Gelehriges Zuhause
Das Internet der Dinge vernetzt Heizung, Kühlschrank, Türklingel – das Handwerk freut’s
BAINDT - Wenn Armin Jöchle morgens aufsteht und sich auf den Weg ins Bad macht, geht das Licht an, sein Lieblingsradiosender ertönt und in der Küche geht der Rollladen hoch – alles automatisch, denn Jöchle hat ein intelligentes Haus. Es kann anhand von Sensoren erkennen, ob jemand in einem Raum ist. Der Elektromechanikermeister hat sein Heim so programmiert, dass es Licht, Heizung, Jalousien und Unterhaltungselektronik selbstständig steuert. Sein Heim ist ein sogenanntes Smart Home, in dem der Handwerker aus Baindt (Kreis Ravensburg) mit seiner Familie wohnt.
„Alles, was heute möglich ist“, hat Jöchle an moderner Gebäudetechnik eingebaut – beim Firmensitz des Oberschwaben sieht es genauso aus. Doch damit Privathaus und Firma samt Büros und Fertigungshalle ohne Lichtschalter an der Wand auskommen und es trotzdem immer hell genug ist, braucht es einiges an Technik – Armin Jöchle braucht das Internet der Dinge. Also das System, das alle Gegenstände durch Miniaturcomputer miteinander vernetzt.
20 Prozent teurer als ein herkömmliches Eigenheim ist ein solches Smart Home, bei dem Licht, Heizung, Jalousien, Stereoanlage untereinander kommunizieren und Informationen austauschen. Baut man aber zum Beispiel eine Alarmanlage in ein herkömmliches Haus ein, mit allen nötigen Geräten und Datenkanälen, verringert sich der preisliche Abstand zu einem Smart Home schnell wieder, sagt Jöchle.
Jöchles Kunden wollen ihr Zuhause aber in erster Linie nicht bequemer, sondern sicherer machen – zum Beispiel mit einer Videoüberwachung. Sie wollen auf ihrem Smartphone sehen, wer an der Tür klingelt – und zwar auch wenn sie nicht daheim weilen. Ist es der Postbote, können sie ihm dann sagen, er soll das Paket beim Nachbarn abgeben. Ist es der Nachbar, der netterweise das Paket entgegengenommen hat, besteht die Möglichkeit, die Tür per App zu öffnen und ihn hereinzulassen. Mit installierten Kameras und Bewegungsmeldern können Hausbesitzer Einbrecher auf frischer Tat ertappen oder auch prüfen, ob die Putzfrau richtig putzt – eine Möglichkeit, auf die Jöchle selber nicht zurückgreift. „Unsere Putzfrau macht einen sehr guten Job, die muss ich nicht überwachen“, sagte er.
Der zweite Grund, warum Oberschwaben ein Smart Home haben wollen, ist das Thema Energieeffizienz. „Der gesamte Energieverbrauch des Haushalts kann protokolliert und schließlich optimiert werden,“erklärt Jöchle, „Studien haben gezeigt, dass Haushalte mit der Unterstützung smarter Technik allein ihre Heizkosten bis zu einem Viertel gesenkt haben.“Das funktioniere über Sensoren, die Heizkörper herunter regelten, wenn jemand ein Fenster öffnet oder über Voreinstellungen, damit es zum Beispiel nur morgens im Bad schön warm ist und die Heizkörper den Rest des Tages mit geringerer Leistung laufen.
Das Auto, besser gesagt, das Elektroauto sei der dritte Grund, warum seine Kunden den Elektromechaniker rufen: Nicht nur um bloß das Ladesystem an die Wand zu schrauben, sondern um es mit anderen Systemen, wie der Photovoltaikanlage auf dem Dach zu verbinden.
Das Internet der Dinge verändert das Elektrohandwerk. Das Aufgabengebiet wird größer, das Leistungsspektrum wächst. Um alles abzudecken, gibt es sieben Ausbildungsberufe: Elektroniker in vier Fachrichtungen (Energie und Gebäude, Automatisierung, Telekommunikation und Maschinen und Antriebe), Informationselektroniker mit den Schwerpunkten Bürosysteme sowie Geräte- und Systemtechnik und zudem den Systemelektroniker. Kein Wunder – „schließlich brauchen Handwerker qualifiziertes Personal, um das Smart Home installieren und fernwarten zu können“, sagt Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks. Für Deutschlands obersten Handwerker gehen mit dem Internet der Dinge aber nicht nur steigende Anforderungen einher, sondern vor allem auch die Aussicht auf
Unser Handwerk
Internet der Dinge erfolgreiche Zeiten, Wachstum und gute Geschäfte.
Gute Geschäfte für einige, Gefahren für viele, das meint auf jeden Fall Gerald Lembke. „Die Gesellschaft wird entmündigt“, kritisiert der Professor für Digitale Medien an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim, er zweifelt stark am Nutzen des Internets der Dinge für den Privatmann. Systeme und Geräte, die das Eigenheim sicherer machen sollen, sind selbst oft „verbesserungsbedürftig im Bereich der Sicherheit und Bedienungsfreundlichkeit“. Probleme gebe es beispielsweise, wenn integrierte Komponenten Passwörter haben, die im Nachhinein nicht mehr geändert werden können. Sobald das Smart Home ans Internet angeschlossen ist, sei es angreifbar. Und um über das WLan einzudringen, brauche es nur die entsprechende Software. Unsichere Technik Das sind für Lembke aber gar nicht die größten Bedenken, es geht ihm um etwas anderes – um den Schutz des privaten Wohnraums. Bestünde die Welt nur noch aus Smart Homes, sei es ein Leichtes für Unternehmen, ihre Kunden völlig transparent werden zu lassen. „Je automatisierter“die Welt werde, „desto ferngesteuerter“werde sie auch. Deswegen solle man sich genau überlegen, ob man Algorithmen folgt, die Dritte entworfen haben, nur um etwas mehr Komfort zu haben.
Aber auch Lembke gibt zu, dass es auch sinnvolle Einsatzmöglichkeiten für das Internet der Dinge gebe: „im Gesundheitsbereich zum Beispiel, oder im Bereich des Automobilsektors“. Dort sei – wie in anderen Bereichen auch – durch den Einsatz von Sensoren die Qualität bei der Fertigung merklich angestiegen.
In diesem Bereich liegt auch das Hauptgeschäftsfeld von Armin Jöchles Elektrohandwerksunternehmen, 80 Prozent seiner Aufträge kommen aus der Industrie. So werden derzeit in dem Elektrobetrieb in Baindt die Steuerungen für eine Schnellettiketiermaschine und für eine Recyclinganlage gefertigt, die Kunststoffflaschen nach Farbe trennt. Dieser digitale Wandel der Wirtschaft treibt das Geschäft des Elektrohandwerks an. Laut einer Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau planen 42 Prozent der deutschen Unternehmen fest, in die Digitalisierung zu investieren. Auch im Bereich Energie mit dem Ausbau regenerativer Energien und dezentralen Speichern sieht das Elektrohandwerk große Potenziale.
In der Industrie werden damit die Techniken erprobt, die mittelfristig auch in vielen Privathäusern Verwendung finden werden, davon sind Handwerker wie Armin Jöchle überzeugt. Das Smart Home speziell auf ältere Menschen zugeschnitten mit altersgerechten Assistenzsystemen wird es Senioren ermöglichen, lange und weitgehend unabhängig in den eigenen vier Wänden zu leben. Für die Kinder des Baindter Handwerkers hat diese Zukunft allerdings bereits jetzt begonnen. Der Fernseher der Jöchles ist mit dem Smartphone des Vaters gekoppelt – und wenn seine Frau und er mal abends nicht zuhause sind, geht die Glotze um 22 Uhr aus, „dann ist einfach genug“. Big Daddy ist watching you. Im Süden gehören Handwerker zu den tragenden Säulen der Wirtschaft. Doch nur die Digitalisierung auch die Energiewende und die Suche nach Fachkräften stellt viele Betriebe vor große Herausforderungen. Wie Bäcker, Maurer, Zimmerer, Dachdecker, Metzger und Schreiner mit diesen Veränderungen umgehen, zeigt die Serie „Unser Handwerk“in der „Schwäbischen Zeitung“. Am Mittwoch geht es um die Integration von Flüchtlingen. Die Serie läuft bis Ende Juni und ist online unter www.schwaebische.de/unserhandwerk zu finden. Ein Video, das zeigt, wie man per Tablet ein Gebäude steuern kann, gibt es unter www.schwaebische.de/iot