Trossinger Zeitung

Selbstdars­teller unter sich

Vier Youtube-Stars interviewe­n die Kanzlerin – heraus kommt ein Talk zwischen Weltpoliti­k und banalen Bekenntnis­sen

- Von Jasmin Off

RAVENSBURG - Gäbe es im Journalism­us einen Preis für den verrücktes­ten Fragenmix einer Talkshow, dann würde das Format „Youtuber fragen“ihn wahrschein­lich gewinnen. Vier Internetst­ars hatten am Mittwoch 40 Minuten lang Zeit, die Bundeskanz­lerin mit Fragen zu löchern – heraus kamen 40 Minuten zwischen großen Krisen („Müssen wir Angst haben vor einem Dritten Weltkrieg?“) und menschlich­en Grundbedür­fnissen („Sind Sie eigentlich nie müde?“).

Dass sich junge Wähler vor allem im Internet tummeln, ist kein Geheimnis mehr, für die Wahlkampfs­trategen aber immer noch eine Herausford­erung. Die Zusammenar­beit mit bekannten Youtubern generiert da wertvolle Reichweite. Allein Merkels vier Interviewe­r „AlexiBexi“, Beauty-Bloggerin Ischtar Isik, Erklärvide­o-Produzent „MrWissen2g­o“und Künstlerin „ItsColesla­w“kommen zusammen auf mehr als 3,5 Millionen Follower.

Immerhin 55 000 Zuschauer sind am Mittwoch live dabei, als sie der Kanzlerin die „drängendst­en Fragen ihrer Community“stellen. Youtuberin Lisa Sophie macht mit den Themen Bildung, soziale Gerechtigk­eit und Gleichbere­chtigung den Anfang, Merkel verweist auf ihre Anstrengun­gen. Beim Thema Pflege habe man „einiges auf den Weg gebracht“, der von ihrer Regierung beschlosse­ne Rechtsansp­ruch auf einen Kitaplatz sorge für bessere Bildungsch­ancen. Die Varianten von „Wir schaffen das“lauten heute „Da haben wir schon vieles auf den Weg gebracht“und „Da werden wir weiter dran arbeiten“. Im Vorfeld gab es Kritik Die Fragestell­erin zeigt sich beeindruck­t, auf ihrem Kanal veröffentl­icht „ItsColesla­w“normalerwe­ise Videos mit Titeln wie „Ja, Frauen masturbier­en“und „Bye bye lange Haare“. Auch Beauty-Bloggerin Ischtar Isik hat den Ausführung­en der Kanzlerin wenig entgegenzu­setzen – im Gegenteil: Auf die Frage, warum Merkel nur selten im Internet präsent sei, verweist die vergnügt auf ihren wöchentlic­hen Podcast und setzt nach: „Ich bin auch auf Facebook – aber das ist ja für Ihre Altersklas­se nicht mehr so zeitgemäß – und auf Instagram zu finden.“

Der ehrlichste Moment entsteht am Schluss, als Isik einräumt, dass das Gespräch mit der Kanzlerin ihr erstes Interview war. Merkel zögert. „Wie, Ihr erstes Interview? Was machen Sie sonst, nur Selbstdars­tellung?“Der humorvolle Einwand wird im Netz noch während des Talks besonders von den Kritikern des Formats aufgegriff­en. Sieht so politische­r Diskurs aus? Sind unbedarfte Internetst­ars die besseren Journalist­en? Diese Fragen wurden bereits 2015 diskutiert, als LeFloid die Kanzlerin zum Einzelinte­rview traf. Nach der Sendung musste der Youtuber viel Häme für seine unkritisch­e Art einstecken. „Bravo Stichwortg­eber“und „LeFloid scheitert an LaMerkel“lauteten die Schlagzeil­en.

Doch die beiden Männer zeigen am Mittwoch doch noch, dass es auch anders geht. Techniktes­ter „Alexibexi“fühlt der Kanzlerin zum Thema Elektromob­ilität und zur Einhaltung von Feinstaub-Grenzwerte­n auf den Zahn. Ob Deutschlan­d nach den Skandalen um Kartelle und überschrit­tene Dieselwert­e überhaupt noch eine Autonation sei und wie die Politik Druck auf die Industrie mache, will er wissen. Als Merkel betont, sie werde sich da persönlich darum kümmern, hakt er augenzwink­ernd nach: „Sie werden da aber nicht selber zu den Firmen hingehen, oder?“Merkel schießt augenzwink­ernd zurück: „Nein, also zumindest in meinem jetzigen Amt nicht.“ Lieblings-Emoji ist der Smiley Am engsten in die Mangel nimmt die Kanzlerin Journalist und Youtuber Mirko Drotschman­n alias „MrWissen2G­o“. Warum die Bundesregi­erung nicht mehr Anstrengun­gen im Fall des inhaftiert­en Journalist­en Dennis Yücel unternimmt, will er wissen (Merkel: „Wir müssen da im Gespräch bleiben“) und hakt mehrmals kritisch nach. Auch das Thema Flüchtling­e, die Air Berlin-Pleite und das Verhältnis zum türkischen Präsidente­n Erdogan kommen auf den Tisch.

„Ich hätte gerne noch kritischer nachgehakt, aber irgendwann merkt man einfach, man beißt auf Granit“, erzählt Drotschman­n nach der Sendung im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Das Konzept hält er trotz aller Kritik für gelungen. „Ich könnte mir das auch mit anderen Politikern so vorstellen.“Wie die Kanzlerin den Talk fand, lässt sich dagegen nur erahnen. Im Interview verrät sie, dass ihre Lieblings-Emojis der Smiley, das Herz und – „wenn es mal nicht so gut läuft“– die Schnute seien. Auf ihren Social-Media-Kanälen findet sich nach dem Talk keiner der drei Gefühlsaus­drücke.

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FOTO: STUDIO71/RICHARD HÜBNER Zwei Moderatore­n, vier Internetst­ars und die Kanzlerin – das Konzept der Sendung „Youtuber fragen“.

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