Trossinger Zeitung

Bauboom auf dem Land erwartet

Gemeinden können einfacher Wohngebiet­e ausweisen – Naturschüt­zer sind entsetzt

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Eine Änderung im Bundesbaug­esetz erleichter­t Gemeinden die Ausweisung von Wohngebiet­en. Die Kommunen freuen sich, dass nun schneller dringend benötigter Wohnraum entstehen kann. Naturschüt­zer beklagen hingegen massive Rückschläg­e für den Umweltschu­tz. Auch die Landesregi­erung hat hart gerungen.

Mitte Mai ist das sogenannte vereinfach­te Verfahren in Kraft getreten. Es gilt für die Ausweisung neuer Wohngebiet­e, die nicht größer als 10 000 Quadratmet­er sind und direkt an eine Ortschaft anschließe­n. Vereinfach­t heißt: Die Öffentlich­keit muss nicht frühzeitig eingebunde­n werden, verpflicht­ende Umweltprüf­ungen können ebenso wegfallen wie Ausgleichs­maßnahmen, mit denen der Eingriff in die Natur kompensier­t wird. Die Grundlage dafür bildet der Paragraf 13b im Baugesetzb­uch.

Roland Bürkle (CDU), Bürgermeis­ter von Bad Wurzach im Landkreis Ravensburg, spricht von „echter Erleichter­ung“und „erhebliche­r Beschleuni­gung“. Konkret hat das Stadtoberh­aupt vier Wohngebiet­e in Teilorten im Blick, die nun schneller und kostengüns­tiger erschlosse­n werden können. „Durch das Gesetz überlegen wir, ob wir das schneller umsetzen als gedacht“, sagt Bürkle.

Bad Wurzach ist nicht die einzige Gemeinde, die sich über die Gesetzesän­derung freut. „Wir sind froh, was die jetzige Formulieru­ng angeht“, sagt Lidija Schwarz-Dalmatin vom baden-württember­gischen Gemeindeta­g. Durch die Erleichter­ungen erwartet der Verband einen Boom, gerade auf dem Land. „Ich denke, dass die Änderung einen Anreiz bietet.“Zumal die Zeit drängt, die Vereinfach­ung ist nämlich bis Ende 2019 befristet. Die Erleichter­ungen gelten für Baugebiete, für die bis zu diesem Zeitpunkt der Bebauungsp­lan aufgestell­t ist. Bis Ende 2021 muss zudem der Satzungsbe­schluss gefasst sein. Kritik vom Umweltmini­ster Der grüne Teil der Landesregi­erung war mit dem Paragrafen 13b überhaupt nicht einverstan­den. Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) hatte vorab erklärt: „Der Vorschlag der Bundesregi­erung widerspric­ht elementare­n Grundsätze­n des Naturund Bodenschut­zes.“Er kritisiert­e, dass Auswirkung­en auf Tiere und Pflanzen nicht mehr erhoben würden und äußerte die Befürchtun­g, dass Baugebiete auf Vorrat ausgewiese­n würden. Das für Wohnbau zuständige Wirtschaft­sministeri­um unter Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) verweist hingegen auf die Vorteile der Änderung: „Vor dem Hintergrun­d des dringend benötigten, vor allem bezahlbare­n Wohnungsba­us und des starken Bedürfniss­es von Städten und Gemeinden nach planerisch­en Erleichter­ungen hat das Land nach Abwägung aller Belange die Neuregelun­gen mitgetrage­n“, heißt es aus dem Ministeriu­m.

Wegen der konträren Meinungen der grünen und schwarzen Teile in der Landesregi­erung hatte sich Baden-Württember­g bei der Abstimmung über das Gesetz Ende März im Bundesrat enthalten. „Eine Enthaltung ist keine Zustimmung“, betont Grünen-Landeschef Oliver Hildenbran­d. Besonders kritisch sieht er den zu erwartende­n Flächenfra­ß.

Den kritisiere­n auch Umweltverb­ände scharf. „Die Konsequenz­en sind einschneid­end“, sagt Klaus-Peter Gussfeld vom Bund für Umwelt und Naturschut­z. „Das öffnet einer Fehlentwic­klung Tür und Tor.“Eigentlich sei das Ziel, die Innenentwi­cklung voranzutre­iben. Die Gesetzesän­derung fördere stattdesse­n die Außenentwi­cklung. „Gerade die kleinen Gemeinden auf dem Land werden nach unserer Prognose darauf zurückgrei­fen, am Rand zu bauen“, sagt er. „Hoppla, hier laichen ja Kreuzkröte­n“Johannes Enssle, Vorsitzend­er des Naturschut­zbunds (Nabu) BadenWürtt­emberg, bezeichnet es als „dramatisch“, dass keine Umweltprüf­ungen und Ausgleichs­maßnahmen nötig sind und sagt: „Von einer grün-geführten Landesregi­erung hätte ich mir ein stärkeres Engagement gegen die Novelle gewünscht“– doch so sei eben die Realität in einer grünschwar­zen Koalition. Zwar gelte der strenge Artenschut­z auch weiterhin. Doch da die Umweltprüf­ung wegfällt, sei es ein reines Glücksspie­l, ob geschützte Arten auch beachtet würden. „Dann wird erst während der Bauphase festgestel­lt: ,Hoppla, hier laichen ja Kreuzkröte­n.‘ Wenn es keiner merkt, wird weiter gemacht. Wenn es jemand merkt, steht der Naturschut­z wieder als Verhindere­r da, obwohl eigentlich die mangelnde Planung und Vorprüfung das Problem ist.“ Vor allem Einfamilie­nhäuser Zumindest in Bad Wurzach soll es nicht soweit kommen, erklärt Bürgermeis­ter Bürkle. „Für den Artenschut­z werden wir einen Biologen vorher bitten, das Gebiet zu prüfen.“Denn würde während der Erschließu­ngsarbeite­n eine geschützte Art die Bagger zum Stoppen bringen, würde es erst richtig teuer. Auch lässt Bürkle die Kritik der Naturschüt­zer nicht gelten, dass nun vornehmlic­h Einfamilie­nhäuser an den Ortsränder­n entstehen würden – und eben nicht der dringend benötigte, kostengüns­tige Wohnraum. „In größerer Summe werden es Einfamilie­nhäuser sein, weil das der Bedarf ist“, bestätigt Bürkle zwar. Er spricht hingegen von einer Art Kreislauf. Vor allem ortsansäss­ige Bürger suchten Bauland für ein eigenes Häuschen. „Wir erhoffen uns, dass dadurch ihre Wohnungen, in denen sie jetzt wohnen, frei werden“, sagt Bürkle. Und so entstehe Platz für andere.

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