Träume von Jamaika
Politiker von CDU und FDP zeigen sich offen für ein Bündnis mit den Grünen – Özdemir dämpft Erwartungen
STUTTGART - Knapp fünf Wochen vor der Bundestagswahl diskutieren aufgrund schwieriger Umfrageergebnisse auch Landespolitiker aus Baden-Württemberg über neue Bündnismöglichkeiten, um die kommende Bundesregierung stellen zu können. Die „Schwäbische Zeitung“befragte Spitzenpolitiker im Land.
Ähnlich wie der CDU-Finanzexperte Jens Spahn und der schleswigholsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) wollten CDULandeschef Thomas Strobl, Generalsekretär Manuel Hagel und der Fraktionschef Wolfgang Reinhart eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP nicht ausschließen. Deutlich wurde, dass diese drei Politiker lieber Jamaika versuchen wollen, als eine erneute Große Koalition mit der SPD einzugehen. Während auch FDP-Vertreter von „Schnittmengen“mit den Grünen sprachen, fehlte diesen nach eigenen Angaben die Fantasie für ein Dreierbündnis mit Christdemokraten und Liberalen.
Strobl warnte vor einem „Automatismus“in Richtung Große Koalition mit der SPD. „Die Große Koalition muss, auch aus staatspolitischen Gründen, die absolute Ausnahme sein.“Hagel formulierte offensiver: „Ich war nie ein Freund der Großen Koalition. Mit den Grünen als Koalitionspartner machen wir gerade in Baden-Württemberg sehr gute Erfahrungen.“Und auch Reinhart sagte, seine Partei sei nach mehreren Seiten bündnisfähig. Nach der Wahl werde geschaut, mit wem die eigenen Inhalte am besten umgesetzt werden könnten und „ein JamaikaBündnis mit FDP und Grünen kann dabei eine spannende Option sein“.
Der Spitzenkandidat und Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, sah dies bei einem Besuch des Parlamentsbüros der „Schwäbischen Zeitung“in Stuttgart am Mittwoch anders. „Angesichts des Anti-WindradFetischismus und der plötzlich erwachten Putin-Begeisterung fehlt mir die Fantasie für ein Dreierbündnis mit der FDP auf Bundesebene. Es sagt doch alles, wenn Sahra Wagenknecht auf einmal Christian Lindner lobt.“ Oder doch Opposition Ähnlich wie Reinhart sprach Özdemir von der Umsetzbarkeit eigener Inhalte – zeigte sich aber deswegen kritisch Jamaika gegenüber. „Wenn es dabei keine substanzielle Bewegung gibt, fällt uns kein Zacken aus der Krone, wenn wir erhobenen Hauptes in die Opposition gehen.“Grünen-Landesvorsitzender Oliver Hildebrand erklärte, erst nach der Wahl stelle sich die Koalitionsfrage.
Michael Theurer, Nummer eins der FDP-Landesliste für die Bundestagswahl, bewertete aufgrund von Grünenforderungen nach Vermögenund Erbschaftsteuer die Wahrscheinlichkeit von Jamaika als nicht sehr hoch, sagte aber: „Es gibt auch Schnittmengen mit den Grünen.“Ministerpräsident Winfried Kretschmann habe sich in der Dieselfrage pragmatisch und realitätsnah gezeigt. „Dreierkoalitionen sind auf Bundesebene Neuland. Wenn eine Zweierkoalition nicht funktioniert, ist Jamaika eine interessantere Option als die Große Koalition.“
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sah das anders: „In der Praxis bedarf es aber erheblicher Fantasie – um nicht zu sagen Masochismus – sich eine Koalition vorzustellen, in der die FDP mit einem Kuriositätenkabinett zusammenarbeitet, das sich von Horst Seehofer bis zu Anton Hofreiter erstreckt.“
Zu den Jamaika-Skeptikern bei der CDU zählt der Vorsitzende des Bezirksverbandes Württemberg-Hohenzollern, Thomas Bareiß. „Gerade wenn man das aktuelle Wahlprogramm der Grünen durchliest, wird für mich deutlich, dass die Grünen immer noch stark ideologisch geprägt sind.“Als Beispiel nannte er einen Vorstoß der Grünen in Berlin, Verbrennungsmotoren sowie Öl- und Gasheizungen zu verbieten. „Das halte ich für eine gefährliche und falsche Bevormundung“, so Bareiß.