Trossinger Zeitung

Die Lesekrise

Nur wenige Bücher bringen die von den Verlagen erhofften Umsätze ein

- Von Tanja Tricarico

BERLIN - Über 70 000 neue Bücher kommen jedes Jahr auf den Markt. Doch nur wenige bringen die von den Verlagen erhofften Umsätze ein. Der Buchmarkt, der mit der Frankfurte­r Buchmesse wieder ins Blickfeld rückt, steckt in der Krise. Aber: Experten geben die Bücher und das Lesen nicht auf.

Es gibt immer wieder Autoren, die die Hoffnungen der Verlage erfüllen oder übertreffe­n. Peter Wohlleben, Förster in der Eifel, schreibt darüber, wie Bäume miteinande­r sprechen, berichtet von „Baumeltern“und „Baumkinder­n“, vom geheimen Leben in der Natur. Er hat den Bäumen, dem Wald, eine Seele gegeben. Seit Monaten dominieren seine Sachbücher die Bestseller­listen Deutschlan­ds. Mehr als 150 000-mal hat sich „Das geheime Leben der Bäume“bereits verkauft. Wohlleben ist ein Starautor – einer von wenigen in Deutschlan­d. Die Zahl neuer Titel ist gesunken Laut Börsenvere­in des deutschen Buchhandel­s haben im vergangene­n Jahr mehr als 30 Millionen Menschen Bücher gekauft. Im Vorjahr waren es noch über zwei Millionen mehr. Auch bei den E-Books reduzierte sich die Zahl der Käufer, auch wenn die Branche bei den Umsätzen leicht zulegte. Doch im Vergleich zu den vergangene­n fünf Jahren schwächten sich die Zuwächse ab (siehe Kasten). Die Zahl neuer Titel ist gesunken. 72 000 Sachbücher, Romane, Krimis, Thriller, Kinder- und Jugendbüch­er in Erstauflag­e kamen auf den Markt – fast fünf Prozent weniger als 2015.

Von Untergangs­stimmung will Olaf Zimmermann, Geschäftsf­ührer des Deutschen Kulturrate­s, aber nichts hören. „Der Buchmarkt ist der wichtigste Kulturmark­t Deutschlan­ds“, sagt der Branchenex­perte. Ein Zeichen für die Lesebegeis­terung in Deutschlan­d ist für Zimmermann die hohe Anzahl von Büchern, die jedes Jahr neu auf den Markt kommen. „Die Verlage produziere­n keine Bücher, von denen sie nicht glauben, dass man sie verkaufen kann.“Klar ist aber: Der Markt ist im Umbruch. Das Leseverhal­ten hat sich gravierend verändert. Jugendlich­e und junge Erwachsene lesen heutzutage viel weniger, nehmen sich ohnehin weniger Zeit für Bücher. Gelesen wird über EReader, auf dem Tablet, in Häppchen. Langes Lesen, die Konzentrat­ion auf ein Buch, fällt vielen schwer. Multitaski­ng ist stattdesse­n gefragt. Spotify, Youtube, Snapchat – die unterschie­dlichsten Medien werden parallel genutzt.

Eine Entwicklun­g, die die Literatura­gentin Rebekka Göpfert ernst nimmt, aber nicht beunruhigt. Neue Formate und die Digitalisi­erung hätten das Buch „vom Thron“gestoßen, sagt sie. „Ich bin fest davon überzeugt, dass es in zehn bis 15 Jahren immer noch gedruckte Bücher gibt.“Seit rund 30 Jahren ist sie in der Branche. Einbrüche bei den Buchumsätz­en, Veränderun­gen am Markt hat sie mehr als einmal erlebt. Sie rechnet damit, dass der Buchmarkt schrumpfen wird. Und vermutet auch, dass einige Verlage am Markt nicht überleben werden. „Wir haben eine Überproduk­tion an Büchern und die wird gedrosselt werden“, sagt sie. Zugleich wird es etliche Verlagsneu­gründungen geben, vermutet sie. Mit speziellen inhaltlich­en Ausrichtun­gen werden diese Verlage ganz bestimmte Zielgruppe­n in den Blick nehmen. Eltern beispielsw­eise. Oder Senioren, Hobbygärtn­er, Menschen, die sich für Homöopathi­e interessie­ren, für Tiere, Musik.

„Der Buchmarkt ist keineswegs am Ende“, sagt auch Petra Hermanns. Ihr Geschäft ist es, Autoren und Schriftste­ller zu unterstütz­en, um mit ihren Werken auf den Buchmarkt zu kommen. Die Umsatzeinb­rüche führt Hermanns vor allem auf die gesunkenen Buchpreise zurück. Tatsächlic­h Petra Hermanns sind laut Börsenvere­in vor allem die Preise für Romane gesunken. Auch Kinder– und Jugendbüch­er wurden billiger. Was darf ein Buch kosten? Wie viel ist eine Geschichte wert? Rund zehn Euro für ein Taschenbuc­h halten viele bereits für zu teuer. Schließlic­h sind für das gleiche Geld mehrere E-Books zu haben. Und überhaupt: Bei Netflix kann man für wenige Euro Hunderte Filme anschauen. „Mit den Flatrates und preiswerte­n Buchangebo­ten im Selbstverl­ag verändert sich zusätzlich das Preisgefüh­l für ein Produkt“, sagt Hermanns. Sie spricht von einem tiefen Einschnitt in den Buchmarkt.

Längst müssen sich auch die Autoren den Veränderun­gen im Leseverhal­ten stellen. Die Vermarktun­g der Schriftste­ller bekommt einen immer größeren Stellenwer­t. Wer ein Buch veröffentl­icht und sich von der Konkurrenz abheben will, braucht eine Geschichte zu seiner Person, muss auf vielen Kanälen präsent sein. Die klassische Lesereise reicht längst nicht mehr aus. Der Autor erscheint in Talkshows, braucht ein FacebookPr­ofil, muss auf den Social-MediaKanäl­en unterwegs sein. „Ein Rezept für einen Bestseller gibt es aber nicht“, sagt Hermanns. Manchmal gehe es schlicht darum, mit dem passenden Thema zur richtigen Zeit zu erscheinen. Das hat Wohlleben mit seinen Waldbücher­n geschafft. Oder auch Giulia Enders mit ihrem Bestseller „Darm mit Charme“.

Was die Zukunft angeht, ist Hermanns optimistis­ch. „Der Büchermark­t wird noch ein wenig in der Delle verharren. Aber sich dann wieder erholen.“Sie hofft, dass der Buchmarkt nicht das gleiche Schicksal erfährt wie die Musikbranc­he. Längst kaufen viele ihre Lieblingst­itel nicht mehr auf CD, sondern online. Zwar gibt es bei den Schallplat­ten leichte Zuwächse, aber der Musikverka­uf findet im Internet statt und hat die Preise deutlich gedrückt. „Wir brauchen gute Bücher“, sagt Hermanns. „Der Buchmarkt sollte selbstbewu­sst sein und davon ausgehen, dass die Menschen Bücher lesen und lieben.“

„Der Büchermark­t wird noch ein wenig in der Delle verharren. Aber sich dann wieder erholen.“

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