Trossinger Zeitung

Ein letztes Aufbäumen

Balingen verabschie­det sich würdevoll nach elf Jahren aus der Handball-Bundesliga

- Von Felix Alex

BALINGEN - Sie blickten sich noch einmal in die Augen, klatschten sich gegenseiti­g Beifall. Anerkennun­gen für das gemeinsam Erlebte und Geleistete zwischen den Spielern des HBW Balingen-Weilstette­n und ihren Fans. Minutenlan­g standen sie sich gegenüber, als ob sie den Moment noch hinauszöge­rn wollten – die einen in ihren blauen Trikots auf dem Handballfe­ld, die anderen um sie herum auf den Tribünen. Niemand wollte einfach so gehen, und doch war der Abschied längst beschlosse­n. Denn es war kein Titelgewin­n, kein überragend­er Sieg oder ein anderes freudiger Anlass, der sie so stehen ließ. Mit dem 22:25 (13:10) gegen den THW Kiel verabschie­deten sich die Balinger nach elf Jahren aus der Handball-Bundesliga (HBL). Eine letzte Niederlage, bei der die Balinger gegen den Rekordmeis­ter aber zeigten, dass sie nicht zu Unrecht mehr als eine Dekade in der wohl stärksten Liga der Welt mitmischen durften – und das mit oftmals deutlich bescheiden­eren finanziell­en Mitteln als die Konkurrenz.

So stemmten sich die Mannen von Trainer Runar Sigtryggss­on lange Zeit erfolgreic­h gegen die technisch beschlagen­en Kieler. Mit einem überragend­en Torhüter Peter Johannesso­n als Rückhalt brachten sie den THW in der ersten Hälfte zur Verzweiflu­ng. Gästetrain­er Alfred Gislason nahm sogar innerhalb weniger Minuten zwei Auszeiten, um seine Mannschaft zur Räson zu rufen. „Das war ein Desaster im Angriff“, urteilte Gislason anschließe­nd über die schwache Startphase seines Teams. Und so gingen die Kieler mit drei Toren Rückstand in die zweite Hälfte, in der sich der THW allerdings keine Blöße gab und mit Keeper Niklas Landin einen Mann im Tor hatte, der sich mit 23 Paraden zu einer Weltklasse­leistung aufschwang. Dennoch zeigten die Gallier-von-der-Alb mit ihrer konsequent­en Spielweise einmal mehr, warum viele Topteams in der Vergangenh­eit in Balingen immer wieder strauchelt­en.

THW-Geschäftsf­ührer Thorsten Storm hatte anschließe­nd dementspre­chend tröstende Worte für den Absteiger parat: „Balingen hat heute Kampf und Leidenscha­ft um jeden Ball gezeigt und ich weiß nicht, ob ich HBW viel Glück wünschen soll, weil wir uns hier immer schwertun. Aber ich wünsche euch die direkte Rückkehr, ihr gehört dazu und habt es verdient“, sagte er an Sigtryggss­on gewandt, während in der mit 2350 Zuschauern ausverkauf­ten Halle noch gefeiert wurde.

Denn die Balinger Fans hatten von vorneherei­n ein gutes Gefühl, was sie erwartet und waren mit ihrer Mannschaft im Reinen. „Ich bin schon seit Beginn, also nun seit 15 Jahren dabei und die Atmosphäre in der Halle ist einfach einzigarti­g, alles ist so nah“, erzählte Friedrich Huonker, während er, ausgestatt­et mit dem Vereinstri­kot über die Anlage blickte. Der Abstieg sei schon traurig, allerdings sei Zuversicht da: „Wir hoffen, dass sie es wie der VfB Stuttgart machen und nach einer Saison in der Zweiten Liga wieder im Oberhaus sind. Heute braucht es nur einen schönen Abschluss.“

Nur wenige Meter entfernt saß Ernst Ettmann, selbst eng mit dem Club verbunden und auch in der Zweiten Liga auf jeden Fall dann wieder vor Ort. „Balingen wird kämpfen und vielleicht sogar in Führung gehen, aber am Ende wohl verlieren. Das ist aber nicht schlimm, wir rechnen ja damit“, so Ettmann. Die Großen etwas ärgern Dass es dann doch etwas knapper wurde, lag vor allem an Torhüter Johannesso­n, aber auch an VierfachTo­rschütze Srdjan Predragovi­c, der anschließe­nd das Lob allerdings an seine Mitspieler weitergab: „Es war sensatione­ll, wie wir aufgetrete­n sind und Kiel unter Druck gesetzt haben. Wir wollten das letzte Spiel unbedingt für unsere Fans gewinnen.“ Auch Teamkolleg­e Tim Nothdurft stimmte dem bei: „Wir hatten uns vorgenomme­n, zu zeigen, dass wir zumindest in der Liga mitspielen und die Großen etwas ärgern können. Das haben wir geschafft.“

Und auch wenn die Mannschaft mit namhaften Akteuren wie Nationalsp­ieler Martin Strobel, 2007erWelt­meister Pascal Hens, der gegen Kiel nur wenige Augenblick­e auf dem Feld stand, aber dennoch ein Tor erzielte, oder ChampionsL­eague-Sieger Matthias Flohr die Klasse nicht halten konnte, war zumindest der Abschluss für Trainer Sigtryggss­on akzeptabel: „Wir haben in der zweiten Halbzeit siebenmal hintereina­nder verworfen, das war der Knackpunkt. Im Endeffekt war die Niederlage verdient, aber wir haben guten Handball gesehen.“

Das sah auch HBW-Geschäftsf­ührer Wolfgang Strobel ähnlich. „Mit so einer Leistung lässt sich der Abstieg vielleicht einfacher ertragen – der Zusammenha­lt im Team und die Stimmung in der Halle waren heute beeindruck­end. Das Entscheide­nde ist nun, dass wir das alles gemeinsam auch im nächsten Jahr so hinbekomme­n, um unser Ziel zu erreichen.“

Wie das passieren kann, davon hat Balingen-Fan Ernst Ettmann eine ganz klare Vorstellun­g und der lag ja bereits beim Spielverla­uf goldrichti­g: Der Kader sei natürlich entscheide­nd. „Das Wichtigste ist, dass die Spieler in die Mannschaft und das Umfeld passen. Wir sind Schwaben – gesellig und zuverlässi­g. Und wenn sich die Neuzugänge gut einbringen und auch alles annehmen, bin ich optimistis­ch.“

 ?? FOTO: IMAGO ?? Sascha Ilitsch hebt ab, Teamkolleg­e Christoph Foth, Rune Dahmke und Patrick Wiencek (v.li.) sehen zu.
FOTO: IMAGO Sascha Ilitsch hebt ab, Teamkolleg­e Christoph Foth, Rune Dahmke und Patrick Wiencek (v.li.) sehen zu.
 ?? FOTO: FELIX ALEX ?? Fans und Mannschaft nehmen Abschied, sind aber sicher: „Wir kommen wieder“.
FOTO: FELIX ALEX Fans und Mannschaft nehmen Abschied, sind aber sicher: „Wir kommen wieder“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany