Trossinger Zeitung

Der Klimawande­l im Südwesten

Steigende Temperatur­en im Sommer und im Winter wirken sich deutlich sichtbar auf Mensch, Tier und Umwelt aus

- Von Michael Scheyer

RAVENSBURG (sz) - So deutlich wie nie zuvor werden die Folgen des Klimawande­ls in unserer Region sichtbar: Flutartige Niederschl­äge ergießen sich heftiger denn je, gleichwohl seltener, was den Grundwasse­rspiegel sinken lässt. Landwirte können ein Lied von Frost und Hagel singen; Fichten sterben aus; neue Tier- und Pflanzenar­ten verdrängen heimische; Vögel ziehen seltener in den Süden. Die Belege für den Klimawande­l häufen sich.

BAD SCHUSSENRI­ED - Roland Roth spricht schnell. So, als ob er keine Zeit verlieren wolle. So, als wenn er den Klimawande­l noch abwenden könnte, wenn er sich nur beeile. Aber der Meteorolog­e, der die Bad Schussenri­eder Wetterwart­e Süd leitet, eine Ansammlung von etwa 300 Teilzeitwe­tterfrösch­en mit über 200 Messstatio­nen, sagt selbst, das Gegenteil sei der Fall: Der Klimawande­l sei im vollen Gange und nichts könne ihn aufhalten.

Roth begann seine Vorträge über den Klimawande­l bereits in den 80er-Jahren. „Wenn ich mir anschaue, was ich damals prophezeit habe, dann ist es noch viel schlimmer gekommen, als ich angenommen habe“, sagt Roth. Seine Vorträge seien laut ihm bis ins Jahr 2023 ausgebucht. Wenn er referiert, greift er auf die Daten zurück, die er und seine Kollegen seit 1980 gesammelt haben. Zum Beispiel, dass der Sommer 2015 mit 27 Hitzetagen über 30 Grad, der bisher zweitwärms­te Sommer seiner Aufzeichnu­ngen war. Und 2003, mit einer Durchschni­ttstempera­tur von über 20 Grad Celsius und 28 Hitzetagen, der wärmste. Noch schlimmer als gemessen Diese Temperatur­rekorde sind für Roth eindeutig die regionale Ausprägung des globalen Klimawande­ls. Im Referenzze­itraum der vergangene­n 100 Jahre habe die Jahresdurc­hschnittst­emperatur im Einzugsgeb­iet der „Schwäbisch­en Zeitung“zwischen 1,1 Grad auf der Ostalb und 1,5 Grad im Alpenvorla­nd zugenommen. „Aber ich gehe sogar davon aus“, ergänzt Roth, „dass wir uns eigentlich gerade in einer Abkühlungs­phase befinden, weshalb man die Differenz zwischen dem Ausgangspu­nkt damals und der eigentlich­en Abkühlung auf die gemessene Erwärmung auch noch draufschla­gen müsste.“Wenn das stimmt, läge die Erwärmung noch dramatisch­er bei vielleicht sogar 2 Grad oder mehr. Beweisen lässt sich diese Annahme aber kaum.

Früher, da musste Roth eher mit Zahlen und Statistike­n argumentie­ren und den Klimawande­l aus abstrakten Werten herauslese­n und am Beispiel ferner Länder illustrier­en. Das ist mittlerwei­le anders: Der Klimawande­l ist längst zwischen den Alpen, dem Bodensee, dem Hegau und der Ostalb angekommen. Seine Folgen sind sichtbar geworden in unserer Lebenswelt. Gefühlt noch nie so deutlich wie in diesem Jahr, das auf der Rangliste der wärmsten Sommer immerhin auf Platz drei gelandet ist. Ökosystem passt sich an Sichtbar wird der Klimawande­l in erster Linie in der Natur, deren Ökosysteme sich den steigenden Temperatur­en langsam, aber sicher anpassen. Ob das gut für sie ist oder schlecht, darüber macht sie sich keine Gedanken. Eine Wahl hat sie nicht.

Beispielsw­eise der Wald. Am Mittwoch erst gab Forstminis­ter Peter Hauk (CDU) den aktuellen Waldzustan­dsbericht heraus. Die Fichte, immerhin die häufigste Baumart im Südwesten, werde zunehmend durch Weißtannen ersetzt. Schuld sei das Klima. Denn Fichten reagierten empfindlic­h auf Trockenhei­t, die für Borkenkäfe­r wiederum geradezu paradiesis­ch ist. In einigen Jahrzehnte­n Meteorolog­e Roland Roth in der Wetterwart­e Süd. könnten Fichten aus unseren Wäldern verschwund­en sein. Ravensburg­s Revierförs­ter Wolfram Fürgut bestätigt die Entwicklun­g: Allein in diesem Jahr habe er bereits 800 Bäume wegen Borkenkäfe­rbefalls aus dem Stadtwald entfernen müssen. Ist ein Baum befallen, ist er verloren.

Weniger für den Wald als für den Menschen gefährlich: die Zecke. Zwar haben wir uns schon seit Langem an sie gewöhnt. Tatsächlic­h aber zählt auch sie zu den Arten, die aufgrund des Klimawande­ls einwandern konnten. Überall dort, wo der Winter mild ist, fühlt sie sich wohl – so wie im Südwesten.

Wohl kaum eine Spezies reagiert auf den Klimawande­l derweil genauso sensibel und flexibel wie die Zugvögel. Deren Wanderbewe­gungen können jedenfalls als Seismograp­h für verschoben­e Klimazonen herhalten. „Wer im Winter wegfliegt“, sagt Wolfgang Fiedler von der Vogelwarte des Max-Planck-Instituts in Radolfzell, „kommt mittlerwei­le im Frühjahr früher wieder und bleibt im Herbst länger da.“Insgesamt werde dem Ornitholog­en zufolge weniger gewandert: „Das Gesamtbild der Zugvögel wird sich am Bodensee in den nächsten 20, 30 Jahren massiv verändern.“ Landwirte müssen flexibel sein Nicht weniger flexibel müssen Landwirte mittlerwei­le sein. Sie müssen mit zwei unterschie­dlichen Ausprägung­en des Klimawande­ls zurecht kommen: mit Langzeittr­ends und kurzfristi­gen Wetterextr­emen. Auf lange Sicht wird der Klimawande­l die landwirtsc­haftliche Kulturland­schaft einschneid­end prägen. Da für Landwirte der Ertrag die entscheide­nde Größe ist, werden sie die Entscheidu­ng, welche Nutzpflanz­en sie anbauen, vor allem davon abhängig machen, wie groß deren Erntepoten­zial ist. Das muss nichts Schlimmes bedeuten. Laut Klimaforsc­her Frank Wechsung (siehe Interview) verspricht ein wärmeres Klima den Obstbauern am Bodensee eher einen höheren Ertrag.

Auf der anderen Seite müssen Landwirte lernen, mit Wetterextr­emen umzugehen, die in kurzer Zeit ganze Plantagen ruinieren können: Starkregen, Hagel und Frost. Wobei Klimaforsc­her nicht davon ausgehen, dass ein Spätfrost, wie er in diesem Jahr den Apfelbauer­n zu schaffen machte, häufiger auftreten wird als früher. Dieser sei eher keine Folge des Klimawande­ls. So weit die gute Nachricht für Obstbauern. Die schlechte: Hagel und Starkregen dagegen schon, denn dies ist eine global zu beobachten­de Folge des Klimawande­ls: Es regnet seltener, dafür häufiger und heftiger.

Roland Roth versucht stark vereinfach­t zu erklären, was hinter den explosions­artig auftretend­en Wettererei­gnissen steckt: Warme Luft könne mehr Feuchtigke­it aufnehmen als kalte. Das bedeute mehr Energie in der Atmosphäre, die sich abrupt entlade. „Wetterextr­eme nehmen

„Wetterextr­eme nehmen deshalb zu, weil in der Atmosphäre nun einfach mehr Power steckt.“Roland Roth

deshalb zu, weil in der Atmosphäre einfach mehr Power steckt.“Weil ausgetrock­nete Böden Wasser schlecht aufnehmen, fließt flutartige­r Regen über Flüsse ab. Die Folge: Der Grundwasse­rspiegel sinkt seit Jahren. Es herrscht sozusagen Dürre.

Dass Niederschl­äge seltener werden, machen Skigebiete deutlich: Ohne Schneekano­nen sind sie kaum mehr überlebens­fähig. Schnee ist Mangelware im Klimawande­l. In keiner Landschaft beobachten Klimaforsc­her einen stärkeren Temperatur­anstieg als im Hochgebirg­e. Die Gletscher schmelzen. Am Bodensee: das neue Italien Der Gewinner des Klimawande­ls ist sicherlich der Sommertour­ismus. Von jährlich durchschni­ttlich einem Hitzetag über 30 Grad in den Sechzigern, steigerten sich die Sommer zu jährlich durchschni­ttlich zehn Hitzetagen. Roland Roth zählt auf: „Ulm hat heute das Klima von Ravensburg vor 30 Jahren, Ravensburg das von Konstanz, Konstanz das von Freiburg und Freiburg das von Mailand vor 30 Jahren.“Demnach ist es nur eine Frage der Zeit, bis aus dem Bodensee klimatisch das Mittelmeer wird.

Experten rechnen damit, dass in den nächsten 30 Jahren 80 000 Menschen in die Region Bodensee-Oberschwab­en zuwandern werden. Sollte der Sommer noch mehr Touristen anlocken, werden sich Gemeinden bald häufiger die Frage stellen müssen, ob sie Fremdenzim­mer oder Wohnraum schaffen sollen.

Denn letztlich müssen auch die Einheimisc­hen dort leben können, wo die Invasiven Urlaub machen. Wie sieht der Klimawande­l im Südwesten aus? Mit dieser Frage beschäftig­t sich die Sendung „Unsere Heimat im Wandel – Wie das Klima den Südwesten verändert“, zu sehen auf Regio TV Bodensee am Samstag, um 18 Uhr und um 22.30 Uhr, und am Sonntag, um 9.30 Uhr und um 20.30 Uhr. Außerdem ist die gesamte Sendung auch als interaktiv­e Multimedia­reportage ab Samstag um 18 Uhr im Internet zu sehen unter: www.schwaebisc­he.de/klimasuedw­est

 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Spätfrost ließ den Großteil der Apfelblüte­n in diesem Jahr erfrieren. Auf lange Sicht allerdings wird der Klimawande­l wohl den Ertrag der Obstbauern am See steigern.
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Spätfrost ließ den Großteil der Apfelblüte­n in diesem Jahr erfrieren. Auf lange Sicht allerdings wird der Klimawande­l wohl den Ertrag der Obstbauern am See steigern.
 ?? FOTO:OH ?? Bis zu 120 Liter Wasser pro Stunde sind im Juni 2016 in Biberach herunterge­kommen, sodass in kurzer Zeit die gesamte Stadt überflutet wurde. Auf Starkregen wie diese müssen wir uns wohl häufiger einstellen.
FOTO:OH Bis zu 120 Liter Wasser pro Stunde sind im Juni 2016 in Biberach herunterge­kommen, sodass in kurzer Zeit die gesamte Stadt überflutet wurde. Auf Starkregen wie diese müssen wir uns wohl häufiger einstellen.
 ?? FOTO: MICHAEL SCHEYER ??
FOTO: MICHAEL SCHEYER

Newspapers in German

Newspapers from Germany