Trossinger Zeitung

Die Stadt der frechen Mädchen

Souverän und sensibel: Ute Wieland hat den Jugendbest­seller „Tigermilch“verfilmt

- Von Rüdiger Suchsland

wei Girls in Berlin: Nini und Jameelah sind 14 Jahre alt, aber ziemlich frühreif. Sie sind gerade sehr gut gelaunt, weil bald die großen Ferien anfangen und zumindest Jameelah auch in der Schule super ist. Sie sind auch gut drauf, weil sie in diesem Sommer auf dem schmalen Grat balanciere­n zwischen Kind- und Erwachsens­ein. Und weil sie das gerade gut auszunutze­n wissen, auch um Erwachsene bei ihren Schwächen zu packen.

Nini und Jameelah sind beste Freundinne­n. Die beiden feiern viel, rauchen heimlich oder streifen durch ihren Kiez, einer dieser Berliner Problembez­irke. Zusammen mit ihnen begegnet man auch ihren Freunden, ihrer Familie, den Lehrern in der Schule und auch den Jungs, in die sie gerade verliebt sind. Ein Film über Freundscha­ft Trotzdem sollte man sich von der heiteren, mitunter etwas glatten Oberfläche dieses Films nicht täuschen lassen, genau so wenig von der sehr kommerziel­len Machart dieses Sommer-Blockbuste­rs. Denn „Tigermilch“ist weder ein flapsiges Teenagerst­ückchen noch eine Milieustud­ie über prekäre Pubertiere­nde. Dies ist zuallerers­t ein Film über Freundscha­ft, Liebe und Träume, der seine Figuren ernst nimmt, auch in ihren persönlich­en Erfahrungs­welten, und der zugleich in die Metropole Berlin und in die rissigen Lebensweis­en ihrer Bewohner eintaucht.

Erste Liebe und erster Liebeskumm­er, Erwachsenw­erden, Freundscha­ft, Vertrauen, Berlin, Party, Sommerferi­en, Drogen, kleine Verbrechen, prekäre Lebensverh­ältnisse, Multikulti, Integratio­n, Nahost, Migration, Abschiebun­g, aber auch Provokatio­n und Mutproben – es geht schon um sehr sehr viel in diesem Film. Darin entspricht er der Buchvorlag­e, dem vielfach ausgezeich­neten Bestseller von Stefanie von Velasco. Aber es wird nie zu viel. Regisseuri­n Ute Wieland hat schon in ihren früheren Filmen „Tango im Bauch“, „Freche Mädchen“oder „FC Venus“das Leben Jugendlich­er und junger Frauen porträtier­t. „Tigermilch“hält sie souverän in der Balance. Emily Kusche als Jameelah und Flora Tiemann als Nini sind zwei ausgezeich­nete Hauptdarst­ellerinnen.

Sprache und Wortwitz, das Spiel des „Wörterknac­kens“, aus dem die beiden Freundinne­n eine regelrecht­e Kunst gemacht haben, spielen eine besondere Rolle. Die Wortspiele und die Metamorpho­sen-Kraft der Worte, erlauben es ihnen auch, sich aus der normalen Welt wegzubeame­n in ihre eigene.

Zugleich geht es um die große Politik, und darum, wie diese die kleinen Leben normaler Menschen berührt und auch zerstört. Eines Tages droht Jameelah, deren Familie einst aus dem Irak geflüchtet ist, die Abschiebun­g. Zugleich erlebt auch Nini harte Zeiten: Ihre Mutter ist Alkoholike­rin mit regelmäßig­en Abstürzen, im Wohnblock wird ein Mädchen von ihrem Freund im Streit getötet, die beiden sehen es zufällig mit an.

„Tigermilch“hätte danach ein arger Kitsch werden können, doch Wieland vermeidet das Rührstück konsequent. Sie bleibt ihren Figuren treu, auch wenn sie mal Mist bauen. So gelingt ihr ein Film über Jugendlich­e, der nicht in Klischees stecken bleibt. Die Doppelpers­pektive dieser Geschichte mit zwei gleichbere­chtigten Hauptfigur­en verhindert auch Einseitigk­eiten und unangenehm­es Moralisier­en.

Irgendwann spitzt sich die Situation zu, und Jameelah und Nini haben ernsthafte­n Streit. Aber auch das geht vorüber. So stromern die Freundinne­n durch die Großstadt, sie hängen auf der Wiese im Schwimmbad ab, und hoffen auf Leben, und darauf, dass es mit Jameelahs Aufenthalt­sgenehmigu­ng endlich klappt. Zumindest an ihrer Freundscha­ft ist nicht zu rütteln. Die titelgeben­de „Tigermilch“ist übrigens eine Mischung aus Maracuja-Nektar, Milch, Chili „und ordentlich Weinbrand“. Tigermilch. Regie: Ute Wieland. Mit Flora Li Thiemann, Emily Kusche, Narges Rashidi. Deutschlan­d 2017. 106 Minuten, FSK ab 12.

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FOTO: CONSTANTIN FILM VERLEIH/DPA Die Freuden und Leiden des Erwachsenw­erdens durchleben Jameelah (Emily Kusche, links) und Nini (Flora Li Thiemann) in dem Film „Tigermilch“.

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