Hendricks warnt derzeit vor Diesel-Kauf
Fahrverbote drohten trotz Software-Updates und Umtauschprämien für ältere Modelle
BERLIN - Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und das Umweltbundesamt haben die Ergebnisse des Dieselgipfels analysiert und eine vernichtende Bilanz gezogen. Wer einen Diesel-Pkw kaufen und vor Fahrverboten sicher sein wolle, müsse ein Fahrzeug der neuesten Abgasnorm erwerben, empfahl Hendricks am Mittwoch in Berlin. Autos, die nach der Norm Euro-6dTemp geprüft wurden, kommen jedoch erst ab September langsam auf den Markt, sagte ein ADAC-Sprecher. Die Umweltministerin warnte damit vor dem Kauf aller heute angebotenen Diesel-Pkw.
Hendricks stellte eine Untersuchung des Umweltbundesamtes (UBA) vor, die die Auswirkungen des Dieselgipfels von Anfang August für die Verbesserung der Luft abschätzt. Demnach senken die beschlossenen Vorhaben die Belastung mit Stickstoffdioxid in deutschen Städten um nur „sechs Prozent“– meistens zu wenig, um den Grenzwert einzuhalten. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hatte hingegen vor wenigen Tagen erklärt, die Stickoxid-Emissionen könnten durch Software-Updates und Umstiegsprämien für ältere Modelle um zwölf bis 14 Prozent sinken. „Warum vom Kauf aktueller Diesel mit Euro-Norm 6 abgeraten wird, ist nicht nachvollziehbar“, sagte ein VDA-Sprecher. Das trage zusätzliche „Verunsicherung in den Markt“.
„Für fast 70 Städte reichen die Maßnahmen voraussichtlich nicht“, erläuterte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger. Darunter seien auch Stuttgart, München und Mannheim. Nur in „rund 20 Städten“werde die Belastung mit Stickoxiden unter den Grenzwert von 40 Mikrogramm im Jahresmittel fallen, beispielsweise in Freiburg. Die UBA-Berechnungen beruhen unter anderem auf Messungen an der besonders belasteten Landshuter Allee in München.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rief die Autobauer am Mittwoch zu einem offensiveren Engagement für neue, saubere Antriebsarten auf. Verbrennungsmotoren mit Diesel oder Benzin würden noch „eine ganze Weile“gebraucht, sagte sie bei einer „Handelsblatt“-Veranstaltung in Berlin. Sie wünsche sich aber mehr Mut bei alternativen Antriebstechnologien.
BERLIN (dpa) - Von „totalem Reinfall“bis „genau richtig“– die Ergebnisse des Dieselgipfels Anfang August haben Umweltschützer, Politik und Autobranche ganz unterschiedlich bewertet. Das Umweltbundesamt (UBA) hat nun ausgerechnet, was Software-Updates für eine bessere Abgasreinigung und Umtauschprämien für ältere Diesel bringen. Das Ergebnis: In fast 70 Städten dürfte die Belastung mit gesundheitsschädlichem Stickoxid zu hoch bleiben. Die Schlussfolgerungen von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und der Autobranche liegen weit auseinander. Die Deutsche Presse-Agentur beantwortet nachfolgend die wichtigsten Fragen.
Um welche Beschlüsse des Dieselgipfels geht es? Rund 5,3 Millionen neuere Diesel der Abgasnormen Euro 5 und 6 sollen eine neue Software bekommen, sodass die Abgase besser gereinigt werden. Dazu zählen aber auch fast 2,5 Millionen Diesel, die VW sowieso zurückrufen muss. Zudem bieten Autobauer unterschiedlich hohe Prämien für die Besitzer älterer Diesel, die ihr Auto verschrotten lassen und dafür ein neues Modell kaufen.
Was hat das Umweltbundesamt genau ausgerechnet? Die Experten sind davon ausgegangen, dass Software-Updates den Stickoxid-Ausstoß um 15 bis 25 Prozent senken werden, dass zwischen 3,5 und fünf Millionen Diesel-Besitzer bei den Updates mitmachen und dass jeder vierte ältere Diesel gegen ein neueres Fahrzeug eingetauscht wird. All das sei „optimistisch“, meint UBA-Chefin Maria Krautzberger. Trotzdem dürfte die Stickoxid-Belastung in den betroffenen Städten um höchstens sechs Prozent sinken. Von rund 90 Städten, in denen der EUGrenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel gerissen wird, bleiben knapp 70 wohl darüber. In etwa 20 wird die Luft so sauber wie vorgeschrieben.
Bedeutet das, dass es Fahrverbote geben wird – und für wen? Möglich ist es. Wenn Richter entscheiden, dass die Gesundheit der Bürger über Diesel-Fahrverbote geschützt werden muss, können sie die Kommunen dazu zwingen. Die Deutsche Umwelthilfe, die wegen der Luftwerte klagt, rechnet mit Fahrverboten ab 2018. Auch Hendricks sagt, Fahrverbote seien nicht ausgeschlossen – die Autobauer hätten es aber in der Hand. Solche Fahrverbote können Hendricks zufolge auch ganz neue Euro-6-Diesel treffen. Nur mit der allerneuesten Abgasnorm Euro-6d sei man beim Diesel sicher.
Was fordert die Regierung? Hendricks fordert von der Autoindustrie, sich nicht weiter gegen Nachrüstungen an Motorbauteilen zu sperren, und über die Umtauschprämie keine Euro-6-Diesel in den Verkehr zu bringen, die im Alltag auf der Straße mehr Stickoxid ausstoßen als auf dem Prüfstand. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) schließt sich dem vorerst nicht an und lässt seinen Sprecher darauf verweisen, dass die Situation in den Städten unterschiedlich sei. In „Masterplänen“für modernen, flüssigen Verkehr stecke „ein großes Potenzial“. Diese Pläne wurden auf dem Dieselgipfel auch ins Auge gefasst, spielen in der UBARechnung aber keine Rolle.
Wie sieht das die Autobranche? Der Branchenverband VDA sieht „keinerlei Anlass für Nachjustierungen“. Die UBA-Berechnungen zeigten, dass der Stickoxid-Ausstoß über Software-Updates gesenkt werde. Hardware-Updates dagegen seien „in der Breite technisch nicht umsetzbar“, weil in vielen Fällen gar kein Platz für neue Bauteile sei. Der VDA hat vergangene Woche eine Rechnung präsentiert, nach der SoftwareUpdates, Umstiegsprämien und eine „natürliche“Bestandserneuerung den Stickoxid-Ausstoß im gesamten Straßenverkehr bis 2019 um 12 bis 14 Prozent senken können.
Wie geht es weiter? Beim Dieselgipfel wurden vier Arbeitsgruppen angekündigt, die erste davon tagt heute zum Thema „Umstieg öffentlicher Fahrzeugflotten auf emissionsarme Mobilität“. Da geht es etwa um Busse und Taxis. Am 4. September trifft sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Vertretern der betroffenen Kommunen, für die „Masterpläne“für einen gut vernetzten und möglichst sauberen Verkehr entwickelt werden sollen.