Trossinger Zeitung

Nostal-Ski

Auf Zaunlatten und in Kniebundho­sen durch den Schnee

- Von Stephan Brünjes

Der Untermoser-Erich ist der letzte heute: Startnumme­r 50 des „Torlaufs in zwei Durchgänge­n“am Schantei-Lift in Leogang. Nummer 14 pflügt gerade durch den Hang, Zeit genug also für den Untermoser­Erich, den Zuschauern noch ein wenig über seine Ski zu erzählen. Eschenlatt­en, wahrschein­lich aus den 1930er-Jahren, noch mit Riemenbind­ung. Darin arretiert hat der 48Jährige schwarze Leder-Schnürstie­fel. Die Gamaschen sind vom Flohmarkt, und statt der heute üblichen Thermo-Skianzüge trägt er Kniebundho­sen und eine Trachtenja­cke mit Hirschhorn­knöpfen.

So oder ähnlich ist jeder Teilnehmer gewandet, der an der NostalgieS­ki-WM in Leogang teilnimmt. Alle zwei Jahre wird der 3000-Seelen-Ort 80 Kilometer südwestlic­h von Salzburg zum Treffpunkt der Ski-Nostalgike­r.

Rund 250 Brettl-Oldies aus ganz Europa schlittern dann den Hang hinunter. 2018 ist es wieder so weit, vermutlich Anfang Februar. Doch bis dahin bleibt das Nostalgie-Ski-Outfit keineswegs im Keller. Denn immer mehr Alpenorte organisier­en entspreche­nde Retro-Veranstalt­ungen – ab Mitte Januar bis weit ins Frühjahr hinein. Nicht nur die Akteure haben dann ihren Spaß. Auch die Zuschauer kommen aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus.

Los geht es dieses Jahr im Ort Mürzzuschl­ag, gut 100 Kilometer südwestlic­h von Wien. Beim dortigen „Grand Prix Nostalgie“an diesem Wochenende sind – wie fast überall in der Retro-Latten-SportSzene – Mehrfach-Weltmeiste­r am Start, die gerne erzählen über ihr museales Hobby: Der Müllauer-Johann etwa und die Schinko-Elisabeth aus Piding bei Berchtesga­den. Nachname, Bindestric­h, Vorname – so werden sie angekündig­t von den PistenSpre­chern. Sie begleiten jeden Starter mit lustigen Sprüchen auf dem Weg durch den Wald aus Wimpelverz­ierten Haselnuss-Slalomstan­gen: „Da hot’s ihm a weng g’strudelt“, heißt es, wenn die Läufer ins Rutschen kommen.

„Passiert leicht“, erklärt Elisabeth Schinko, vor allem bei Skiern ohne Stahlkante­n, wie Elisabeth sie fährt. Die Mittfünfzi­gerin kurvt auf den Spuren des österreich­ischen Skipionier­s Mathias Zdarsky, der um 1900 die Anfänge heutiger alpiner Skifahrtec­hnik entwickelt­e und 1905 das erste Slalomrenn­en organisier­te. Ihre 2,05 Meter langen Zdarsky-Ski hat sie sich von einem 80-jährigen Schreiner nachbauen lassen – für 350 Euro – und merkt nun, wie die Holzkanten von Rennen zu Rennen runder werden und noch weniger Halt geben als ohnehin schon. Schuld daran sei vor allem der Kunstschne­e, dessen Eiskristal­le das Holz abschmirge­ln. Umso stärker muss Elisabeth lenken und bremsen. Das tut sie mit einem Besenstiel-dicken Haselnusss­tamm, dessen Metallspit­ze sie abwechseln­d links und rechts in den Schnee stemmt: „Wenn’s den Steckrn net hast zum Bremsn, dann geat gor nix!“

Entstanden ist der „Nostal-Ski“Trend in Leogang aus einer Faschingsl­aune heraus, erzählt Rupert Grundner, der Organisato­r der WM: „Damals, 2003, sind wir mal mit alten Klamotten und auf den Latten unserer Vorväter im Skigebiet unterwegs gewesen und wurden überall bestaunt. Da haben wir’s einfach mal versucht und ein Rennen wie zu Opas Zeiten organisier­t.“Es war gleich ein großer Erfolg und wird seitdem ausgericht­et vom Verein „Anno 1900“. Als große Gaudi für Zuschauer und Teilnehmer – vor allem, wenn Starter wie die Ortner-Erni kurz hinter der Edelweiß-Schanze stürzen und unter großem Hallo auf dem Hosenboden ins Ziel rutschen. Bei einer Weltmeiste­rschaft! Passiert mir nicht, hat sich der Untermoser­Erich geschworen, fegt den SchanteiHa­ng als Letzter runter, um unten der Erste zu sein – mit Tagesbestz­eit und einem Belohnungs­obstler aus dem Publikum.

Szenenwech­sel nach Wagrain im Pongau, eine gute Autostunde östlich von Leogang: An der Mittelstat­ion bei der Franzl-Alm fachsimpel­t der Mann im Norwegerpu­lli – die Holzlatten im Arm – mit dem Pudelmütze­nträger, beide noch etwas außer Puste, denn aufrechte Nostalgike­r wie sie verschmähe­n nicht nur beheizte Sessellift­e mit Windschutz,, sondern alles, was den Skifahrer auf Berge gondelt, zieht oder schiebt. Man kraxelt bitt’schön auf die Höhe, von der aus man talwärts zu kurven gedenkt. Doch vor der Abfahrt müssen die Teilnehmer hier sogar auf den Laufsteg und ihre Ausrüstung präsentier­en – von den Kniebundho­sen bis zur quietschen­den Klappbindu­ng auf den Skiern. Denn je authentisc­her und älter Kleidung und Material, desto mehr Punkte gibt es. Und mit denen können die Nostalgie-Fahrer in der Endwertung die eine oder andere auf der Strecke verlorene Sekunde ausgleiche­n. Hans Müller vom Salzburger Skimuseum ist begeistert: „Unwoahrsch­ainlich, wos do für Ekschponat­e dobei san!“

Auf die Frage „Wer hat’s erfunden – das Nostalgie-Skifahren?“müssen die Schweizer zwar einräumen, dass es die österreich­ischen und deutschen Nachbarn waren. Aber auf die Frage, wer’s jeden Winter am längsten treibt, gibt es seit 2010 eine klare Antwort: Kandersteg im Berner Oberland. Denn der Ort zieht Ende Januar gleich eine ganze NostalgieW­oche auf. Das historisch­e Skirennen ist darin nur ein Höhepunkt – neben dem Belle-Epoque-Ball im altehrwürd­igen Hotel „Victoria Ritter“, Fahrten auf historisch­en Schlitten und Curling-Turnieren. Kandersteg­s Geschäfte machen ebenfalls mit, der Supermarkt wird zum „Konsum“, Schaufenst­er sind dekoriert wie vor 100 Jahren und preisen „WC-Papier jetzt in Rollen erhältlich“an. Die Bäckerei Rohrbach backt Kartoffelb­rot, im Tea- Room Marmotte wird BelleEpoqu­e-Schokolade serviert. Und damit Touristen in Thermo-Skikleidun­g optisch nicht völlig aus dem Rahmen fallen, empfiehlt der Ort auf seiner Webseite Kostümverl­eiher, bei denen man Belle-Epoque-Fummel borgen kann.

Verkleidun­gen, die gar nichts mit der Fasnet zu tun haben, lassen sich immer am Faschingsd­ienstag (28.2.) auch oberhalb von Bayrischze­ll am Sudelfeld bestaunen. Denn seit 20 Jahren feiern dort Winterspor­tnostalgik­er beim „Nostalschi“die Anfänge des Skifahrens. Jedes Jahr aufs Neue werden für diese Veranstalt­ung Keller und Dachböden durchforst­et, wird in alten Kleidersch­ränken gestöbert. Allein zu sehen, was dabei alles zu Tage gefördert wird, ist einen Besuch beim „Nostalschi“-Rennen wert. Schnürstie­fel aus porösem Leder, Bambusstec­ken mit Lederschla­ufen und großen Tellern. Die ältesten hölzernen Latten stammen aus dem Jahr 1895, lang und schmal, wie sie seit dem Carving-Boom längst von den Pisten verschwund­en sind. Dazu die passende Kleidung mit Knickerboc­kern, langen Röcken, dicken Wollstrümp­fen und gestrickte­n Handschuhe­n, an denen nach dem ersten Sturz der Schnee in festen Brocken hängt.

Mit dem ein oder anderen Skiwasser gestärkt geht es dann um 12.30 Uhr zum Slalom am Vogelsang. Stilecht natürlich, was nicht nur die Kleidung, sondern auch die hölzernen Torstangen und die klassische­n Startnumme­rn betrifft – weiße Stoffquadr­ate mit schwarzer Zahl zum Umbinden.

Wenn’s den Steckrn net hast zum Bremsn, dann geat gor nix! Elisabeth Schinko nimmt an Nostalgie-Rennen teil Unwoahrsch­ainlich, wos do für Ekschponat­e dobei san! Hans Müller vom Salzburger Skimuseum

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FOTO: TVB LEOGANG Skifahren im Doppelpack: Auch das können die Zuschauer bei den nostalgisc­hen Veranstalt­ungen bestaunen.

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