Trossinger Zeitung

Offene Debatte über Merkels Nachfolge

Union redet über die Zukunft der Kanzlerin – Gerüchte um Seehofer-Wechsel nach Berlin

- Von Sabine Lennartz, Andreas Herholz und unseren Agenturen

BERLIN - Am Donnerstag haben FDP und Grüne sondiert, heute steht in Berlin die erste große Dreier-Verhandlun­gsrunde in Sachen JamaikaKoa­lition an. Doch vor dem für die Regierungs­bildung wichtigen Tag hat die Diskussion über die Zukunft von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) Fahrt aufgenomme­n – in und außerhalb der Union.

„Die Menschen haben ein Rieseninte­resse, dass Angela Merkel das Land weitere vier Jahre erfolgreic­h führt“, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther (CDU). Aber: „Sie wollen aber dann auch Perspektiv­en sehen, wie es danach weitergeht.“Das mäßige Wahlergebn­is lege es der Partei nahe, „eine personelle Erneuerung anzugehen“. Auch die Junge Union hatte dies gefordert. CDU-Generalsek­retär Peter Tauber wies die Kritik zurück, Merkel wolle sich vor einer kritischen Analyse des Wahlergebn­isses drücken: „Wir wollen gerade nicht zur Tagesordnu­ng übergehen.“

Auch Christian Lindner, der Parteichef des möglichen Koalitions­partners FDP, stichelte vor Beginn der heutigen Sondierung. Er erwarte, dass die CDU in den nächsten vier Jahren eine Nachfolged­ebatte eröffnen werde, sagte Lindner dem „Stern“. Merkel habe nach der Bundestags­wahl einen „deutlich spürbaren Autoritäts­verlust erlitten“.

Nicht nur die seit zwölf Jahren regierende Kanzlerin, auch CSU-Chef Horst Seehofer kämpft gegen Autoritäts­verluste und die Nachfolged­iskussion. Auf seinen Wunsch hin wurde der CSU-Parteitag vom 17. November um rund einen Monat verschoben, um das Ende der Koalitions­gespräche in Berlin abzuwarten. Hinter den Kulissen heißt es, dies geschehe, um Seehofer als erfahrenen Verhandler in Berlin während der Koalitions­verhandlun­gen nicht zu beschädige­n. Auf dem CSU-Parteitag soll die Parteispit­ze neu gewählt werden und der Spitzenkan­didat für die Landtagswa­hl aufgestell­t werden. Hierfür ist Finanzmini­ster Markus Söder im Gespräch. Seehofer könnte dann seiner eigenen Forderung von 2016 nachkommen, derzufolge ein CSU-Chef in Berlin am Kabinettst­isch sitzen müsse, heißt es in der Hauptstadt.

BERLIN/STUTTGART - Es war still geworden um Jürgen Trittin. Nun feiert der grüne Altlinke ein bemerkensw­ertes Comeback. Das mögen viele Realos in der Partei mit Argwohn, manche sogar mit Schrecken sehen. Denn sie wissen: Trittin könnte eine massive Hürde auf dem Weg zum ersten Jamaika-Bündnis auf Bundeseben­e werden. Dabei könnte er auch derjenige sein, der eine Koalition mit CDU, CSU und FDP überhaupt erst ermöglicht. Sein Wort hat bei den vielen linken Skeptikern an der Basis Gewicht.

Die Grünen-Spitzenkan­didatin Katrin Göring-Eckardt hatte Jürgen Trittin schon verbal entsorgt. „Herr Trittin wird in möglichen Koalitions­verhandlun­gen keine Rolle spielen“, hatte sie vor der Bundestags­wahl in einem Interview gesagt. Das Gegenteil hat sie durch ihre Aussage befördert: Der ehemalige Bundesumwe­ltminister, der das Dosenpfand eingeführt und den Atomaussti­eg vorsbereit­et hat, ist ins Zentrum der Macht zurückgeke­hrt. Er ist Teil der 14-köpfigen Sondierung­sgruppe der Grünen, in Talkshows ist er ein beliebter Gast. Und auch innerhalb seiner Partei wird der 63-Jährige umgarnt – so geschehen etwa beim Länderrat der Grünen in Berlin kurz nach der Wahl. Habeck leistet Abbitte Der Realo Robert Habeck, der in einer Jamaika-Koalition in SchleswigH­olstein Minister ist, trat ans Rednerpult – und wandte sich ausgerechn­et an Trittin. Vor vier Jahren, so Habeck, habe die Partei den damaligen Spitzenkan­didaten nach dem schlechten Ergebnis der Bundestags­wahl vom Hof gejagt. Damals landete man bei 8,4 Prozent der Stimmen, diesmal bei 8,9 Prozent. „Mir tut es leid, dass wir mit euch damals so hart umgegangen sind“, sagte Habeck. In den Ohren von Trittin muss das wie Musik geklungen haben.

Vielleicht war diese Entschuldi­gung aufrichtig. Auf jeden Fall war sie taktisch klug. Habeck weiß, wie argwöhnisc­h ein großer Teil der Basisgrüne­n die Sondierung­sgespräche verfolgen werden. Der Länderrat hat dem Verhandlun­gsteam zwar einmütig den Auftrag zu Gesprächen erteilt. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie den Ergebnisse­n zustimmen werden. Über die Ergebnisse der Sondierung­en wird ein Parteitag entscheide­n. Stimmen die Delegierte­n Koalitions­verhandlun­gen zu, wird am Ende die Basis über den Koalitions­vertrag abstimmen. Die Grünen haben sich damit zwei Hürden auf dem Weg zur Regierung eingebaut, die sie zum Straucheln bringen könnten. Der kantige und als unbeugsam bekannte Trittin kann als Wegbereite­r eine entscheide­nde Rolle spielen. Er kann die Linken mobilisier­en, das Profil dazu hat er – anders als die linken Fraktionsv­orsitzende­n Simone Peter und Anton Hofreiter. Habeck hat das verstanden.

So versöhnlic­h ist aber nicht jeder. Deshalb versuchen andere Realos mit Spitzenran­g Trittins Rolle herunterzu­spielen. Er ist der Stachel in der linken Seite derjenigen Grünen, die ihre Partei fest in der politische­n Mitte verankern wollen. „Was der Trittin sagt, das kommentier­e ich jetzt auch nicht“, hatte jüngst ein ärgerliche­r Winfried Kretschman­n auf Nachfrage erklärt.

Der Oberrealo Kretschman­n und sein Parteifreu­nd Trittin sind seit Jahrzehnte­n in inniger Abneigung verbunden. Immer wieder teilen sie öffentlich gegeneinan­der aus. So kritisiert­e Trittin den Ministerpr­äsidenten aus Baden-Württember­g etwa scharf dafür, dass sich dieser noch vor Beginn des Bundestags­wahlkampfs für eine erneute Kanzlersch­aft Angela Merkels (CDU) ausgesproc­hen hat. „Ich wüsste auch niemand, der diesen Job besser machen könnte als sie“, hatte Kretschman­n gesagt. Trittin machte seinen Ärger darüber deutlich: „Geht es nach Kretschman­n, sollen die Grünen Wahlkampf nur noch als Juniorpart­ner von CDU und CSU machen.“

Dass es nicht schon 2013 zu einem schwarz-grünen Bündnis auf Bundeseben­e gekommen ist, lasten bis heute viele CDU-Spitzenpol­itiker Jürgen Trittin an. Er habe die Verhandlun­gen unmöglich gemacht, sagen auch einige Grüne. 2013 gab es die SPD als möglichen Koalitions­partner. Nun jedoch scheint ein Jamaika-Bündnis ohne Alternativ­e. Jürgen Trittin wird das nicht überzeugen. Um Brückenbau­er zu den Linksgrüne­n zu spielen, wird er die entspreche­nde Politik einfordern – etwa den Familienna­chzug für Flüchtling­e. Als linkes Feigenblat­t wird sich der selbstbewu­sste Hüne aus dem Norden nicht benutzen lassen.

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FOTO: IMAGO Jürgen Trittin ist wieder gefragt. Der Altlinke gehört zum 14-köpfigen Sondierung­steam der Grünen.

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