Trossinger Zeitung

„Wenn ich Sirenen höre, erschrecke ich noch immer“

Jürgen Prochnow, der ewige Kommandant aus „Das Boot“, über seinen neuen Film „Leanders letzte Reise“

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Das Boot“war sein Schicksal: Als U-Boot-Kommandant gelang dem Schauspiel­er Jürgen Prochnow 1981 der große Durchbruch. Nach diesem Erfolg ging Prochnow nach Hollywood, wo er unter anderem an der Seite von Sylvester Stallone und Madonna spielte. Zuletzt drehte der 76-Jährige wieder auf Deutsch und verlegte seinen Wohnsitz nach Berlin. Derzeit ist Prochnow in dem Streifen „Leanders letzte Reise“im Kino zu sehen. Dort mimt er einen ehemaligen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg, der sich mit 92 Jahren in der Ukraine auf Spurensuch­e begibt. Dieter Oßwald hat sich mit Prochnow über den Film, die Erfahrunge­n in Hollywood und die Angst vor dem Alter unterhalte­n. Herr Prochnow, erleben Sie es bisweilen als Fluch, als der ewige Kommandant von „Das Boot“gehandelt zu werden? Kaum jemand redet über „Die Konsequenz“, ein Schwulendr­ama von Wolfgang Petersen, das 1977 so mutig war, dass sich der Bayerische Rundfunk aus der TV-Ausstrahlu­ng ausblendet­e ... Auf „Die Konsequenz“werde ich durchaus noch häufig angesproch­en. Das war damals eine Sensation. Ich bin sehr stolz darauf, den Mut aufgebrach­t zu haben, zu dieser Zeit in solch einem Film zu spielen. Ohne Wolfgang Petersen und das große Vertrauen zu ihm wäre das sicher nicht passiert. Heute ist das Thema Lesben und Schwule eine Selbstvers­tändlichke­it, aber damals waren die Zeiten noch ziemlich vernagelt. Viele haben mir das auch gedankt und gesagt, dieser Film habe eine Lanze für sie gebrochen. „Die Konsequenz“hat etwas bewegt – und das ist schön. Welche Rolle hat „Das Boot“für Ihr Leben gespielt? „Das Boot“war der Wendepunkt in meinem Leben. Das hat mich nach Hollywood gebracht, was überhaupt nicht abzusehen war. Kein Mensch hatte an solch einen enormen Erfolg von diesem Film geglaubt – ich selbst übrigens auch nicht. Wie fällt Ihre Bilanz zu Hollywood aus? Das sind schöne Erinnerung­en für mich. Ich bin dort von Anfang an unglaublic­h gut aufgenomme­n und mit großem Respekt behandelt worden. Man gab mir Rollenange­bote, die ich ohne „Das Boot“niemals bekommen hätte. Und ich konnte mit ganz wunderbare­n Menschen zusammenar­beiten. Die Brücken sind auch nicht abgebroche­n. Ich habe noch meinen Agenten in Amerika und besitze die dortige Staatsange­hörigkeit. Zudem fließen von dort zum Glück noch Einnahmen – denn mit meiner deutschen Rente liege ich unter der Armutsgren­ze. Weshalb haben Sie so lange keine deutschen Filme mehr gemacht? Ich weiß, dass Leute mir Drehbücher nach Amerika geschickt haben, die aber nie bei mir angekommen sind. Das landete bei der Agentur, war auf Deutsch und kam in den Papierkorb. Später hörte ich Vorwürfe, warum ich mich nie gemeldet hätte. Das fand ich schade und habe mir deshalb auch wieder eine deutsche Agentur genommen. Nach „Die dunkle Seite des Mondes“und „Kundschaft­er des Friedens“ist „Leanders letzte Reise“ihr dritter deutscher Film in Folge. Sind Sie im Rentenalte­r wieder im deutschen Kino angekommen? Das weiß ich nicht, das müssen Sie sagen. Ich bin jedenfalls von Los Angeles nach Berlin gezogen und lebe dort seit 1. April in meiner neuen Wohnung. Wieder deutsche Filme zu drehen, macht mir auf alle Fälle sehr viel Spaß. Nicht nur wegen der Sprache. Auch die Rollen in diesen drei Produktion­en fand ich wunderbar. Was fanden Sie so wunderbar an Leander? Leander ist ein Mensch, der ein Geheimnis in sich trägt. Er war nie in der Lage, mit seiner Familie über die Erfahrunge­n in seinem Leben zu reden. Seine Schuld und seine große Liebe hat er immer nur verdrängt. Erst durch den Tod seiner Frau unternimmt Leander diese Reise zu den Orten seiner Vergangenh­eit, die er schon viel früher hätte machen müssen. Mit welchen Gefühlen spielt man eine Figur, die 92 Jahre alt ist? Für mich war das eine Herausford­erung, die ich gerne angenommen habe. Für einen Schauspiel­er bietet solch eine Figur einen großen Reiz. Zumal dieser Leander auch mit mir selbst sehr viel zu tun hat. Wobei meine Frau gegen das Projekt war, weil sie nicht wollte, dass ich zu Dreharbeit­en in ein Kriegsgebi­et reise. Die Produzente­n haben uns aber versichert, in Kiew könne man gefahrlos drehen. Was hat Leander mit Ihnen zu tun? Ich bin 1941 geboren, meine ersten Erinnerung­en sind mit dem Zweiten Weltkrieg verbunden. Unsere Familie wurde in Berlin ausgebombt. Danach lebten wir bis 1945 in Pommern, bis die Russen kamen. Aus dieser Zeit habe ich bis heute Bilder im Kopf. Auch wenn ich Sirenen höre, erschrecke ich noch immer. Einiges aus den Erzählunge­n von meinem Vater und Großvater habe ich in diese Figur des Leander eingebaut. Haben Sie Angst vor dem Alter? Wenn mir bisweilen ein Name nicht einfällt, erschrecke ich schon ein bisschen. Aber andere sagen, das gehe ihnen ähnlich. Vor Vergesslic­hkeit habe ich etwas Angst, aber nicht so, dass es mich verfolgt oder permanent zu fühlen wäre. Ich bin noch in der Lage, einen Film zu drehen. Zwölf Stunden am Tag sind ja nicht ohne Anstrengun­g, auch viel Konzentrat­ion ist dabei gefordert. Aber das geht noch, und es macht mir noch Spaß. Wenn ein gutes Angebot kommt, greife ich zu. Allerdings habe ich nicht mehr die Haltung, ich müsse nun alles drehen, was es auf dem Markt gibt. Es soll ein Remake von „Das Boot“als TV-Serie geben. Werden Sie an Bord sein? Um Gottes willen: Da wäre ich dann nicht der Alte, sondern der Ur-UrUr-Ur-Alte! Das geht also gar nicht. Wie stehen Sie zu so einer Neuauflage? Fragen Sie mich bitte nicht! „Das Boot“ist einer der großartigs­ten Filme der deutschen Filmgeschi­chte.

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FOTO: DPA

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