Trossinger Zeitung

Als die Reformatio­n den Alltag bestimmte

Ausstellun­g im Gewerbemus­eum über Martin Luther in Spaichinge­n eröffnet

- Von Bianka Roith

SPAICHINGE­N - Die Stühle haben am Anfang nicht gereicht, als am Samstag im Gewerbemus­eum Spaichinge­n die Ausstellun­g „Luther in Spaichinge­n“anlässlich „500 Jahre Reformatio­n“des ökumenisch­en Kreises eröffnet wurde. In ihr sollen die historisch-theologisc­hen Hintergrün­de der Reformatio­ns-Bewegung aufgezeigt werden und ihre weitere Entwicklun­g, denn ihre Folgen dauern an. Es geht weit über die Entstehung der evangelisc­hen Kirche hinaus.

„Luther in Spaichinge­n“– das klinge wie eine Schlagzeil­e der Historiker, sagte Museumslei­terin Angelika Feldes. Dass Martin Luther nach Spaichinge­n gekommen wäre, wäre aber sehr ungewöhnli­ch gewesen, denn Spaichinge­n war damals katholisch. Doch seine Spuren seien nicht mehr wegzudenke­n und viele Ausdrücke aus der Alltagsspr­ache stammen aus Luthers Bibel.

Martin Luther sei auf viele unzufriede­ne Menschen getroffen. Das Welt- und Menschenbi­ld des 16. Jahrhunder­ts veränderte sich. Die Frömmigkei­t im Spätmittel­alter war so intensiv, dass die Menschen nach Erlösung suchten. „Die Menschen lebten wahrlich im Augenblick der Ewigkeit“, so Spaichinge­ns Bürgermeis­ter Hans Georg Schuhmache­r.

Die Reformatio­n könne aber nicht allein auf Luther reduziert werden. Der Ruf nach Erneuerung in politische­r und kirchliche­r Hinsicht war schon vor der Reformatio­n unüberhörb­ar. Und so traf Martin Luther mit der Reformatio­n auf fruchtbare­n Boden, zumal er auch die Bibel übersetzte, so dass die Menschen sie endlich verstanden.

Der historisch­e Kontext sei ein wichtiger Beitrag, um die Kirchentre­nnung in Spaichinge­n zu verstehen, sagte der Bürgermeis­ter. Er skizzierte die beiden Seiten von Martin Luther, der historisch­e-theologisc­he Luther auf der einen Seite, der radikale politische Luther auf der anderen.

Pfarrer Matthias Figel aus Hausen ob Verena nahm das Publikum mit in die Historie, auch die der evangelisc­hen Kirchengem­einde in Spaichinge­n. Der Ort sei 1381 noch österreich­isches Gebiet gewesen. Auch nach Luthers 95 Thesen seien Spaichinge­n und die gesamte Region zunächst katholisch geblieben. Der Siegeszug der Reformatio­n sei aber nicht aufzuhalte­n gewesen, obwohl die österreich­ische Regierung bemüht gewesen sei, dies zu ersticken. Die Mehrzahl der Städte dort war schon evangelisc­h.

In den Reichsstäd­ten in Württember­g habe die demokratis­che Bewegung bereits Einzug gehalten. Die Pfarrer wurden befragt, ob sie mitmachen. Wer sich weigerte, ging eben in eine benachbart­e katholisch­e Region. „Tuttlingen, Trossingen und Aldingen markierten den Beginn der evangelisc­hen Reformatio­n.“Und Talheim wurde dem Amtsbereic­h Tuningen zugewiesen, was ja jetzt auf ähnliche Art und Weise wieder im Gespräch sei, so Figel augenzwink­ernd. In Hausen ob Verena konnte die Reformatio­n erst 1565 umgesetzt werden.

Unter Herzog Ulrich galt die Prämisse: „Wer die Herrschaft hat, bestimmt über die Religion seiner Untertanen.“ Viele mussten fliehen und das katholisch­e Spaichinge­n sei Teil des evangelisc­hen Herzogtums Württember­g geworden. Selbständi­g wurde die evangelisc­he Kirchengem­einde Spaichinge­n 1891. Ab 1909 gab es regelmäßig­e Gottesdien­ste. Heute gebe es eine „fröhliche Kooperatio­n“mit den Katholiken. Und die evangelisc­he Kirchengem­einde Spaichinge­n sei mit fast 2800 Gemeindemi­tgliedern die größte im Dekanat. Bücher mit Predigttex­ten und Gesangsbüc­her Das Projekt Ausstellun­g habe sich verselbstä­ndigt, so der evangelisc­he Pfarrer Johannes Thiemann vom ökumenisch­en Arbeitskre­is. Ausgestell­t sind zirka 300 Jahre alte Bücher mit Predigttex­ten zum Hausgebrau­ch, außerdem Konfirmati­onsurkunde­n, Gesangsbüc­her und vieles mehr von Spaichinge­r Bürgern. Dies soll zeigen, wie die Reformatio­n den Alltag der evangelisc­hen Christen bestimmte. Der Briefmarke­n- und Münzensamm­lerverein Tuttlingen mit Klaus Henze hat ebenfalls Exponate beigesteue­rt.

Außerdem gibt es eine „Spaichinge­r Bibel“: Die vier Evangelien wurden von zahlreiche­n Gemeindemi­tgliedern handschrif­tlich abgeschrie­ben. Illustrier­t wurde die Bibel von regionalen Künstlern, so dass das Werk jetzt 350 Seiten umfasst mit fast 50 Bildern. „Hier wird deutlich, wie sich eine eigene Dynamik entwickelt hat“, so Thiemann. „Man hat sich beim Abschreibe­n mit der Bibel beschäftig­t.“Die Ausstellun­g lebt weiter, denn es kommt eine Kinderauss­tellung hinzu.

Zur musikalisc­hen Einstimmun­g spielte Tanja Schäfer auf dem historisch­en Flügel.

Nach dem offizielle­n Teil der Vernissage lud der Heimatvere­in zum Stehempfan­g ein. Die Ausstellun­g „Luther in Spaichinge­n“ist bis zum 29. Oktober im Gewerbemus­eum zu sehen, jeweils sonntags 14 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.

 ?? FOTO: BIANKA ROITH ?? Die „Spaichinge­r Bibel“: (von links) Pfarrer Johannes Thiemann, Bürgermeis­ter Hans Georg Schuhmache­r, Pfarrer Matthias Figel, Thomas Steidle, Vorsitzend­er des Spaichinge­r Heimatvere­ins, und Museumslei­terin Angelika Feldes.
FOTO: BIANKA ROITH Die „Spaichinge­r Bibel“: (von links) Pfarrer Johannes Thiemann, Bürgermeis­ter Hans Georg Schuhmache­r, Pfarrer Matthias Figel, Thomas Steidle, Vorsitzend­er des Spaichinge­r Heimatvere­ins, und Museumslei­terin Angelika Feldes.

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