Schlappe für Osteuropäer im Quotenstreit
Europäischer Gerichtshof nennt EU-Beschluss zur Umverteilung von Flüchtlingen rechtens
BRÜSSEL - Im langen Streit zwischen EU-Kommission und osteuropäischen Mitgliedsstaaten über die Umverteilung von Flüchtlingen gibt es jetzt einen klaren Sieger. Der Europäische Gerichtshof EuGH entschied am Mittwoch, dass der von einer Mehrheit der EU-Regierungen gefasste Beschluss Bestand hat, insgesamt 160 000 in Griechenland und Italien gestrandete Menschen in andere EULänder umzusiedeln. Ursprünglich hätte auch Ungarn entlastet werden sollen, lehnte aber eine Teilnahme an dem Programm ab.
Im EU-Vertrag ist vorgesehen, dass bei einer „Notlage“einzelner Länder wegen eines hohen Ansturms von Flüchtlingen „vorläufige Maßnahmen zugunsten der betreffenden Mitgliedsstaaten“per Mehrheitsbeschluss getroffen werden dürfen. Eine solche „Notlage“sah das Gericht im Sommer 2015 als gegeben an. Deshalb seien die damals beschlossenen Umverteilungsquoten rechtens. Ungarns Premier Victor Orbán allerdings boykottierte die Ratsbeschlüsse von Anfang an. Statt auf die Solidarität von Ländern zu vertrauen, die Flüchtlinge hätten übernehmen können, baute er einen Grenzzaun zu Serbien und focht den Umverteilungsbeschluss gemeinsam mit der Slowakei vor dem Europäischen Gerichtshof an. Kampfansage in Budapest Ungarns Außenminister Péter Szijjártó nannte die Gerichtsentscheidung „unverantwortlich“. Der richtige Kampf beginne jetzt erst. „Ungarn wird alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um sicherzustellen, dass niemand gegen den Willen des ungarischen Volkes nach Ungarn umgesiedelt werden kann“, drohte er. Orbáns Parteifreundin, die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier, begrüßte die Entscheidung des EuGH. „Das Urteil sendet das richtige Signal in Richtung der osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Die Weigerung zu fairer Kooperation ist langsam nervtötend. Die EU ist kein Verein von Rosinenpickern und Glücksrittern“, erklärte sie in Richtung Warschau, Prag, Bratislava und Budapest.
Orbán trieb den Konflikt mit Brüssel auf die Spitze, als er im Sommer von der EU-Kommission forderte, sich an den Kosten des Grenzzauns zu beteiligen, den er an der Grenze mit Serbien bauen ließ. Einen Tag vor dem EuGH-Urteil reagierte Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit einem Brief an den „lieben Victor“auf diese Provokation und sorgte dafür, dass er den Weg in die Medien fand.
„Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, dass Ungarn Solidarität als wichtiges Prinzip der Europäischen Union anerkennt und dass es die Unterstützung schätzt, die die Union beim Schutz der gemeinschaftlichen Interessen aufbieten kann“, schrieb Juncker. Doch es sei eine freie Entscheidung der ungarischen Regierung gewesen, die Umsiedlung von 54 000 in Ungarn gelandeten Flüchtlingen und Hilfsgelder für Flüchtlingsbetreuung in Höhe von vier Millionen Euro zurückzuweisen.
2014 und 2015 habe Ungarn als zusätzliche Unterstützung in der Flüchtlingskrise 6,26 Millionen Euro aus Brüssel erhalten, aber nur ein Drittel davon ausgeben können, so Juncker. Das restliche Geld sei verfallen. Wenn die Regierung nun Hilfe bei der Grenzsicherung wünsche, könne sie auf die EU-Grenzschutzagentur Frontex zurückgreifen. Als Juncker diesen Brief schrieb, war noch nicht klar, dass Ungarn und die Slowakei vor dem EuGH auf ganzer Linie Schiffbruch erleiden würden. Als aber am Mittwoch der für Flüchtlingsfragen zuständige Kommissar Dimitris Avramopoulos die aktuellen Umverteilungszahlen verkündete, war das Urteil bereits veröffentlicht. Laut Kommissionsstatistik wurden bislang 28 000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien in andere Mitgliedsstaaten gebracht. Hinter dem Plan, bis zum 26. September insgesamt 160 000 Migranten umzuverteilen, bleibt diese Zahl weit zurück.
Allerdings haben der Türkeipakt und die Absprachen mit libyschen Milizen Wirkung gezeigt. Laut Avramopoulos warten in Griechenland nur 2800 registrierte Flüchtlinge auf Umsiedlung, weitere 2000 müssen noch registriert werden. In Italien kamen 2017 lediglich 7200 Menschen an, die für eine Umsiedlung infrage kommen. 3200 von ihnen wurden noch nicht registriert. Die vergleichsweise geringen Zahlen erklären sich dadurch, dass nur Flüchtlinge ins Umsiedlungsprogramm aufgenommen werden, bei denen die Chance hoch ist, dass sie Asylstatus erhalten.
Die osteuropäischen Länder, die bislang keine oder nur wenige Plätze für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt haben, können dennoch nicht darauf hoffen, dass sich das Thema erledigt hat. Gestärkt durch das Gerichtsurteil wird die EU-Kommission noch deutlicher als bisher darauf drängen, dass jeder seinen Anteil übernimmt. Ungarn hat bis jetzt keine Flüchtlinge aufgenommen, die Slowakei von 902 zugewiesenen Personen nur 16. Ähnlich stur stellt sich Polen. Wenn diese drei Länder nicht einlenkten, werde die EU-Kommission sie verklagen, drohte Avramopoulos.