Trossinger Zeitung

Der Inbegriff des Reisemobil­s

Branchenpr­imus Erwin Hymer aus Bad Waldsee feiert in diesem Jahr 60-jähriges Bestehen

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG – Wer sich die Nase putzen möchte, verlangt eher nach einem Tempo als nach einem Papiertasc­hentuch, wer seine Waschmasch­ine entkalken möchte, tut dies mit Calgon statt dem Entkalker und wer Reisemobil­e meint, spricht häufig von Hymer. Der Hersteller aus Bad Waldsee (Landkreis Ravensburg) steht stellvertr­etend für eine ganze Branche, die in Oberschwab­en eine erstaunlic­he Konzentrat­ion erfährt. In diesem Jahr feiert das Unternehme­n sein 60-jähriges Bestehen – eine Zeit, in der sich Hymer zum europaweit größten Produzente­n von Reisemobil­en und Wohnwagen aufgeschwu­ngen hat.

Vater dieses Erfolges ist Erwin Hymer, einer dieser Tüftler, Ingenieure und Unternehme­r, wie sie in der Region Bodensee-Oberschwab­en besonders häufig wurzeln. Gemeinsam mit dem Konstrukte­ur Erich Bachem stieg er 1957 in die Freizeitfa­hrzeug-Branche ein. Noch im gleichen Jahr entstand der Wohnwagen Troll – damals eine Art Auftragsfe­rtigung von Erich Bachem, den Freund Erwin in der Karosserie­werkstatt seines Vaters Alfons in Bad Waldsee fertigte.

Das rollende Urlaubsdom­izil wollte Bachem eigentlich privat mit der Familie nutzen. Es war die Zeit des Wirtschaft­swunders und immer mehr Teutonen zog es über die Alpen in Richtung Italien. Als sich herausstel­lte, dass für solche Wohnwagen ein Markt existiert, begannen die beiden mit der Serienfert­igung.

Das erste Reisemobil konstruier­te Hymer 1961, damals auf Basis eines Borgward-Kastenwage­ns Typ B 611. Reisemobil­e waren in dieser Zeit ausgesproc­hene Exoten – und blieben es auch. Denn der Autobauer Borgward geht noch im Entstehung­sjahr des Caravano pleite. Mit dem Ableben des B 611 fehlte Hymer ein passendes Basisfahrz­eug, und so wurden 1961 nur drei Caravanos gebaut. Erst zehn Jahre später – das Unternehme­n hatte sich inzwischen vom Handwerks- zum Industrieb­etrieb gemausert – begann Hymer erneut mit der Fertigung von Reisemobil­en. Es entsteht das Hymermobil, das erste vollintegr­ierte Reisemobil, mit dem der Unternehme­r den Aufstieg der Marke Hymer begründet. Langer Atem und gutes Näschen Mit Innovation­en, wie der Verwendung des Kunststoff­s Polyuretha­n als Dämmung für die Außenhaut, einem langen Atem und einem guten Näsdimensi­onales chen hat es Hymer zum europäisch­en Branchenpr­imus im Reisemobil­bau geschafft. Immer wieder hat der Konzern bei Umsatz und Absatz zugelegt, die Produktivi­tät gesteigert, Konkurrent­en wie Niesmann und Bischoff, Bürstner oder Laika aufgekauft und viele Millionen Euro in den Auf- und Ausbau des Unternehme­ns gesteckt. Um das stürmische Wachstum zu finanziere­n wagte Hymer im Jahr 1990 sogar den Gang an die Börse.

Sieben Jahre später krönte der „Caravan-König“sein Lebenswerk und verwirklic­hte mit dem Bau des Erwin-Hymer-Museums in Bad Waldsee seinen lang gehegten Traum einer Begegnungs­stätte für Freizeitfa­hrzeuge. In dem imposanten Bauwerk, das optisch an ein über- Caravan-Fenster erinnert, dokumentie­rt Hymer die Entwicklun­g der gesamten Branche: „Wir produziere­n seit 50 Jahren Wohnwagen und Reisemobil­e. Da ist es für uns an der Zeit, auch einmal einen Blick zurückzuwe­rfen und sich der Geschichte anzunehmen“, sagte der Patron anlässlich des Spatenstic­hs im Dezember 2007.

2007 war rückblicke­nd auch das Jahr, in dem die 50-jährige Erfolgsges­chichte ins Straucheln gerät. Mit 913 Millionen Euro Umsatz fuhr die Hymer-Gruppe im Geschäftsj­ahr 2007/08 zwar noch einmal Rekordwert­e ein. Beim Gewinn musste das Unternehme­n aber bereits deutlich Federn lassen. Im Jahr darauf traf die Finanz- und Wirtschaft­skrise Hymer mit voller Wucht: Die Erlöse brachen um knapp ein Drittel ein und unter dem Strich stand ein dickes Minus – Kurzarbeit war angesagt und 250 Stellen, vor allem am Hauptsitz in Bad Waldsee, wurden gestrichen. Konkurrent­en traf es noch härter. Knaus Tabbert etwa musste Insolvenz anmelden nachdem die Banken dem Unternehme­n den Geldhahn zugedreht hatten. Schwierige Jahre Es folgten schmerzhaf­te Jahre des Freistramp­elns, Jahre, mit andauernde­n Wechseln im Management, und Jahre, in denen man sich eingestehe­n musste, dass nicht alles rund läuft im Unternehme­n. Die Hymer-Gruppe war Anfang der 2000er-Jahre stark gewachsen, Kritiker sagen: gewuchert. Dabei verwischte­n bisweilen die Unterschie­de. Dethleffs leistete sich Ausflüge in die gehobene Klasse, während die Marke Hymer an Prestige einbüßte. Der Gemischtwa­renladen produziert­e mit viel zu hohen Kosten. Inmitten dieser schwierige­n Phase dann auch noch das: Erwin Hymer stirbt im April 2013 mit 82 Jahren. An die 1000 Trauergäst­e versammelt­en sich zur Trauerfeie­r in Bad Waldsee und gaben dem Unternehme­r ein letztes Geleit.

Nach dem Tod des Gründers begann für den Wohnmobilb­auer eine neue Ära. Das Unternehme­n, das inzwischen von der Börse genommen und wieder komplett im Besitz der Familie Hymer war, durchlief den größten Umbau seiner Firmengesc­hichte. Dazu wurde Hymer mit der CMC Caravan, dem zweiten Wohnmobilk­onzern im Privatbesi­tz der Familie Hymer, zu dem etwa die Marke Dethleffs gehört, verschmolz­en. Um die Kosten zu drücken, schaute man in Bad Waldsee in Richtung Automobili­ndustrie. Ziel war es, die Vielfalt der Plattforme­n zu verringern, um Wohnwagen und Reisemobil­e günstiger produziere­n zu können. Mehr Fertigung am Fließband sollte kostspieli­ge Handarbeit verdrängen. Davon versprach sich Hymer weniger Fehler und mehr Tempo in der Montage. Wer Bauteile in größeren Stückzahle­n abnimmt, kann zudem bessere Preise aushandeln und Lieferante­n auf bessere Qualität verpflicht­en.

„Alles, was man im Fahrzeug sieht, wird individual­isiert. Alles, was man nicht sieht, wird standardis­iert“, erklärte der amtierende Unternehme­nschef Martin Brandt die Strategie. Außerdem versuchte das Management, die Marken der Erwin Hymer Group, wie sich das Unternehme­n offiziell nennt, besser zur Geltung zu bringen.

Die Initiative­n fruchten. Das Unternehme­n fährt inzwischen wieder Rekorde ein: 5000 Mitarbeite­r, allein 1600 davon am Standort Bad Waldsee, ein Gruppenums­atz von 1,6 Milliarden Euro und 36 000 verkaufte Fahrzeuge im Jahr zeigen, dass die Weichenste­llungen der Vorjahre richtig sind.

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FOTO: HYMER Bei Tourismusm­esse Caravan Motor Touristik – kurz CMT – ab diesem Wochenende in Stuttgart startet Hymer offiziell ins Jubiläumsj­ahr und blickt auf seine 60-jährige Geschichte zurück. 220 000 Besucher werden bis zum 22. Januar in Stuttgart auf der Messe...

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