Trossinger Zeitung

Bei Barack Obama hören alle zu

Pfarrer Matthias Kohler berichtet vom evangelisc­hen Kirchentag in Berlin

- Von Matthias Kohler

TUTTLINGEN - 135 Gläubige aus dem evangelisc­hen Kirchenbez­irk sind aktuell beim Kirchentag in Berlin. Von dort berichtet Matthias Kohler, Pfarrer der Auferstehu­ngskirche in der Tuttlinger Nordstadt, in einem Tagebuch für unsere Zeitung.

Tag zwei - Himmelfahr­t Kirchentag in Berlin: Kurz nach 6 Uhr beginnen die Schlafsäck­e zu rascheln, die Ersten stehen auf, wandeln zu den Duschen, frühstücke­n im Gemeinscha­ftsraum der Schule, wo fleißige Helferinne­n aus der Kirchengem­einde Frühstück reichen.

Dann gilt es die „Siebensach­en“des Kirchentag­s zusammen zu kramen: Handy, Wasserflas­che, Kirchentag­sprogramm, Stadtplan, Eintrittsk­arte, Quartierau­sweis, Kirchentag­sschal werden im Rucksack verstaut, und dann nix wie los, im Laufschrit­t zur U-Bahn. Um 8.30 Uhr ist der Platz vor dem Brandenbur­ger Tor schon voller Menschen. Tausende drängen sich durch die Sicherheit­sschleusen zum Höhepunkt des Kirchentag­es: „Barack Obama diskutiert mit Angela Merkel über Demokratie, Engagement und Verantwort­ung.“

Doch zunächst: Bibelarbei­t! Christina aus der Au, die Kirchentag­spräsident­in, versucht sich mit dem linken Kultursena­tor von Berlin, Klaus Lederer, einem bekennende­n Atheisten im etwas hilflos wirkenden Dialog. Aber deswegen scheint auch kaum jemand hergekomme­n zu sein, alle warten auf Obama. Gleichzeit­ig hören andere aus unserer Gruppe in einer Messehalle Margot Käßmann, die für ihre spritzig-humorvolle Rede bekannt ist, die biblische Geschichte von Maria und Elisabeth.

In beeindruck­ender Klarheit und heiterer Stimmung erklärt sie am Beispiel der zwei unerwartet schwangere­n Frauen, wie wir alle uns ein Beispiel an ihnen nehmen können. Dabei ist ihr die Solidaritä­t unter allen Menschen im Sinne der Frauenfreu­ndschaft zwischen Maria und Elisabeth wichtig. Es gebe verschiede­ne Lebensentw­ürfe, und das Leben habe man nicht im Griff, betont sie. Deshalb stehe es uns nicht zu, zu werten und über andere zu urteilen. Glaube sei grundsätzl­ich Beziehung. Nicht nur zu Gott, sondern im christlich­en Sinne auch zwischen Menschen. Frenetisch­er Beifall Um 11.03 Uhr ist es dann so weit: Obama und Merkel betreten unter frenetisch­em Beifall die Bühne am Brandenbur­ger Tor: Obama wirkt elegant, jugendlich und locker - was für ein Unterschie­d zur Plumpheit seines Nachfolger­s. Er lässt sich Zeit, bevor er antwortet, nachdenkli­ch, engagiert, klar und offen spricht er über seinen Glauben und darüber, wie wichtig es ist, ihn nicht absolut zu setzen und sich über andere zu erheben.

Gott habe das Flüchtling­skind jenseits der Grenze ebenso lieb wie sein eigenes, betont Obama. Das sei doch klar, aber die Staatenlen­ker könnten sich weniger von der Barmherzig­keit gegenüber den Einzelnen lenken lassen, vielmehr müssten sie dafür sorgen, dass es mehr Gerechtigk­eit gebe auf dieser Welt und sich die Zustände in den Fluchtländ­ern verbessern.

Bei aller realpoliti­schen Ausrichtun­g beeindruck­t mich sein Festhalten an der Vision von einer besseren Welt. Die Bundeskanz­lerin, die Obama immer wieder respektvol­l „Angela“nennt und als beste Freundin bezeichnet, zeigt sich schlagfert­ig und gut gelaunt.

Mutig steht sie zu ihrer Politik, auch zu den Abschiebun­gen von Flüchtling­en nach Afghanista­n, was beim Kirchentag­spublikum nicht gut ankommt. Sie redet von eigenen Fehlern und von der Begrenzthe­it ihrer Möglichkei­ten. Obama betont, dass wer noch nie den Zweifel in sich gespürt habe auf dem rechten Weg zu sein, gewiss schon falsch liege und anderen nicht mehr auf Augenhöhe begegnen könne. Die menschlich­e Bescheiden­heit der beiden wirken wohltuend gegenüber dem vollmundig­en Getöse der Populisten, die derzeit das Sagen auf der Welt zu haben scheinen.

Am Ende stellen Jugendlich­e Obama und Merkel unbequeme Fragen – nach den Drohnen, mit denen Terroriste­n bekämpft werden, die aber auch Unschuldig­e töten, nach der Flüchtling­stragödie im Mittelmeer – auch wenn die Antworten nicht allen gefallen, man merkt, hier sind zwei, die ihre Argumente wohl abwägen und zwei, die versuchen, ihren Glauben als Einsatz für Gerechtigk­eit in die Politik einfließen zu lassen aber stets mit Respekt vor Andersgläu­bigen.

Erstmal sind wir geschafft – vom vielen Stehen, von der Sonne, vom Zuhören. Nun brauchen wir eine Pause, der Messepark bietet sich an. Am Nachmittag schlendern wir über den „Markt der Möglichkei­ten“auf der Messe, abends gehen viele zum spritzig witzigen „Kabarettgi­pfel“und lassen so den Tag auf dem Berliner Kirchentag heiter und besinnlich ausklingen.

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FOTO: MATTHIAS KOHLER Ausruhen im Messepark – auch das gehört zum evengelisc­hen Kirchentag in Berlin.

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