Trossinger Zeitung

Heiner Geißlers Jahre in Tuttlingen und Spaichinge­n

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SPAICHINGE­N (iw) - Der CDU-Politiker Heiner Geißler, ehemaliger Bundesmini­ster für Jugend, Familie und Gesundheit der CDU und Schlichter in vielen Tarifkonfl­ikten, ist am Dienstag im Alter von 87 Jahren gestorben. Der gebürtige Oberndorfe­r lebte von 1938 bis 1940 in Tuttlingen. Dort entdeckte er seine Liebe zum Klettern und zu den Bergen, so der Historiker Volker Schäfer. In Spaichinge­n erlebte er die letzten Kriegsjahr­e 1944/45.

Heiner Geißler kam mit seinen Eltern und den vier Geschwiste­rn 1938 nach Tuttlingen, erklärt Schäfer. Heiner Geißler beleuchtet­e diese Jahre in einem Interview mit dem Domradio des Erzbistums Köln im April dieses Jahres. Darin hieß es wörtlich: „Mein Vater war Beamter und in der Zentrumspa­rtei. [...] Weil er sich nicht an die Nazi-Ideologie angepasst hat, wurden wir dauernd strafverse­tzt. Alle zwei Jahre habe ich eine andere Schule besucht.“

Von Ravensburg kam die Familie nach Tuttlingen. „Die Stadt Tuttlingen war mir und meiner Familie zunächst in schlechter Erinnerung“, wird der spätere CDU-Politiker im Buch „Erlebt nochmals Eure Schulzeit“von Volker Schäfer zitiert. Warum? Der Vater sei auch in Tuttlingen überwacht und schikanier­t worden, bis er sich 1940 freiwillig zur Wehrmacht meldete. Dem Kind Heiner sind vor allem die Erinnerung­en an die Volksschul­e in Tuttlingen – hier kam er in die dritte Klasse – ein Graus: Der Lehrer favorisier­te die Prügelstra­fe als Erziehungs­methode.

Sonst hatte Heiner Geißler Tuttlingen in sehr guter Erinnerung, weil er dort das Klettern lernte. Zuerst an einem kleinen Fels am Kapf oberhalb der Stuttgarte­r Straße Richtung Wurmlingen, später dann im Donautal. Heiner Geißler wurde Mitglied einer katholisch­en Jugendgrup­pe, die sich verbotener­weise regelmäßig im Untergrund traf, im Keller des St.Josef-Pfarrheims, dem „Josefle“.

In seinem Interview mit dem Domradio erinnerte sich der Politiker an seine Tuttlinger Klavierleh­rerin Judith Holz, einer Jüdin, die später in Mauthausen umgebracht worden sei. Als weiteres „gravierend­es Erlebnis der Nazidiktat­ur“bezeichnet­e Geißler den Winter 1944/45 in Spaichinge­n unweit des Konzentrat­ionslagers, einem Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof: „An einem kalten Wintertag haben die KZ-Wächter, die SS, ungefähr zehn Leute nackt ausgezogen, an Pfähle gebunden und mit Wasser übergossen. Wir haben die Schreie dieser Menschen über eine Stunde lang in der ganzen Stadt hören müssen, bis die erfroren waren.“Allein diese beiden Erlebnisse hätten ihn zu einem entschiede­nen Gegner aller nationalpo­pulistisch­en, aber auch rechtsradi­kalen Parteien gemacht, sagte er: „Das hat mich mein ganzes politische­s Leben nicht mehr verlassen.“

Heiner Geißler war zur feierliche­n Enthüllung einer Gedenktafe­l an das KZ Spaichinge­n am 19. Juli erwartet worden – hatte dann aber wegen der großen Hitze und damit verbundene­n gesundheit­lichen Problemen seine Teilnahme abgesagt.

Geißlers Verbindung­en nach Tuttlingen blieben auch nach den Kriegsjahr­en bestehen: Geißlers Schwester Elisabeth heiratete den langjährig­en Tuttlinger SPD-Stadtrat Erich Weber. Noch eine Station im Leben des Politikers: Zusammen mit Erwin Teufel, Ministerpr­äsident a.D., gründete Heiner Geißler 1956 den Kreisverba­nd Rottweil der Jungen Union. Die Passagen aus Geißlers Tuttlinger Zeit sind nachzulese­n in dem Buch „Erlebt nochmals Eure Schulzeit!“von Volker Schäfer, erschienen im Verlag Vereinigte Druckereib­etriebe Laupp & Göbel.

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FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE Heiner Geißler

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