Kleiner Mann ganz groß?
Filmfestspiele von Venedig eröffnen mit „Downsizing“und schauen ins Bilderparadies
VENEDIG - Laborratten zu Barockmusik: Dies ist das allererste Kinobild bei den Filmfestspielen von Venedig in diesem Jahr. Nach „La La Land“im Vorjahr eröffnet man am Lido auch diesmal wieder mit Hollywood-Kino, allerdings von ganz anderer Sorte. Denn Regisseur Alexander Payne ist ein ganz anderes Regietemperament: Er macht kein Verschwendungskino wie das Sensationsmusical, sondern heiterschmunzelnde, menschenfreundliche und intelligente Verliererkomödien. Die Geschichte seines neuen Films „Downsizing“erinnert aber eher an verfilmten Dada: Die Wissenschaft hat eine Technik erfunden, um sich auf Däumlingsgröße verkleinern zu lassen. Das ist nicht nur klimaund ressourcenfreundlich, auch die Fluglinien können jetzt viel mehr Gäste auf einmal transportieren. Ein paar mutige Prozent der Menschheit wagen die üppig geförderte Technik als eine Avantgarde der Zukunft, darunter ein von Matt Damon gespielter Durchschnittsamerikaner. Von nun an geht es um das neue Leben in diesem Zukunftsliliput namens „Leisureland“. Manchmal ist das sehr witzig, besonders wenn Christoph Waltz und Udo Kier den eher amoralischen Teil der Geschrumpften repräsentieren.
Bis zum Schluss aber kann sich der Film nicht entscheiden, ob er eine weitere, typisch-Payne’sche-Loserkomödie sein will oder doch ein ernster Beitrag zur Weltlage, der vor dem Klimawandel warnt und uns wieder einmal die Übel des Kapitalismus vor Augen führt. So bleibt „Downsizing“ohne Überraschungen und stilistisch träge und behäbig – ein Ideendrama mit biederer Moral.
Faszinierendes Porträt
Man wüsste gern, was Nico über so einen Film gesagt hätte. Nico, das ist die 1938 als Christa Paeffgen geborene Gelegenheitsschauspielerin, die mit Fellini und Warhol gearbeitet hat, als Model, Sängerin und Musikvorreiterin bei Velvet Underground bekannt geworden ist. Die charismatische Wirkung dieser 1988 früh verstorbenen Frau ist fast vergessen. Susanna Nicchiarellis Spielfilm „Nico, 1988“erzählt von ihren letzten Lebensjahren und macht die Faszination dieser Person spürbar. Auch wenn Trine Dyrholm eben keine Nico sein kann und besser nicht versucht hätte, deren Songs nachzusingen, öffnet der Film doch ein Fenster zu dieser rätselhaften Frau und der deutschen Mythenlandschaft, die sie für viele repräsentierte.
Die andere Seite
Zwei New-Hollywood-Veteranen sind William Friedkin und Paul Schrader: Wie Nico sind auch sie von „der anderen Seite“fasziniert. Bei Friedkin ist das der Teufel, bei Schrader Gott. Folgerichtig begibt sich Friedkin in seinem neuen Werk, dem Dokumentarfilm „The Devil and Father Amorth“in die reale Hölle eines leibhaftigen Exorzismus, befragt Theologen wie Wissenschaftler voller Neugier und Offenheit, ohne eine schlüssige Antwort zu bekommen. Es gibt den Teufel, möglicherweise oder auch nur im Hirn von Kranken. In Schraders „First Reformed“spielt Ethan Hawke einen Priester, der hin und hergerissen ist zwischen leidenschaftlicher Berufung und dem alltäglichen Klein-Klein des Kirchenbetriebs. Er radikalisiert sich immer mehr, ist kurz davor, ein Selbstmordattentat gegen „sündhafte Reiche2 zu unternehmen, bevor ihm ein Ausweg aus dem Dilemma eröffnet wird: Gott ist schließlich auch die Liebe, und so erweist sich eine schöne blonde Witwe als irdischer wie spiritueller Rettungsanker.
Die „andere Seite“ist im Kino immer auch die der Fantasie und der Bilderkraft, zumal bei katholischen Regisseuren wie es auch der Mexikaner Guillermo del Toro ist. Dessen „The Shape of Water“ist der bis auf Weiteres bezauberndste Wettbewerbsbeitrag: Eine märchenhafte Geschichte, in der Elisa (Sally Hawkins), gewissermaßen eine amerikanische Cousine von „Amélie“, in einem imaginären Spät-Fünfziger-Jahre-Baltimore als Putzfrau bei einem Rüstungsbetrieb arbeitet. Elisa ist auch noch stumm, und so besteht ihr Leben vor allem aus dem Schwärmen für diverse Fernsehstars. Doch eines Tages entdeckt sie in ihrer Firma ein Wesen aus einer anderen Welt, eine Mischung aus Mensch und Fisch, das bis zum Ende namenlos bleibt. Sie freundet sich mit dem Wesen an, was per Zeichensprache offenbar besonders leicht ist. So entfaltet sich eine vielschichtige Abenteuer-FantasyGeschichte für Erwachsene, in der sowjetische Spione, ein repressives US-Suburbia und die Faszination für das alte Hollywood-Kino die Hauptrolle spielen – „Die Schöne und das Biest im Kalten Krieg“.
Del Toros Film fasziniert vor allem durch seine Lust am Geschichtenerzählen und an einem Kino der Bilder – ein hervorragender Auftakt für den Wettbewerb im Bilderparadies Venedig.