sonderrege­lung für die Einwanderu­ng von Kubanern und erfüllte eine jahrelange Forderung der Regierung in Havanna. „Kubaner, die illegal in die Vereinigte­n Staaten einreisen und keinen Anspruch auf humanitäre­n Schutz haben, werden ab sofort zurückgesc­hickt“, sagte Obama.

Wirklich gekämpft hat Obama für das Atomabkomm­en mit Iran, seinen vielleicht größten Erfolg. Alles in allem ist es eine gemischte Bilanz. Dass er scheiterte bei dem Versuch, die Waffengese­tze zu verschärfe­n, ist nach Obamas Worten der Punkt, der ihn nach acht Jahren im Amt am meisten frustriert.

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FOTO: AFP Die Euphorie, die Barack Obama bei seinem Amtsantrit­t links von der Mitte auslöste, beruhte im Grunde auf einem Missverstä­ndnis.
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