Fassungslosigkeit zum Prozessbeginn
Philipp K. gesteht, dem Münchner Amokläufer David S. die Tatwaffe verkauft zu haben
MÜNCHEN - „Hallo Möhrchen“- mit diesen Worten beginnt ein Brief von Philipp K. an seine Freundin, den er aus der Untersuchungshaft geschrieben hat. Richter Frank Zimmer liest ihn hier im Münchner Landgericht vor. Es sind Sätze voller Liebe zu seinem „Engelchen“– und doch sind sie für viele Anwesende nur schwer zu ertragen.
Philipp K. hat dem Amokläufer von München Waffen und Munition verkauft – das hat der 32-Jährige zu Prozessbeginn am Montag gestanden. Inwieweit er für die schreckliche Tat mit neun Toten zur Rechenschaft gezogen wird, muss nun das Gericht klären.
Die Worte machen die Menschen auf der Nebenklägerbank und in den Besucherreihen fassungslos. Dort sitzen Angehörige und Freunde jener neun Menschen, die beim Amoklauf von David S. im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) ihr Leben verloren haben – durch eine Waffe, die Philipp K. dem Täter verkauft hat.
Minutiös hat der Staatsanwalt zuvor in seiner Anklage geschildert, wie David S. an jenem 22. Juli 2016 in einem Schnellrestaurant seine Waffe zog, eine Glock 17. Wie er damit auf eine Gruppe Jugendlicher schoss, wie er nach draußen stürmte und auf Autos und flüchtende Menschen feuerte. Wie er ins Einkaufszentrum zurückkehrte, einen weiteren Menschen tötete und nach gut zwei Stunden, die ganz München in Angst und Schrecken versetzten, sich selbst das Leben nahm. 4000 Euro für die Tatwaffe Hier die Schilderung dieser Schreckenstat, dort liebevolle Briefe an Freundin und Mutter – beides führt zu Philipp K., ein unscheinbarer Mann mit brauner Kurzhaarfrisur und Brille, der auf die Frage des Richters nach seinem erlernten Beruf antwortet: „Verkäufer“. Als Verkäufer trat der 32-Jährige auch im Darknet auf, einem anonymen Teil des Internets. Hier betrieb er einen regen Waffenhandel, wie er zu Prozessbeginn in einer Erklärung einräumt, die sein Verteidiger verliest. Von fast 20 Waffen ist die Rede, die er ge- und verkauft habe. Alle Geschäfte hätten sich im Darknet angebahnt; die Übergabe jedoch fand persönlich statt. Denn, so erklärt es der Anwalt im Namen von Philipp K.: „Ich habe diese Leute kennenlernen wollen.“
Gleich zweimal traf er sich mit dem späteren Amokläufer David S. in Marburg, um ihm auf einem Parkplatz erst eine Pistole samt Munition für 4000 Euro und später weitere Munition für 350 Euro zu verkaufen. Von dessen Plänen habe er nichts gewusst, teilt Philipp K. mit. „Hätte ich irgendwelche Anzeichen gehabt, dass er psychisch krank war und einen Amoklauf begehen wollte, hätte ich ihm diese Waffe nie verkauft.“ Schütze hegte rechte Gesinnung Das sieht die Staatsanwaltschaft anders. Laut Anklage sei für Philipp K. „eine Schädigung von Personen an Leib und Leben durch eine Verwendung der Waffe und der Munition durch David S. auch vorhersehbar“gewesen. Daher lautet der Vorwurf nicht nur auf illegalen Waffenhandel, sondern auch auf fahrlässige Tötung in neun Fällen. Gemeint sind die neun Toten im OEZ, fast alle Jugendliche mit Migrationshintergrund. Da die Ermittlungen nahelegen, dass David S. eine rechtsradikale Gesinnung hegte, stellt sich nun die Frage, inwieweit der Waffenverkäufer von dieser wusste – und von den Amokplänen.
Der Angeklagte selbst will nach seiner Erklärung keine Fragen mehr beantworten. Auch nicht, als der Richter Bilder vorlegt, die man auf Handy und Computer des Angeklagten gefunden hat. Unter anderem sind darauf Nazi-Symbole zu sehen sowie eine Fotomontage aus den Gesichtern von K. und Adolf Hitler. Überdies spricht der Richter ein Video an, das den 32-Jährigen beim Hitler-Gruß zeige.
Der erste Prozesstag endet schließlich mit einem Befangenheitsantrag von Nebenklageanwalt Yavuz Narin. Er wirft dem Vorsitzenden Richter vor, dass sich dieser mit „zynischen und pietätlosen Bemerkungen über die Sorgen der Nebenkläger lustig gemacht“habe. Zudem kritisiert Narin, dass der Richter im Vorfeld Beweise habe unter den Tisch fallen lassen, die auf eine Mitwisserschaft von Philipp K. an dem geplanten Amoklauf hindeuten.
Eine Entscheidung über den Antrag steht noch aus. Für den Prozess sind derzeit zehn Verhandlungstage vorgesehen; ein Urteil soll Ende September fallen.