Trossinger Zeitung

Als Landarzt Wurzeln geschlagen

Rainer und Marie-Luise Sefrin sind froh über ihre Lebensents­cheidung vor 40 Jahren

- Von Regina Braungart

WEHINGEN - Es war der Heuberger Winter, der das Herz der Sefrins vor 40 Jahren schmelzen und die Lebensents­cheidung fällen ließ, sich hier als Landarzt niederzula­ssen. Und auch jetzt, im Ruhestand, blicken Sie mit einem Gefühl von Eingebette­t sein aus dem Fenster hoch oben über Wehingen auf die Gemeinde. Sie bedeutet – zusammen mit einigen umliegende­n Gemeinden – ein großes Stück des Lebens von Rainer und Marie-Luise Sefrin. Seit fünf Jahren, mit 66, ist Sefrin im Ruhestand, genießt die Freiheit Zeitungen, Zeitschrif­ten, Bücher zu lesen, die nichts mit medizinisc­hen Fachthemen zu tun haben. Und sich seiner Leidenscha­ft für historisch­e Karten, Plakate und anderem zu widmen.

Sefrin ist ein echter Heidelberg­er – und wollte doch weg vom Krankenhau­sbetrieb mit seinen Protektion­sStrukture­n. Er wollte auch nicht nur „einen Teil“des Menschen behandeln, sondern den ganzen Menschen. Das ganze Spektrum vom Baby bis zum alten Menschen waren seine Patienten und mit der Zeit habe er auch viel verstanden von den Krankheite­n und Beschwerde­n in den Familien. „Ich hatte ja die ganze Familie gesehen.“Und auch schnell erkannt, wenn sich Krankheite­n wiederholt­en.

„Ich habe zuhören gelernt“, sagt Sefrin. Als „Familiendo­ktor“habe er dann zum Beispiel auch erkennen können, wenn eine Krankheit psychosoma­tischen Ursprung haben konnte – das war oft. Das Zuhören und Verstehen war übrigens gar nicht so einfach am Anfang, lacht der Badener. Was für eine Krankheit ist das, wenn jemand sagt „I hau’s Reißa“? Da sei er sehr froh gewesen über die Übersetzun­gstätigkei­t seiner schwäbisch­en Frau, die in Eislingen aufgewachs­en ist und ihren Mann bei ihrem Sprachenst­udium (Englisch und Französisc­h) in Heidelberg kennen lernte.

Obwohl Sefrin anfangs Tag und auch Nacht arbeitete, hat sich die Leidenscha­ft für den Beruf auf die Tochter übertragen. Diese ist sogar vor kurzem nach Wehingen zurück gekehrt und hat dort eine Arztpraxis übernommen. Der Vater findet, dass es heutige Ärzte etwas einfacher haben. Denn man könne vom Verdienst gut leben und die Menschen hätten gelernt, dass es niemand aushält, 24 Stunden am Stück ansprechba­r zu sein. Wie? Ein Patient wollte einmal am Samstag ein Rezept und sprach den Arzt an, als dieser gerade den Garten umgrub. Der sagte, dann müsse der Patient aber in dieser Zeit weiter graben. „Das hat er gemacht.“

Ein andermal sei er am Wochenende auf der Straße angesproch­en worden, es tue da und da weh. „Na, dann ziehen Sie sich mal aus“, antwortete der Arzt. „Hier auf der Straße?“Er habe ihn ja auch auf der Straße angesproch­en, erwiderte der Arzt. „Sowas spricht sich rum.“ Geniale Idee seiner Frau Der Abstand von den um 6.45 Uhr beginnende­n und 19 Uhr endenden Arbeitstag­en, das war ganz wichtig, denn er selbst hatte sich oft die Geschichte­n der Patienten so zu Herzen genommen, dass er mit ihnen schlafen ging und wieder aufwachte und selbst dabei krank geworden wäre. Seine Frau, ohne deren Mitarbeit das alles nicht zu bewältigen gewesen wäre, kam auf einen genialen Gedanken: Mittwochna­chmittasg wird mit der Familie auf dem Bodensee gesegelt. Das blieb dann nur Abschalten.

Täglich gab es Hausbesuch­e und wenn ein Notfall war – in funk- und handylosen Zeiten –, wurde von der Praxis bei einem bestimmten Menschen in Egesheim, Renquishau­sen, Reichenbac­h, Bubsheim, Königsheim, Gosheim oder Deilingen angerufen, „und der passte mich ab und sprang auf die Straße, um mir zu sagen, dass die Praxis angerufen habe.“

Die Verknüpfun­g mit den Menschen ist beiden Sefrins wichtig. „Ich wollte nichts Besseres sein, ich wollte einer von ihnen sein und keine Privilegie­n, mich nicht separieren.“Vielleicht sei sein Auto – er hatte das erste Allradauto in der Gemeinde – etwas Besonderes gewesen. Aber das sei auch nötig gewesen bei dem Grundstück, das die Leute „das Loch“nannten – eine Absenkung am Hang. Trotzdem blieb er im Winter auf der Höhe schon mal stecken. Dann half immer ein Bauer aus mit seinem Traktor.

Die Anteilnahm­e und Solidaritä­t kam dann auch zurück. Etwa als der 19-jährige Sohn starb und die Tochter plötzlich lebensbedr­ohlich erkrankte, dass nur ein Sondereins­atz der Eltern am Studienort England sie rettete. Es ging um wenige Stunden. Die Eltern holten sie mit höchstem Risiko nach Tübingen wo ein mutiger Arzt die riskante Kopf-OP wagte – und gewann.

Die Solidaritä­t habe sehr geholfen sagen beide Sefrins. „In Wehingen haben die Leute zusammen gehalten.“

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FOTO: REGINA BRAUNGART 35 Jahre hat Dr. Rainer Sefrin in Wehingen praktizier­t.
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FOTO: PRIVAT Reisen, wandern und Pilze sammeln sind Hobbys von Rainer Sefrin. Kurios: zehn Postkarten, die er vor drei Monaten bei der Royal Mail in Schottland losschickt­e, sind erst jetzt angekommen – via die Philippine­n.

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