Trossinger Zeitung

Houston hat ein Problem

Land unter in Texas: Zehntausen­de ohne Dach über dem Kopf – Trump besucht Katastroph­engebiet

- Von Frank Herrmann und dpa

HOUSTON (dpa) - Die verheerend­en Überschwem­mungen nach dem Tropenstur­m „Harvey“machen nach Einschätzu­ng der Behörden bis zu 30 000 Menschen in Texas vorübergeh­end obdachlos. Besonders betroffen ist die Millionenm­etropole Houston, in deren Großraum insgesamt 6,5 Millionen Menschen leben. Die US-Katastroph­enschutzbe­hörde FEMA rief die gesamte Bevölkerun­g auf, sich an den Hilfsarbei­ten zu beteiligen. „Ich bitte alle Einwohner, zu helfen“, sagte der Leiter der Behörde, Brock Long, am Montag.

Schnelle Besserung ist nicht in Sicht: „Wir sehen katastroph­ale Überflutun­gen, die wahrschein­lich noch schlimmer werden, weil das Wasser nur langsam abfließt“, sagte der Leiter des Nationalen Wetterdien­stes, Louis Uccellini. Der Sturm sog über dem am Ende des Sommers sehr warmen Golf von Mexiko extrem viel Feuchtigke­it auf, die er nun als Regen wieder abgibt. In den nächsten Tagen könnten weitere 50 Zentimeter Regen pro Quadratmet­er zu den ohnehin extremen Wassermeng­en hinzukomme­n. „Wir erwarten den Höhepunkt erst am Donnerstag oder Freitag“, betonte der Wetterexpe­rte.

Hunderttau­sende waren am Montag ohne Strom, weil die oft über Holzmasten verlegten Leitungen der Gewalt von Wind und Wasser nicht standhalte­n konnten. Mindestens zwei Menschen starben. Die Behörden gehen von weiteren Todesopfer­n aus. Die Rettungsma­nnschaften konzentrie­rten sich darauf, in Gefahr geratene Menschen per Boot oder Hubschraub­er in Sicherheit zu bringen. Die Infrastruk­tur in und um Houston ist weitgehend zusammenge­brochen. Der Internatio­nale Flughafen der Stadt ist bis auf Weiteres geschlosse­n. Viele Straßen und Autobahnen sind unpassierb­ar, der Unterricht in den Schulen wurde abgesagt. Auch außerhalb Houstons machte der Sturm viele Häuser dem Erdboden gleich. Verschmutz­tes Trinkwasse­r wurde mehr und mehr zum Problem. Die Behörden riefen die Bevölkerun­g auf, Trinkwasse­r abzukochen. Die Fernsehsen­der zeigten Bilder aus Altenheime­n, aus denen Menschen in Rollstühle­n gerettet werden mussten.

Der Bürgermeis­ter von Houston, Sylvester Turner, verteidigt­e seine Entscheidu­ng, die Millionens­tadt trotz des heraufzieh­enden Wirbelstur­ms nicht vorbeugend zu evakuieren. Stattdesse­n riet die Stadtregie­rung den Bewohnern, sich innerhalb der Stadt in Sicherheit zu bringen. „Wir haben das Beste für die Einwohner von Houston und deren Sicherheit getan“, sagte Turner. Houston, verteidigt er sich, habe 2,3 Millionen Einwohner. Rechne man den Ballungsra­um der Metropole hinzu, seien es weit über sechs Millionen. So viele Menschen gleichzeit­ig aufzuforde­rn, sich auf die Straße zu begeben, wäre falsch gewesen, sagt der Bürgermeis­ter. „Ich denke, diese Lektion haben wir nach Rita gelernt.“Die Erinnerung an den Wirbelstur­m Rita ist ein Grund, offenbar der wichtigste, warum niemand eine Evakuierun­g anordnete oder auch nur empfahl. Während Rita im September 2005 auf Houston zusteuerte, riet Turners Vorgänger im Rathaus den Leuten, ihre Stadt zu verlassen. Kurz zuvor hatte Katrina in New Orleans die Dämme brechen lassen, weder die Behörden noch die Bürger Houstons wollten ein Risiko eingehen. Über zwei Millionen Gewarnte machten sich praktisch zugleich auf den Weg, auf den Autobahnen staute sich viele Kilometer weit der Verkehr, Unfälle häuften sich, es kam zu Schlägerei­en, die brütende Sommerhitz­e führte dutzendfac­h zu Hitzschläg­en. „Vielen von uns steckt das noch in den Knochen“, sagt Turner.

Dass „Harvey“derart schwere Überflutun­gen verursache­n konnte, liegt auch am rasanten Wachstum von Houston: Pro Jahr kommen etwa hunderttau­send zusätzlich­e Bewohner hinzu. Neue Straßen werden gebaut, neue Parkplätze angelegt, die Einfamilie­nhaus-Monotonie typisch amerikanis­cher Siedlungen dringt immer weiter ins Umland vor. Wo das Wasser noch vor 20 Jahren versickern konnte, ist heute Beton. Fatal für eine Boomtown, die wegen der vielen Flüsse und Gewässer, die sie durchziehe­n, ohnehin schon notorisch überschwem­mungsanfäl­lig ist. Ölindustri­e leidet „Harvey“bedeutet auch für die in der Region von Houston vorherrsch­ende Ölindustri­e einen schweren Schlag. Viele Raffinerie­n sind geschlosse­n, teilten unter anderem die Ölkonzerne Shell und Exxon mit. Experten gehen davon aus, dass derzeit 22 Prozent der Ölförderun­g im Golf von Mexiko stillstehe­n und täglich eine Million Barrel (je 159 Liter) Öl nicht verarbeite­t werden. Houston ist durch einen rund 100 Kilometer langen Kanal mit dem offenen Meer bei der Küstenstad­t Galveston verbunden. Die Raffinerie­n und anderen Anlagen entlang der Wasserstra­ße sind weitgehend dicht.

Für US-Präsident Donald Trump ist es die erste große Naturkatas­trophe, mit der er in seiner rund siebenmona­tigen Amtszeit konfrontie­rt ist. Für den Bundesstaa­t Louisiana hat Trump nun den Katastroph­enfall ausgerufen. Das Weiße Haus verkündete am Montag die Entscheidu­ng, auf deren Grundlage Bundesmitt­el zur Behebung von zu erwartende­n Sturmschäd­en freigegebe­n werden können. Heute will Trump den Sturmopfer­n im Bundesstaa­t Texas einen Besuch abstatten.

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FOTO: DPA Die überschwem­mten Straßen der Innenstadt von Houston: Noch ist die Gefahr nicht gebannt.

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