Schlicht und einfach – der etwas andere Italiener
Fiat hat im Kampf um die Kompaktklasse den Tipo wiederbelebt – Der Neue punktet vor allem beim Preis
Eine rein rationale Angelegenheit ist so ein Autokauf ja selten. Sonst würden sich die meisten SUV ja nicht in irgendwelchen Innenstädten oder auf viel zu kleinen Supermarktparkplätzen aufhalten, sondern auf Abenteuerfahrt durchs wilde Geländistan begeben. Übermotorisierte Sportflitzer wären auf der Rennstrecke unterwegs und würden nicht stundenlang in der Tiefgarage unter dem Bürosessel ihres Besitzers ausharren. Aber Herz und Verstand gehen bei der Entscheidung für ein neues Gefährt eben oft getrennte Wege. Deshalb ist es schon fast mutig, oder zumindest sympathisch, was der Autohersteller Fiat gewagt hat: Die Italiener suchen ihren Platz in der hart umkämpften Kompaktklasse. Und das mit einem Auto, das so wenig stylisch ist, dass es schon fast von einem VolkswagenDesigner entworfen sein könnte: breiter Kühlergrill, schmale Augen, hinten eine etwas seltsam geformte Kofferraumklappe – die ist dann auch schon das Extravaganteste am neuen Fiat Tipo.
Fiat Tipo – den älteren Baureihen (in der potenziellen Käuferschicht) dürfte dieser Name noch etwas sagen, handelt es sich doch dabei um eine der beliebten Neuauflagen eingestellter Modelle. Vom Ende der 1980er- bis Mitte der 90er-Jahre war Fiat schon einmal mit dem Tipo auf dem Markt vertreten, der dann aber von Bravo und Brava abgelöst wurde. Die waren in der Kompaktklasse ebenso wenig erfolgreich wie der inzwischen auch eingestellte Stilo – und deshalb wurde bei der Rückkehr des Tipo ein Strategiewechsel vollzogen. Statt stylisch und dynamisch gibt es nun: günstig. Die in Deutschland wenig beliebte Stufenhecklimousine ist zum Mindestpreis von 13 990 Euro zu haben, der Fünftürer fängt bei 15 250 Euro an, und der einfachste Kombi liegt bei 15 990 Euro. Diese Preise, die von Autohändlern sogar noch unterboten werden, sind natürlich ein Verkaufsargument und lassen ein Stück weit vergessen, dass man auch den Tipo schnell vergisst, wenn man ihn auf seine äußeren Reize reduziert. Durchschnittsauto ist in seinem Fall kein Schimpfwort. Er bietet durchschnittliche Qualität für vergleichsweise wenig Geld. Der rationale, preisbewusste Käufer dürfte daran seine Freude haben. Gute Fahrleistung; ausreichend Platz im Innenraum; niedriger Einstiegspreis; solide Verarbeitung
Doch ein Blick ins Innere des Fünftürers: Dort erwartet den Fahrer, wenig überraschend, kein geschäumtes Lederambiente mit Edelhölzern in der Konsole, sondern die eher schlichtere Variante dessen, was der Mensch während des Fahrens braucht: ein Lenkrad, das gut in der Hand liegt, ein Sitzplatz (auch mit Heizung), der einen nicht gleich das Alter spüren lässt, und Platz für Gefährten, die sich nicht abschrecken ließen. Dem Fahrer und seinen Mitreisenden bietet der Tipo ausreichend Raum – weder vorne noch hinten kann über mangelnde Kopf- oder Beinfreiheit geklagt werden. Nur beim Gepäck müssen sich die Reisenden etwas mäßigen, obwohl der Kofferraum des Fünftürers für einen Kompakten sehr ordentliche 440 Liter fasst. Wem das immer noch zu wenig ist, muss auf den Kombi ausweichen.
Da der Testwagen wie üblich nicht in der Ausstattung „Holzklasse“zur Verfügung gestellt wurde, gab es zudem allerlei Helferlein, die es zum Fahren nur bedingt braucht: einen Tempomaten, einen Abstandsregler, Licht- und Regensensor, Kurvenlicht, eine Rückfahrkamera, ein großes Display mit Radio, Navigationsgerät, Telefon und sonstigem Schnickschnack. Doch so schön und gut diese technischen Finessen auch sein mögen, die Übersichtlichkeit leidet darunter – und in der Folge auch die Konzentration des Fahrers auf den Verkehr. Wenn auf wenigen Quadratzentimetern Fläche möglichst viele Funktionen verteilt werden, führt dies zwangsläufig zur Fummelei am Lenkrad.
Weitere Minuspunkte: die schlecht abzulesende Geschwindigkeitsanzeige links im Cockpit und die absolut jämmerliche Spracherkennung, die das Potenzial hat, einen zum Wahnsinn zu treiben. Der Versuch, dem Tomtom eine Adresse näherzubringen oder einen Radiosender einzustellen, endete mehrfach mit dem Gedanken, wo denn wohl die versteckte Kamera sein möge. Überladenes und unübersichtliches Cockpit im Testwagen; wenig einfallsreiches Design; höherer Spritverbrauch als angegeben
Sei’s drum, der Ärger über die Zicke im Display wurde durch den munter arbeitenden Motor nahezu wettgemacht. Nicht, dass der Fiat Tipo in der 120-PS-Diesel-Variante so lautlos wäre, wie es Selbstzünder inzwischen sein können. Doch er fährt sich angenehm. Die Lenkung ist weder übernervös noch träge, die Schaltung gibt sich leichtgängig, und bei gleichmäßiger Autobahnfahrt mit Tempomat schwimmt er gemütlich klopfend mit. Auch wenn der Bleifuß gesenkt wird, ist der Tipo locker dabei und zeigt den überdimensionierten Hochpreis-Panzern auf der Autobahn, wie schnell ein Kompakter sein kann. Dieses Vergnügen hat dann allerdings – neben dem schlechten Umweltgewissen – auch seinen Preis: Statt – wie im Datenblatt angegeben – 3,7 Liter schluckt der Tipo bei regelmäßigen Ausrutschern auf dem Gaspedal bis zu 7,1 Liter. Bei vernünftiger Fahrweise war es fast ein Liter weniger.
Schlicht statt elegant, preiswert statt protzig, solide statt supersportlich: Das sind die Attribute, mit denen der Fiat Tipo punkten kann. Wer von einem Italiener etwas völlig anderes erwartet, sollte vielleicht bei denen mit dem Pferd vorbeischauen.