„Zwischen Kreuz und Hakenkreuz“
Matthias Kohler spricht am Donnerstag über die evangelische Kirche im Dritten Reich
TUTTLINGEN - Dem Spannungsverhältnis zwischen den nationalsozialistisch orientierten „Deutschen Christen“und der „Bekennenden Kirche“widmet sich am kommenden Donnerstag der Vortrag „Zwischen Kreuz und Hakenkreuz“vom evangelischen Pfarrer Matthias Kohler. Dabei zeigt er ab 20 Uhr im evangelischen Gemeindehaus auf, dass die Donaustadt vor allem zwischen 1933 und 1938 ein spannender Schauplatz der Auseinandersetzung gewesen ist.
Schon direkt nach der Wahl von Adolf Hitler zum Reichskanzler im Jahr 1933 gründete sich eine Gruppe Deutscher Christen in Tuttlingen. „Sie waren beseelt von der Sache, eine ganz neue (National-)Kirche zu gründen“, berichtet Kohler, der sich mit dem Thema schon in seiner Examensarbeit befasst hatte. Ihr Ziel sei die Abschaffung der Konfessionen gewesen und eine Kirche im Geist des Nationalsozialismus zu gründen.
Am 1. Mai 1933, zum Tag der Arbeit, kam mit Ernst Grimm ein ranghoher Vertreter der Deutschen Christen nach Tuttlingen, um eine programmatische Rede zu halten. Und die hatte es in sich: „Ich weiß auch, dass er von uns erwartet, dass wir täglich und in allen schweren Stunden, die er durchzumachen hat, fürbittend ihm zur Seite stehen. Vergessen wir dies nie, und bitten wir auch heute Gott, der uns unseren Adolf Hitler geschenkt hat, dass er ihn beschütze und uns erhalte“, zitierte ihn einen Tag später der Gränzbote. Dekan geht in den Ruhestand Bei der Kirchengemeinderatswahl im Juli 1933 schafften es die Deutschen Christen laut Kohler zwei Drittel der Sitze für sich zu gewinnen. Da sich zu dieser Zeit Dekan Paul Hinderer in den Ruhestand verabschiedete, fing die Suche nach einem Nachfolger für ihn an. Und es sollte einer sein, der den Deutschen Christen aufgeschlossen gegenüber stand. Allerdings machten die Nationalsozialisten die Rechnung ohne Bischof Theophil Wurm, der mehrere Kandidaten benannte, die Dekan in Tuttlingen werden könnten. Sie stießen aber nicht auf Zustimmung bei den Nationalsozialisten.
Schließlich fanden sie mit Manfred Ebbinghaus in Heidelberg einen SA-Mann und ehemaligen Offizier des Ersten Weltkriegs: „Die Deutschen Christen haben geglaubt, dass er einer von ihnen ist“, sagt Kohler. Doch sie irrten sich. Ebbinghaus sei sicher kein Liberaler gewesen, aber er wandte sich gegen die Nationalsozialisten, als der Staat nach der Kirche griff. Laut Kohler habe Ebbinghaus nach dem Matthäus-Evangelium gedacht: Gebt dem Staat, was des Staates ist und Gott, was des Gottes ist. Die Folge: Die Kirche ernannte Ebbinghaus schließlich Anfang 1935 zum Dekan der evangelischen Kirche in Tuttlingen.
Auch innerhalb der Tuttlinger Stadtkirche kam es zu Konflikten. So war der dritte Pfarrer, Gerhard Gommel, ein Vertreter der gemäßigten Deutschen Christen. Kein Wunder, dass Ebbinghaus und er aneinander gerieten. Während Gommel laut Kohler bestens bei den Nationalsozialisten vernetzt war, so hatte Ebbinghaus die Tuttlinger Protestanten hinter sich gebracht. „Zu den wichtigsten Gottesdiensten von Ebbinghaus kamen 1500 bis 2000 Zuhörer in die Stadtkirche“, sagt Kohler. Dagegen war die Zahl der Gläubigen, die zu Gommel in den Gottesdienst kamen, deutlich zurückgegangen.
Im Jahr 1938 setzte sich in Tuttlingen die Position von Ebbinghaus durch. Gommel wurde aus dem Pfarrdienst entlassen: „Sie haben sich nach dem Ende des Krieges versöhnt. Bei der Entnazifizierung hat sich Ebbinghaus für Gommel eingesetzt“, betont Kohler. Bis dahin hatte Ebbinghaus den Kirchengemeinderat schon wieder von den Deutschen Christen befreit. Mehrfache Anklage Dass diese Kirchenpolitik für den Dekan nicht ohne Folgen blieb, lag auf der Hand: „Er ist mehrfach angeklagt worden und ist auch verurteilt worden – und zwar wegen einer verbotenen Sammlung“, sagt Kohler. Das habe Ebbinghaus eine Strafe von 500 Reichsmark eingebracht: „Diese ist für ihn bezahlt worden. man vermutet, dass es der Richter selbst war, da ihm das Urteil peinlich war“, berichtet Kohler. Zudem hörte und las die Gestapo alles mit, was Ebbinghaus machte: „Die Nationalsozialisten haben alles versucht, um ihn bloßzustellen und lächerlich zu machen.“Doch schon 1937 sei klar gewesen, dass Ebbinghaus das Sagen in der Kirche hatte. Von daher ebbte nach 1938 der Kirchenstreit in Tuttlingen zwischen den Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche merklich ab. Der Eintritt zum Vortrag von Pfarrer Matthias Kohler am Donnerstag, 27. April, um 20 Uhr im evangelischen Gemeindehaus, gartenstraße 1, kostet vier Euro.