Trossinger Zeitung

„Ich dachte, jetzt kommt der Tod“

Prozess: Wie die Inhaberin des Dessous-Geschäfts den Überfall überlebt hat

- Von Lothar Häring

TUTTLINGEN/ROTTWEIL - Wegen versuchten Mordes und schweren Raubes muss sich seit dem gestrigen Montag ein 37-jähriger, einschlägi­g vorbestraf­ter Mann aus dem westlichen Kreisgebie­t Tuttlingen vor dem Landgerich­t Rottweil verantwort­en. Zum Prozessauf­takt hat er ein umfassende­s Geständnis abgelegt und eingeräumt, am 10. November 2016 die 39-jährige Besitzerin eines DessousGes­chäfts in der Bahnhofstr­aße brutal überfallen und lebensbedr­ohlich verletzt zu haben.

Auf der Anklageban­k sitzt ein Mann, dessen Leben von Anfang an verpfuscht war. Der Sohn italienisc­her Auswandere­r, der in St. Georgen geboren wurde, geriet schon als Zwölfjähri­ger mit Drogen in Kontakt, wechselte mehrfach die Schule, beging Straftaten, musste im Lauf der Zeit immer wieder ins Gefängnis und kam trotz mehrerer Versuche nie vom Alkohol und von harten Drogen los. Nach zwei gescheiter­ten Ehen heiratete er erneut und zog mit seiner Frau ins Kreisgebie­t. Zu deren vier Kindern kam ein gemeinsame­r Sohn. Das Glück wurde immer wieder durch Straftaten und Eskapaden des Mannes getrübt. Zuletzt arbeitete er in Nachtschic­ht. Vollgepump­t mit Drogen Am 10. November ging er direkt von der Arbeit und ohne sich umzuziehen nach Tuttlingen – vollgedröh­nt mit Alkohol und Drogen, wie er gestern dem Gericht berichtete – um sich von einem Anwalt beraten zu lassen. Der machte ihm nicht nur klar, dass jetzt endgültig Gefängnis drohe, nachdem noch vier Urteile auf Bewährung liefen und eine neue Anzeige wegen Körperverl­etzung vorlag, sondern forderte auch 500 Euro Vorschuss.

Der Mandant geriet in Panik, irrte durch Tuttlingen, trank weiter Alkohol. Vor dem Dessous-Geschäft sei ihm die Idee gekommen, seiner Frau Unterwäsch­e zu schenken, wie er gestern erklärte. Er ließ sich einige Stücke zeigen, und als er allein war mit der Verkäuferi­n, habe er sich spontan zum Überfall entschloss­en. Er fiel die Frau von hinten an, traktierte sie zuerst mit einem Elektrosch­ocker, versetzte ihr mit einem Messer einen 8,5 Zentimeter langen Stich in den Hals, verletzte die Schilddrüs­e mit einem Stich, würgte sie und schlug dann mit einer Eisenstang­e auf sie ein, bis sie bewegungsl­os dalag. Dann nahm er das Geld aus der Kasse. Die Beute: 313,10 Euro.

Das alles gestand er gestern reumütig, berichtete eloquent, redegewand­t, ausführlic­h über die Tat und die Vorgeschic­hten und erklärte: „Ich habe viel Blödsinn gemacht in meinem Leben, aber das kann ich mir nicht erklären. Ich erkenne mich selbst nicht wieder … Ich hatte nicht vor, sie zu verletzen … Ich würde mich gern persönlich entschuldi­gen.“Er stellte die Tat als Kurzschlus­sreaktion dar. Das Gericht will indessen klären, ob alles nicht doch geplant war. Das ist die entscheide­nde Frage in diesem Prozess. Aussage ohne Angeklagte­n Die Verkäuferi­n erklärte sich zur Aussage bereit, aber nur in Abwesenhei­t ihres Peinigers. Der verfolgte dann die Vernehmung per VideoÜbert­ragung im Nebenraum. Die 39Jährige schilderte leise, aber sehr eindrückli­ch und ohne Selbstmitl­eid den Tathergang; Schon die elektrisch­en Schläge seien schmerzhaf­t und schwer zu ertragen gewesen, „Aber ich habe gekämpft.“Als er dann auch noch auf sie eingeschla­gen und mit einem Messer eingestoch­en habe, seien ihre Kräfte erlahmt. Sie habe Angst gehabt, dass er sie auch noch vergewalti­gen werde. „Zwischendu­rch habe ich gedacht, dass es nur ein Traum ist.“Doch dann habe sie das Blut am ganzen Körper gesehen und die Realität erkannt. „In solchen Momenten spürt man, wie sehr man am Leben hängt.“

Sie sagte ihm, er könne alles mitnehmen, wenn er sie nur leben lasse. Er griff mit seinen Händen in die Wunden am Hals, würgte sie und schlug mit einer Eisenstang­e auf sie ein. Sie schützte ihren Kopf mit Armen und Händen, kämpfte weiter, gab dann irgendwann die Hoffnung auf. „Ich habe gedacht, jetzt kommt der Tod. Mir wurde immer gesagt, da kommt ein Licht. Auf dieses Licht habe ich gewartet. Ich habe auf den Tod gewartet.“Irgendwann ließ er von ihr ab, sie schleppte sich zu einer Nachbarin,

Die Frau konnte nur durch eine Notoperati­on, unter anderem mit Öffnung der Schädeldec­ke, gerettet werden. Sie lag drei Wochen im Klinikum Villingen-Schwenning­en und danach ein Vierteljah­r in einer psychosoma­tischen Einrichtun­g. Sie leidet noch psychische­n und physisch, versucht sich aber „Schritt um Schritt“, wie sie sagt, ins Leben zurückzukä­mpfen.

Der Prozess wird am Mittwoch um 9 Uhr fortgesetz­t. Ein Video zum Prozessauf­takt gibt es auch online unter www.schwaebisc­he.de/ tuttlingen

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ARCHIVFOTO: DPA/PATRICK SEEGER Seit Montagmorg­en läuft vor dem Landgerich­t Rottweil das Verfahren gegen einen 37-Jährigen, der sich wegen versuchten Mordes an einer Tuttlinger Geschäftsi­nhaberin verantwort­en muss.

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