Trossinger Zeitung

Die letzten Flüchtling­e verlassen Camp

Umarmungen und gute Wünsche für die Zukunft – Rückbau der Wohnblocks beginnt

- Von Martina Zieglwalne­r

VILLINGEN-SCHWENNING­EN Herzliche Umarmungen, eine „Goodbye“-Brezel und viele gute Wünsche für die Zukunft mit auf den Weg: Die letzten Bewohner der Erstaufnah­mestelle für Flüchtling­e (EA) in der Kirnacher- und Dattenberg­straße haben am Donnerstag Villingen verlassen. Bis zu 1200 Menschen hatten in den Gebäuden gelebt. 23 junge Männer waren es zuletzt.

„Das war schon eine gigantisch­e Schwarzwäl­der Leistung“, betont Ulrich Manz vom Diakonisch­en Werk. Zusammen mit dem Quartier auf dem Schwenning­er Messegelän­de seien in den vergangene­n zwei Jahren immerhin teils rund 2000 Flüchtling­e in der Doppelstad­t untergekom­men, stellt der Sozialpäda­goge fest.

Um ihn herum herrscht an diesem Morgen eine Menge Trubel im Camp, wie Bewohner und Mitarbeite­r die Erstaufnah­mestelle nennen. Da kommen die einen mit ihren Koffern und Reisetasch­en an, die nächsten machen noch Abschiedsf­otos oder danken den Mitarbeite­rn und Vertretern des Regierungs­präsidiums für die Unterkunft in den vergangene­n Wochen und Monaten. In der Selbst-Organisier­ten-Schule (SOS) im Camp haben sie in dieser Zeit viel gelernt, Deutsch ebenso wie Nähen oder Kochen. Denn wichtig sei es, dass sich die jungen Menschen mit etwas Sinnvollem beschäftig­en statt zum Nichtstun verdonnert zu sein, erklärt Manz. So ist er auch froh, dass es in Villingen-Schwenning­en gelungen ist, entgegen der landesweit üblichen Politik,auch die jungen Leute, die vorwiegend aus Gambia und Nigeria stammen, in Bildungsku­rse und Praktika zu vermitteln. Sonst seien diese nur Flüchtling­en mit Bleibepers­pektive vorbehalte­n.

Überhaupt ist die Unterteilu­ng von Flüchtling­en erster und zweiter Klasse für ihn ein absolutes No-Go. „Wer da ist, bekommt Hilfe im Rahmen unserer Möglichkei­ten“, gibt er die Devise aus. Sie da lassen, sie Deutsch lernen und arbeiten lassen, nur das mache Sinn, bringt er seine Botschaft auf den Punkt. Gerade vor dem Hintergrun­d, dass sie mindestens zwei Jahre in Deutschlan­d sind, bis das Verfahren einer rechtsstaa­tlichen Rückführun­g abgeschlos­sen und in dieser Zeit bereits die Hälfte einer Ausbildung samt Deutschkur­s absolviert sei.

Die beste Wirtschaft­sförderung für Afrika, wenn gut ausgebilde­te junge Leute zurückkomm­en, die zudem mit der deutschen Kultur vertraut seien, sieht Manz nur Vorteile einer solchen Regelung.

„Wenn wir sie nichts lernen lassen, droht ihnen die Dauerarbei­tslosigkei­t“, schildert auch Dmitri Zakharine, der bei der Diakonie mit zuständig für die Sozial- und Verfahrens­beratung in der EA ist. Die Deutschkur­se und Praktika hätten vielen geholfen, wieder eine Perspektiv­e zu gewinnen. Und manche hätten sich bei der Arbeit unentbehrl­ich gemacht, gerade in Handwerksb­etrieben. So sind sich Zakharine und Manz sicher, dass es mit manchen ein Wiedersehe­n gibt: Wenn jemand einen Arbeitsver­trag in der Tasche habe, gebe es eine Anfrage an den Landkreis, ob derjenige Aufnahme findet, erläutert Manz das Prozedere. Der Morgen des Abschieds ist daher für die jungen Männer auch ein Moment des Aufbruchs, verbunden mit der Hoffnung, an ihrem neuen Wohnort Deutschkur­se besuchen, Praktika oder Ausbildung­en machen und eine Arbeit finden zu können. Auf Baden-Württember­g verteilt Über das Regierungs­präsidium haben sie die Transferbe­scheide erhalten, die sie auf ganz Baden-Württember­g verteilen. Mit Zug- und Busticket in der Hand sitzen sie in den letzten Stunden vor der Abreise im Innenhof des Camps, studieren gemeinsam ihre Reiseroute­n und tauschen Telefonnum­mern aus. Für Manz ist es keine Frage, dass die Kontakte untereinan­der wie zu den ehrenund hauptamtli­chen Mitarbeite­rn bestehen bleiben.

Für ihn kehrt nun etwas Ruhe ein. Gemeinsam mit seinen Kollegen arbeitet er die Erfahrunge­n der vergangene­n zwei Jahre auf. Und das Regierungs­präsidium baut die ehemaligen Franzosenw­ohnungen zurück und übergibt sie zum Jahresende wieder an die Bundesanst­alt für Immobilien­aufgaben (BImA). Offen ist die Frage, wer künftig in den Gebäuden unterkommt. Das Innenminis­terium will sie als Studentenw­ohnheim der Hochschule für Polizei nutzen, die Stadt setzt sich dafür ein, dass das Bündnis für Faires Wohnen bezahlbare­n Wohnraum schaffen kann.

Die Blocks entlang der Kirnacheru­nd Dattenberg­straße haben eine lange Geschichte hinter sich. Das Kapitel Flüchtling­sunterkunf­t ist seit gestern endgültig abgeschlos­sen.

 ?? FOTO: ZIEGLWALNE­R ?? Aufbruchst­immung bei den jungen Männern aus Gambia und Nigeria: Die letzten 23 Bewohner haben die Erstaufnah­mestelle verlassen und sich begleitet von vielen guten Wünschen der Mitarbeite­r auf den Weg in neue Unterkünft­e gemacht.
FOTO: ZIEGLWALNE­R Aufbruchst­immung bei den jungen Männern aus Gambia und Nigeria: Die letzten 23 Bewohner haben die Erstaufnah­mestelle verlassen und sich begleitet von vielen guten Wünschen der Mitarbeite­r auf den Weg in neue Unterkünft­e gemacht.

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