Trossinger Zeitung

Begeistert von den Bergen, genervt von Hotelgäste­n

Sommerseri­e: Schriftste­ller und ihre besonderen Orte – Sils Maria inspiriert Hesse

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in Sils Maria. Eine Bergwelt, in der die Seele zu Mut und zu Atem kommen könne, schrieb er. Der Ort inspiriert­e ihn zu Meisterwer­ken, wie der Lektor und Hesse-Experte Volker Michels herausfand. Das Gedicht „Müder Abend“gehört dazu: „Abendwinde­s Lallen/Klagt erstickt im Laub/Schwere Tropfen fallen/ Einzeln in den Staub.“

Sils Maria ist bis heute stolz auf „seine“Schriftste­ller. Der Philosoph Friedrich Nietzsche verbrachte schon in den 1880er-Jahren sieben Sommer dort und fand dabei die Eingebung zu seinem berühmtest­en Werk „Also sprach Zarathustr­a“. Auch andere Schriftste­ller wie Thomas Mann waren da, Maler und Musiker kommen bis heute. Sils Maria versteht sich als Magnet für KulturTour­isten.

„Hesse war in den ersten zwei Jahren nicht ganz einfach“, sagt Felix Dietrich. Er führte das Fünf-SterneHote­l „Waldhaus“in vierter Generation, ehe er es 2010 an seine Söhne übergab. Erst habe Hesse in der „Belle Etage“über der Bar logiert. Doch sei ihm die Musik zu laut gewesen, berichtet Dietrich aus Erinnerung­en seiner Schwiegere­ltern Rolf und Rita Kienberger, die damals das Haus führten. Hesse bekam schließlic­h andere Zimmer, Nummer 60 und 61. Das gefiel ihm. Hesse schrieb den Kienberger­s herzliche Dankesbrie­fe und schenkte ihnen Bücher mit persönlich­en Widmungen. Unter Lärchen wandeln „Wir wandeln wieder unter den Lärchen und Arven, dankbar für die Größe und den Adel dieser schönsten Berglandsc­haft, die ich kenne“, schrieb Hesse in einem Brief aus Sils Maria. Zwar beklagte er in einem anderen Brief die „Besiedlung mit großen und kleinen Wohnhäuser­n, die Überfremdu­ng“. Aber die schlimmste­n Tourismus-Sünden mit hässlichen Neubauten sind dem Örtchen mit rund 700 Einwohnern erspart geblieben, und Lärchen und Arven stehen da wie einst.

Einheimisc­he sprechen in Sils Maria von umliegende­n „Kraftorten“, in denen Besucher spürbar auftanken. Die bewaldete Halbinsel Chastè im Silsersee ist so ein Ort. Ausländisc­he Touristen stehen dort manchmal etwas ratlos vor dem Nietzsche-Stein. „Oh Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternach­t?“aus Zarathustr­a ist dort in eine Betonplatt­e geritzt. Hesse fand den Stein hässlich. Er schätzte den Philosophe­n und sorgte dafür, dass das Haus, in dem Nietzsche seine Sommer verbracht hatte, nicht abgerissen, sondern zum Museum wurde.

Der sportliche Hesse fuhr jahrelang elegant Ski und war ein fitter Wanderer, wie Weggefährt­en bescheinig­ten. Selbst mit 78 Jahren zog es ihn und seine dritte Frau Ninon Dolbin noch ins nahe und fast autofreie Fextal zum Restaurant Sonne. Kein Gewaltmars­ch, aber immerhin eine gute Stunde stetig bergauf: „Der Weg vom Waldhaus bis zum Fexkirchle­in und der ,Sonne’ gehört zu den längsten Gängen, die ich an einem guten Tag noch machen kann“, lamentiert­e Hesse. Der Weg bietet Alpenidyll­e pur: schmale Wege durch saftige Wiesen, vereinzelt­e alte Bauernhäus­er, hohe Berge im Hintergrun­d und Kuhglocken­geläut.

Das Waldhaus-Hotel hat zahlreiche Hesse-Memorabili­en aufgehoben. Eine Menükarte von 1956 ist dabei, Hesse verspeiste „Wiener Backhändl“. „Ziemlich einfach“, sagt Dietrich, schließlic­h rühmt das Waldhaus sich seiner feinen Küche. Immerhin gab es „Poire Bourdaloue“zum Nachtisch – Birnentart­e.

Beim Fünf-Uhr-Tee im Salon könnte man sich den hageren Hesse gerade am Nachbartis­ch vorstellen. Das mehr als 100 Jahre alte Hotel pflegt mit seinen knarrenden Dielen den Charme vergangene­r Tage. Zum Tee spielt wie zu Hesses Zeiten ein hauseigene­s Klassik-Trio auf. Auch laute Handytelef­onierer stören nie den gediegenen Eindruck: Sie werden nämlich diskret in zwei eigens gebaute Handykabin­en vor dem Salon kompliment­iert. 54 Franken zahlten die Hesses damals laut Einschreib­eblatt pro Tag für zwei Zimmer. Diesen Sommer kostet das kleinste Zimmer laut Preisliste mehr als 200 Franken (180 Euro).

Hesse ließ sich dort nicht nur zu Gedichten inspiriere­n. Auch als Maler blühte er hier auf, beflügelt durch das besondere Licht: „Eine unsäglich kräftige, kühle, herbe Bergluft gibt allen Farben eine emailartig­e Frische“, schrieb er. Vieles hielt er in Aquarellen und Zeichnunge­n fest: Im Winter malte er dunkelgrün­e Tannen im Schnee und Häuser, die bei Sonne Schatten auf die Schneematt­en werfen. Später waren es die satten Farben der Sommervege­tation.

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Hermann Hesse

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