Nostal-Ski
Auf Zaunlatten und in Kniebundhosen durch den Schnee
Der Untermoser-Erich ist der letzte heute: Startnummer 50 des „Torlaufs in zwei Durchgängen“am Schantei-Lift in Leogang. Nummer 14 pflügt gerade durch den Hang, Zeit genug also für den UntermoserErich, den Zuschauern noch ein wenig über seine Ski zu erzählen. Eschenlatten, wahrscheinlich aus den 1930er-Jahren, noch mit Riemenbindung. Darin arretiert hat der 48Jährige schwarze Leder-Schnürstiefel. Die Gamaschen sind vom Flohmarkt, und statt der heute üblichen Thermo-Skianzüge trägt er Kniebundhosen und eine Trachtenjacke mit Hirschhornknöpfen.
So oder ähnlich ist jeder Teilnehmer gewandet, der an der NostalgieSki-WM in Leogang teilnimmt. Alle zwei Jahre wird der 3000-Seelen-Ort 80 Kilometer südwestlich von Salzburg zum Treffpunkt der Ski-Nostalgiker.
Rund 250 Brettl-Oldies aus ganz Europa schlittern dann den Hang hinunter. 2018 ist es wieder so weit, vermutlich Anfang Februar. Doch bis dahin bleibt das Nostalgie-Ski-Outfit keineswegs im Keller. Denn immer mehr Alpenorte organisieren entsprechende Retro-Veranstaltungen – ab Mitte Januar bis weit ins Frühjahr hinein. Nicht nur die Akteure haben dann ihren Spaß. Auch die Zuschauer kommen aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus.
Los geht es dieses Jahr im Ort Mürzzuschlag, gut 100 Kilometer südwestlich von Wien. Beim dortigen „Grand Prix Nostalgie“an diesem Wochenende sind – wie fast überall in der Retro-Latten-SportSzene – Mehrfach-Weltmeister am Start, die gerne erzählen über ihr museales Hobby: Der Müllauer-Johann etwa und die Schinko-Elisabeth aus Piding bei Berchtesgaden. Nachname, Bindestrich, Vorname – so werden sie angekündigt von den PistenSprechern. Sie begleiten jeden Starter mit lustigen Sprüchen auf dem Weg durch den Wald aus Wimpelverzierten Haselnuss-Slalomstangen: „Da hot’s ihm a weng g’strudelt“, heißt es, wenn die Läufer ins Rutschen kommen.
„Passiert leicht“, erklärt Elisabeth Schinko, vor allem bei Skiern ohne Stahlkanten, wie Elisabeth sie fährt. Die Mittfünfzigerin kurvt auf den Spuren des österreichischen Skipioniers Mathias Zdarsky, der um 1900 die Anfänge heutiger alpiner Skifahrtechnik entwickelte und 1905 das erste Slalomrennen organisierte. Ihre 2,05 Meter langen Zdarsky-Ski hat sie sich von einem 80-jährigen Schreiner nachbauen lassen – für 350 Euro – und merkt nun, wie die Holzkanten von Rennen zu Rennen runder werden und noch weniger Halt geben als ohnehin schon. Schuld daran sei vor allem der Kunstschnee, dessen Eiskristalle das Holz abschmirgeln. Umso stärker muss Elisabeth lenken und bremsen. Das tut sie mit einem Besenstiel-dicken Haselnussstamm, dessen Metallspitze sie abwechselnd links und rechts in den Schnee stemmt: „Wenn’s den Steckrn net hast zum Bremsn, dann geat gor nix!“
Entstanden ist der „Nostal-Ski“Trend in Leogang aus einer Faschingslaune heraus, erzählt Rupert Grundner, der Organisator der WM: „Damals, 2003, sind wir mal mit alten Klamotten und auf den Latten unserer Vorväter im Skigebiet unterwegs gewesen und wurden überall bestaunt. Da haben wir’s einfach mal versucht und ein Rennen wie zu Opas Zeiten organisiert.“Es war gleich ein großer Erfolg und wird seitdem ausgerichtet vom Verein „Anno 1900“. Als große Gaudi für Zuschauer und Teilnehmer – vor allem, wenn Starter wie die Ortner-Erni kurz hinter der Edelweiß-Schanze stürzen und unter großem Hallo auf dem Hosenboden ins Ziel rutschen. Bei einer Weltmeisterschaft! Passiert mir nicht, hat sich der UntermoserErich geschworen, fegt den SchanteiHang als Letzter runter, um unten der Erste zu sein – mit Tagesbestzeit und einem Belohnungsobstler aus dem Publikum.
Szenenwechsel nach Wagrain im Pongau, eine gute Autostunde östlich von Leogang: An der Mittelstation bei der Franzl-Alm fachsimpelt der Mann im Norwegerpulli – die Holzlatten im Arm – mit dem Pudelmützenträger, beide noch etwas außer Puste, denn aufrechte Nostalgiker wie sie verschmähen nicht nur beheizte Sessellifte mit Windschutz,, sondern alles, was den Skifahrer auf Berge gondelt, zieht oder schiebt. Man kraxelt bitt’schön auf die Höhe, von der aus man talwärts zu kurven gedenkt. Doch vor der Abfahrt müssen die Teilnehmer hier sogar auf den Laufsteg und ihre Ausrüstung präsentieren – von den Kniebundhosen bis zur quietschenden Klappbindung auf den Skiern. Denn je authentischer und älter Kleidung und Material, desto mehr Punkte gibt es. Und mit denen können die Nostalgie-Fahrer in der Endwertung die eine oder andere auf der Strecke verlorene Sekunde ausgleichen. Hans Müller vom Salzburger Skimuseum ist begeistert: „Unwoahrschainlich, wos do für Ekschponate dobei san!“
Auf die Frage „Wer hat’s erfunden – das Nostalgie-Skifahren?“müssen die Schweizer zwar einräumen, dass es die österreichischen und deutschen Nachbarn waren. Aber auf die Frage, wer’s jeden Winter am längsten treibt, gibt es seit 2010 eine klare Antwort: Kandersteg im Berner Oberland. Denn der Ort zieht Ende Januar gleich eine ganze NostalgieWoche auf. Das historische Skirennen ist darin nur ein Höhepunkt – neben dem Belle-Epoque-Ball im altehrwürdigen Hotel „Victoria Ritter“, Fahrten auf historischen Schlitten und Curling-Turnieren. Kanderstegs Geschäfte machen ebenfalls mit, der Supermarkt wird zum „Konsum“, Schaufenster sind dekoriert wie vor 100 Jahren und preisen „WC-Papier jetzt in Rollen erhältlich“an. Die Bäckerei Rohrbach backt Kartoffelbrot, im Tea- Room Marmotte wird BelleEpoque-Schokolade serviert. Und damit Touristen in Thermo-Skikleidung optisch nicht völlig aus dem Rahmen fallen, empfiehlt der Ort auf seiner Webseite Kostümverleiher, bei denen man Belle-Epoque-Fummel borgen kann.
Verkleidungen, die gar nichts mit der Fasnet zu tun haben, lassen sich immer am Faschingsdienstag (28.2.) auch oberhalb von Bayrischzell am Sudelfeld bestaunen. Denn seit 20 Jahren feiern dort Wintersportnostalgiker beim „Nostalschi“die Anfänge des Skifahrens. Jedes Jahr aufs Neue werden für diese Veranstaltung Keller und Dachböden durchforstet, wird in alten Kleiderschränken gestöbert. Allein zu sehen, was dabei alles zu Tage gefördert wird, ist einen Besuch beim „Nostalschi“-Rennen wert. Schnürstiefel aus porösem Leder, Bambusstecken mit Lederschlaufen und großen Tellern. Die ältesten hölzernen Latten stammen aus dem Jahr 1895, lang und schmal, wie sie seit dem Carving-Boom längst von den Pisten verschwunden sind. Dazu die passende Kleidung mit Knickerbockern, langen Röcken, dicken Wollstrümpfen und gestrickten Handschuhen, an denen nach dem ersten Sturz der Schnee in festen Brocken hängt.
Mit dem ein oder anderen Skiwasser gestärkt geht es dann um 12.30 Uhr zum Slalom am Vogelsang. Stilecht natürlich, was nicht nur die Kleidung, sondern auch die hölzernen Torstangen und die klassischen Startnummern betrifft – weiße Stoffquadrate mit schwarzer Zahl zum Umbinden.
Wenn’s den Steckrn net hast zum Bremsn, dann geat gor nix! Elisabeth Schinko nimmt an Nostalgie-Rennen teil Unwoahrschainlich, wos do für Ekschponate dobei san! Hans Müller vom Salzburger Skimuseum