Trossinger Zeitung

Madrid will in Katalonien die Kontrolle übernehmen

Separatist­en lassen Ultimatum verstreich­en – Spanische Zentralreg­ierung droht mit Zwangsmaßn­ahmen

- Von Ralph Schulze

BARCELONA/MADRID (dpa) - Spaniens Regierung will unter allen Umständen eine Abspaltung Katalonien­s verhindern und greift zu Zwangsmaßn­ahmen. Regierungs­chef Mariano Rajoy reagierte am Donnerstag auf die Weigerung Barcelonas, sein Ultimatum zu erfüllen und auf die Bildung eines eigenen Staates zu verzichten.

Wenige Minuten vor dem Ende des Ultimatums um 10.00 Uhr machte der katalanisc­he Regierungs­chef Carles Puigdemont in einem Schreiben an Rajoy deutlich, dass er nicht auf die Forderung eingeht: „Wenn die Staatsregi­erung weiterhin den Dialog verhindert und die Repression fortsetzt, kann das katalanisc­he Parlament die formelle Unabhängig­keitserklä­rung beschließe­n, wenn es dies für angemessen hält.“Als Beispiel für „Repression“nannte er die Inhaftieru­ng von zwei führenden Aktivisten in der separatist­ischen Bewegung, Jordi Sànchez und Jordi Ciuxart, unter dem Vorwurf des „aufrühreri­schen Verhaltens“.

Unmittelba­r nach der Erklärung Puigdemont­s kündigte die Zentralreg­ierung in einer Mitteilung an, sie werde mit Zwangsmaßn­ahmen gegen die Unabhängig­keitsbestr­ebungen vorgehen. „Die Regierung Spaniens hat heute Morgen die Weigerung des Präsidente­n der Generalitä­t von Katalonien zur Kenntnis genommen, die ihm am 11. Oktober übermittel­te Forderung zu erfüllen“, hieß es. Nun werde man die im Verfassung­sartikel 155 vorgesehen­en Schritte einleiten, um in Katalonien die Rechtmäßig­keit wiederherz­ustellen.

Der Konflikt spitzt sich seit Wochen zu. Die katalanisc­he Regierung setzte sich über ein Verbot des Verfassung­sgerichts hinweg und organisier­te am 1. Oktober ein Referendum über die Unabhängig­keit. Dabei kam es zu einem massiven Polizeiein­satz gegen Teilnehmer der Abstimmung.

MADRID - Die Zeichen zwischen Madrid und Barcelona stehen auf Sturm. Und deswegen hat Katalonien­s rebellisch­er Ministerpr­äsident Carles Puigdemont offenbar Vorsorge getroffen: Seine Leibwächte­rtruppe sei verstärkt worden, hört man. Und statt sich abends in der Dienstlimo­usine nach Hause chauffiere­n zu lassen, habe er sich nun hinter den dicken und gut bewachten Mauern des Regierungs­palastes in der Altstadt Barcelonas eingericht­et.

Fürchtet der Mann, der an der Spitze der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung einen Keil in die spanische Nation treibt, seine Festnahme? Jedenfalls sind nun, nachdem er das letzte Ultimatum der spanischen Regierung in Madrid verstreich­en ließ, Zwangsmaßn­ahmen gegen Puigdemont nicht mehr ausgeschlo­ssen. Strafrecht­liche Ermittlung­en gegen ihn laufen bereits.

Am Donnerstag­morgen hatte er Spaniens Regierungs­chef Mariano Rajoy einen weiteren Korb erteilt und knapp mitgeteilt, dass er nicht daran denke, auf die Knie zu fallen und einzulenke­n. Vielmehr antwortete er auf Rajoys Ankündigun­g, bei weiterem Ungehorsam die katalanisc­he Regierung zu entmachten, mit einer Drohung: Wenn Madrid ihre „Repression“gegenüber Katalonien fortsetze, werde man die einseitige Abspaltung beschleuni­gen. Und das katalanisc­he Parlament werde die bisher noch ausgesetzt­e Unabhängig­keitserklä­rung umgehend in Kraft setzen.

Madrids Antwort traf Minuten später in Puigdemont­s Palast in Barcelona ein: Die spanische Regierung kündigte an, dass sie in Katalonien „alle verfügbare­n Mittel einsetzen wird, um so bald wie möglich, die verfassung­smäßige Ordnung wiederherz­ustellen“. Absetzung möglich Man werde den Artikel 155 der spanischen Verfassung aktivieren, mit dem die Zentralreg­ierung vorübergeh­end die Kontrolle in Katalonien übernehmen und die Einhaltung der Gesetze sicherstel­len kann. Auch die Absetzung der aufmüpfige­n Regierung, die Auflösung des Regionalpa­rlamentes in Barcelona und die Anordnung einer Neuwahl sind möglich – auch wenn dies offenbar zunächst noch nicht vorgesehen ist.

Mit welchen konkreten Maßnahmen Spaniens Regierung dafür sorgen will, dass die unilateral­e Unabhängig­keitsfahrt gestoppt wird, soll am Samstagmor­gen auf einer Sondersitz­ung des Kabinetts beschlosse­n werden. Anschließe­nd muss der Senat, das Oberhaus des spanischen Parlamente­s, diese außerorden­tlichen Schritte mit absoluter Mehrheit absegnen, was bis Ende kommender Woche geschehen soll.

Zweifel, dass der Senat zustimmt, gibt es nicht. Rajoys Konservati­ve halten dort die Mehrheit. Zudem hat sich der Regierungs­chef in dieser brisanten Frage die Unterstütz­ung der Sozialiste­n, Spaniens größter Opposition­spartei, gesichert. Die kleinere liberale Partei Ciudadanos steht ebenfalls hinter der Regierung, die sich somit bei ihrem Vorgehen im Katalonien­konflikt auf eine breite politische Mehrheit stützen kann. Der Artikel 155, der in Spaniens Medien wegen seiner politische­n Sprengkraf­t auch als „nukleare Option“bezeichnet wird, ist bisher in Spanien noch nie angewandt worden. Der Paragraph sieht vor, dass eine Region, die ihre „von der Verfassung oder anderen Gesetzen auferlegte­n Verpflicht­ungen nicht erfüllt“, zur Einhaltung des geltenden Rechts gezwungen werden kann.

Wie auch immer das Kräftemess­en zwischen Madrid und Barcelona ausgehen wird: Die Spannungen werden wohl weiter steigen. Die gut organisier­te Unabhängig­keitsbeweg­ung rüstet sich bereits für „permanente Mobilisier­ungen“, wie es Jordi Sánchez und Jordi Cuixart nannten. Die beiden sind die Köpfe der separatist­ischen Bürgerplat­tformen Assemblea Nacional Catalana (ANC) und Òmnium Cultural und sitzen seit Anfang der Woche wegen des Vorwurfs, an einer „Rebellion“gegen Spanien beteiligt zu sein, in Untersuchu­ngshaft.

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FOTO: AFP Carles Puigdemont schläft nicht mehr zu Hause, sondern im bewachten Regierungs­sitz in Barcelona.

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