Der Favorit heißt Boll
Dank seines Stars geht Düsseldorf als klarer Favorit ins Tischtennis-Final-Four in Neu-Ulm
RAVENSBURG - Im März wird Timo Boll 36 Jahre jung. Ein Alter, in dem sich seine Tischtenniskollegen aus China bereits goldgebräunt in einem Luxusappartement zur Ruhe gesetzt, Kinder gezeugt oder eine Trainerkarriere begonnen haben, um weitere Superstars zu formen auf einem Talentefließband, das sich quer wie der Jangtse durchs Reich der Mitte zu ziehen scheint. Auch Boll hat bereits eine Tochter gezeugt, für die er ein kleines Tennisplätzchen im Garten gebaut hat, auf dass sie eines Tages womöglich Tennisspielerin werde. Mehr Geld, Ruhm und Ehre verspricht sich der Vater vom Sport mit der gelben Filzkugel, er selbst denkt aber nicht dran, das Geschäft mit der kleineren weißen aus Plastik aufzugeben. Boll macht weiter, bis zur Einzel-WM in seiner zweiten Heimat Düsseldorf im Mai natürlich, vermutlich noch viel länger. Sein Teamkollege und Freund Dimitrij Ovtcharov, der ihn in der Weltrangliste überholt hat und 2012 bei Olympia das holte, was Boll wohl verwehrt bleiben wird – eine Einzelmedaille nämlich –, glaubt, Boll werde noch Jahre spielen: mindestens bis 2020, bis zu den Spielen in Tokio, in der zweiten Heimat des Tischtennis.
Es wäre ein würdiger Abschluss für einen, der fast alles erreicht hat: die Nr. 1 der Welt zu sein, unzählige Titel zu holen, in China ein Star zu werden und in Deutschland einer, der die anderen anführen darf – alle anderen Sportler, wie Boll es im August in Rio tat, als er bei der Eröffnungsfeier die deutsche Fahne trug und dabei so glücklich aussah wie andere nicht mal dann, wenn sie verliebt sind oder vier Cocktails geschlürft haben. Eigentlich steht er nicht so gerne im Mittelpunkt, „ich bin so gar kein Showman“, sagt Boll, aber diesen Moment im Maracana-Stadion, den hat er gelebt. Ebenso wie er die Bronzemedaille mit der Mannschaft feierte, die er zehn Tage später in die Hand nehmen durfte.
Wenn Boll am Sonntag mit Borussia Düsseldorf in die Neu-Ulmer Ratiopharm-Arena einlaufen wird, um beim Final Four zum fünften Mal in Folge den Pokal zu gewinnen, wird alles wieder zwei Spuren kleiner sein. Der Medienrummel, die Stadt, die Halle, das Event. Nur Timo Boll wird der Gleiche sein, der Gleiche wie vor 15 Jahren – eine bescheidener, demütiger Mensch. Ob ihm der Pokal noch etwas bedeute, wurde er im Vorfeld gefragt. „Jeder Titelgewinn ist schön“, sagte Boll. „Die, die neu dazugekommen sind in die Mannschaft, haben noch nicht allzu viele Titel gesammelt. Daher wäre es gerade für sie mit Sicherheit etwas Besonderes.“
Tatsächlich haben die Düsseldorfer ihr Team hinter Boll gründlich erneuert und verjüngt, zuvorderst mit zwei Schweden. Mit Anton Källberg (18), der in der Liga bis dato eine starke 6:1-Bilanz spielte, und mit Kristian Karlsson (25/6:3), der am Sonntag beim 3:2-Sieg im Spitzenspiel gegen Ochsenhausen zwei Punkte holte. Boll fehlte gegen die TTF, er setzt seine Kräfte dosiert ein, lediglich sieben Einzel bestritt er in der Liga, sechs davon gewann er. Und doch: Wenn es im Finale am Sonntag ab 15 Uhr hart auf hart gehen wird, dürfte Timo Boll – wenn alles normal läuft – wieder voran gehen und den Ausschlag geben.
Dass der Bundesliga-Primus im Finale stehen wird, daran gibt es keine Zweifel – Halbfinal-Rivale TV Hilpoltstein rangiert im Zweitliga-Keller. Im zweiten Semifinale (ebenfalls 11 Uhr) ist der Bundesliga-Vierte 1. FC Saarbrücken gegen Mühlhausen ebenso favorisiert – in Tiago Apolonia, Patrick Baum und Patrick Franziska haben die Saarländer drei Spieler mit großem Potenzial. Vielleicht schafft es Franziska ja, aus Bolls Schatten zu treten. Der Ex-Düsseldorfer hat die beste Bilanz in der Liga (7:1), er brachte Boll die einzige Niederlage bei. Der 24-Jährige dürfte mit aller Macht vermeiden wollen, dass der DTTB-Sportdirektor seine Worte aus dem Vorjahr wiederholt. „Der Unterschied“, sagte Richard Prause damals nach dem Finale, „heißt Timo Boll.“