Seekrank im Paradies
Uli Talma lebt seit 40 Jahren auf den Seychellen – Die Berge der Heimat vermisst die Allgäuerin immer noch
M● it Wasser kann Uli Talma einfach nichts anfangen. Als wolle sie sich dafür entschuldigen, legt die zierliche Frau, die 1977 aus Oberstdorf auf die Seychellen zog, ihren Kopf zur Seite und zeigt auf die kleine Lichtung, die die grüne Wand aus dichten Palmen und Takamaka-Bäumen frei gibt. Wie durch ein Kaleidoskop fällt der Blick auf den puderzuckerweißen Sand, der sanft vom türkisblauen Indischen Ozean umspült wird. In der Bucht dümpeln weiße Katamarane. Abends badet die untergehende Sonne hier in blutrotem Gold. So könnte das Paradies aussehen. Aber die Allgäuerin seufzt: „In 40 Jahren haben das Meer und ich nicht zueinandergefunden.“Resolut steht sie an der aus Brettern zusammengezimmerten Holztheke. Hinter ihr am Felsen brummt ein Kühlschrank voller eiskalter Erfrischungen. Mit ihrer Honesty Bar ist die 64Jährige der Geheimtipp am berühmtesten Fototapeten-Strand der Seychellen-Insel Praslin.
Leicht zu finden sind sie und ihr Mann Alwyn (65) allerdings nicht an der Anse Lazio, die sich wie eine Sichel in die bergige Granit-Insel bohrt. Ganz am Ende der Bucht, dort wo die Brautpaare vor traumhafter Kulisse den schönsten Tag ihres Lebens festhalten, beginnt ein kleiner Trampelpfad. Er windet sich durch die roten Felsen, die daliegen, als hätte ein Riese Bauklötzchen gespielt. Plötzlich öffnet sich der grüne Dschungel einen schmalen Spalt. Auf zwei ausrangierten StyroporDeckeln steht in Handschrift „Honesty Bar“. „Bar des Vertrauens“. Steile Stufen führen den Berg hinauf zu einem kleinen Vorsprung. Ein paar Baumstämme tragen ein riesiges Wellblechdach. Darunter stehen Holztische mit weißen Plastikstühlen. Für den Boden haben sie weißen Sand nach oben geschleppt. Den Rest macht die Natur. Ein bisschen Robinson-Gefühl. So viel hatten Uli und ihr Mann Alwyn gar nicht geplant. Anfang der 1980er-Jahre hat das Ehepaar das abgelegene Grundstück gekauft. „Damals hat niemand auf den Seychellen investieren wollen“, erklärt Uli. Erst seit 15 Jahren ist ihr Haus an das E-Werk angeschlossen. Eine Straße gibt es nicht. Alles muss über den Strand geschleppt werden.
Begonnen hat die Geschichte der kleinen Bar mit ein paar StyroporKisten, die Alwyn an der Treppe zu ihrem versteckten Haus auf dem Hügel für durstige Sonnenanbeter bereitgestellt hat. Selbstbedienen sollten sie sich mit Wasser und Seybrew, dem auf den Seychellen gebrauten Bier, und die Rupies in einer Kasse hinterlegen. Doch mit dem Vertrauen klappte das nicht so. Irgendwann, als sie in Rente ging, sagte Uli: „Schluss mit dem Nonsens.“ Liebe auf den ersten Blick Nun steht sie jeden Tag von 11 bis 17 Uhr hinter der Theke, verkauft Bier, Wasser, Säfte und Rum. Und manchmal, wenn die Gäste nicht lockerlassen, erzählt sie aus ihrem Leben. Wie sie im herrlichen Oberstdorf aufwuchs mit den schönen Allgäuer Bergen, in denen sie so gerne herumkletterte. Wie sie dort ganz brav ihre Banklehre absolvierte, ihren Skilehrer machte, und dann auf die angesehene Hotelfachschule in Bad Reichenhall ging. Dort saß in ihrer Klasse Alwyn, der junge Seychellois, der ein Stipendium erhalten hatte. Es war Liebe auf den ersten Blick. Uli, der Bergfex, ging mit ihm in seine Heimat und entdeckte eine neue Leidenschaft: Zahlen. Sie wurde Buchhalterin im noblen Constance Lémuria, dem Fünf-Sterne-Hotel mit einem der schönsten Golfplätze der Welt. Er führt entlang an der Anse Georgette, dem einzigen Traumstrand auf Praslin, für den man sich an der Hotelrezeption anmelden muss. Denn der Weg zu der einsamen Bucht, die malerisch eingerahmt ist von roten Granitfelsen, führt mitten durch die Golfbahnen.
Jahrelang hat Uli darum gekämpft, Staatsbürgerin der Seychellen zu werden. Gebremst hat immer die Bundesrepublik, weil die Allgäuerin partout ihre deutsche Identität nicht aufgeben wollte. Inzwischen hat sie es geschafft. „Ich bin nun auch Seychelloise“, triumphiert sie angesichts ihrer Staatsbürgerschaft.
Eines gelang ihr jedoch nicht. „Ich habe alles versucht“, erklärt sie. „Ich bin zum Surfen – und wurde seekrank. Ich bin zum Tauchen – und wurde seekrank.“Irgendwann hat Uli ihre Annäherungsversuche an den Ozean aufgegeben. „Nun fahre ich Mountainbike“, erzählt sie und zeigt glücklich auf ihr schnittiges Rad hinter der Bar. „Und wandere.“Immerhin erhebt sich der Fond Azor, der höchste Berg der Insel, 367 Meter aus dem Meer. An seinen Hängen das berühmte Vallée de Mai. Ein unberührter Urwald, in dem die Coco de Mer, die größte Nuss der Welt, wächst, die es nur auf den Seychellen gibt. 250 bis 300 Jahre alt werden die hohen, schlanken Palmen, mit ihrer erotischen Paarung. Der Blütenstand der männlichen ähnelt einem Penis, die riesigen Nüsse der weiblichen einem Frauenschoß. Sie können bis zu 45 Kilo schwer werden. Die Unesco hat den Zauberwald unter Schutz gestellt und zum Weltnaturerbe ernannt. Kampf gegen den Müll Wer in Ulis Bar findet, der kommt am Thema Naturschutz nicht vorbei. Auf dem Weg zur Theke baumeln an einer Wäscheleine Umweltplakate: „Schützt unser Meeresökosystem. Fische und Schildkröten haben das Plastik im Bauch.“Ihre Getränkeflaschen gibt sie nur ohne Verschluss heraus. „Die kleinen Deckel sind am schlimmsten“, erklärt sie. „Die fressen die Schildkröten.“Jeden Morgen klappert sie den Strand ab, dreht sogar angeschwemmtes Seegras um, auf der Suche nach den gefährlichen Verschlüssen. „Die lassen die Leute gedankenlos liegen“, schimpft sie. „Der ganze Müll geht dann ins Meer.“
Nur einen Steinwurf entfernt, drüben auf der unbewohnten Nachbarinsel Curieuse, leben mehr als 130 Riesenschildkröten. Die Steinzeitkolosse, die 200 Jahre alt werden können, sind gefährlich sorglos. Sie fressen fast alles. Nicht nur die Bananen, die ihnen die Ausflugstouristen, die mittags mit den Schiffen herüberkommen, unter die Nase halten. Auch angeschwemmtes Plastik.
Die Tochter von Uli und Alwyn arbeitet als Meeresbiologin auf der Hauptinsel Mahé bei den Vereinten Nationen. Sie versorgt ihre Mutter mit den Plakaten. Die Hoffnung hat Uli nicht verloren. Für 20 Euro verkauft sie ein eigenes „Honesty Bar“Shirt mit der Aufschrift: „faith in humanity“– „Glaube an die Menschheit.“