Große Abhängigkeit
Die Kartellvorwürfe offenbaren die Zusammenhänge in der Automobilindustrie
STUTTGART (dpa) - Die wichtigsten Akteure schweigen, andere dagegen haben ihr Urteil schon gefällt. Die Vorwürfe sind drastisch: Jahrelang sollen sich VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler in geheimen Zirkeln über ihre Autos, Kosten und Zulieferer ausgetauscht haben. Wir beleuchten die Zusammenhänge.
Die Autokonzerne: Auf kritische Fragen reagieren Volkswagen wie auch Daimler und BMW derzeit mit Schweigen. Audi und Porsche verweisen ohnehin auf den Mutterkonzern VW. Einer soll den Stein mit einer Art Selbstanzeige bei den Kartellwächtern ins Rollen gebracht haben. Das kann noch wichtig werden, wenn es darum geht, wer nach der sogenannten Kronzeugenregelung straffrei ausgeht, weil er den Behörden geholfen hat. Ihre Aufsichtsräte werden die Bosse kaum länger hinhalten können. Volkswagen hat die Aufseher außerplanmäßig für heute zusammengerufen. Bei Daimler steht auch eine Sitzung an, weil Vorstandschef Dieter Zetsche die Halbjahresbilanz vorlegt.
Die Wettbewerbshüter: Die EUWettbewerbskommissarin Margrethe Vestager lässt Konzerne zittern. Auf Vorschlag der Chefaufklärerin kann die EU-Kommission schmerzhafte Strafen von bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes gegen Unternehmen verhängen. Die 49-jährige Dänin nutzt ihre Macht öffentlichkeitswirksam: Im Juni brummte sie Google eine Rekordbuße von 2,42 Milliarden Euro auf. Da es beim mutmaßlichen Autokartell um komplexe Untersuchungen womöglich in mehreren EULändern geht, hält die Kommission die Fäden in der Hand. Das Bundeskartellamt rückt in den Hintergrund.
Die Politik: Auf die deutsche Schlüsselbranche mit fast 800 000 Jobs schlägt die Politik in Bund und Ländern nicht leichtfertig ein – darauf können sich die Autobauer verlassen. Den Abgasbetrug bei VW mochte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) lieber keinen Skandal nennen, als sie im Untersuchungsausschuss gefragt wurde. Von den VW-Manipulationen wie vom jetzigen Kartellverdacht erfuhr die Bundesregierung nach eigenen Angaben aus den Medien.
Die Anwälte: Die ersten Anwaltskanzleien rüsten sich. Gutachten zur Schadenshöhe würden bereits vorbereitet, kündigten Kanzleien an. Was dem einzelnen Autofahrer im Erfolgsfall Schadenersatzzahlungen einbringen könnte, rechnet sich für die Anwälte erst im großen Maßstab, daher werben sie um Kläger. So wie im Dieselskandal: Nach VW-Angaben sind in Deutschland ungefähr 4000 zivilrechtliche Verfahren anhängig. Bislang sei über etwa 500 Klagen von Autobesitzern, die den Kaufpreis ihres Wagens zurückhaben wollen, entschieden worden: Rund drei Viertel davon seien abgewiesen worden. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig, die wegen des Abgasskandals bei VW ermittelt, prüft, ob ein neues Verfahren eingeleitet oder möglicherweise ein laufendes rechtlich erweitert werden müsse, sagte eine Sprecherin.
Die Autokäufer: Was bedeutet der Verdacht – wenn er sich erhärtet – für Autokäufer? Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, rechnet mit massiven Nachteilen, wenn Autos weniger wert seien als versprochen. „Bestätigt sich der Verdacht der Kartellabsprachen, handelt es sich um vorsätzliche organisierte Verbrauchertäuschung“, sagt Müller und fordert, Verbrauchervertreter am Diesel-Gipfel der Bundesregierung am 2. August zu beteiligen.
Die Zulieferer: Sollten sich die Autobauer tatsächlich bis in technische Details hinein abgesprochen haben, hätten sie damit auch Zulieferer geschädigt. Vor allem kleinere Betriebe, die auf ein bestimmtes Produkt spezialisiert sind, begeben sich in große Abhängigkeit. Gegen Preisdruck von oben können sie sich kaum wehren – erst recht nicht, wenn die Autobauer sich absprechen. Auf der anderen Seite bleiben bei denen schnell die Bänder stehen, wenn nur ein Zulieferer die Lieferketten aus dem Tritt bringt.