„Der Winter endet heutzutage früher“
In vielleicht 15 Jahren sollen Satelliten den endgültigen Beweis für den menschengemachtenKlimawandel liefern
RAVENSBURG - Welche Phänomene sind auf den Klimawandel zurückzuführen? Das fragte Michael Scheyer den studierten Landwirt und Wissenschaftler am Institut für Klimafolgenforschung Frank Wechsung. Herr Wechsung, Frost, Hagel, Hitze – was ist mit Sicherheit auf den Klimawandel zurückzuführen? Die ansteigende Temperatur, da sind alle sich einig, ist die Größe, die uns am meisten Sorgen macht. Die können wir auch gut in Zusammenhang bringen mit dem Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre. Die Starkniederschläge, dazu zähle ich auch Hagel, scheinen in den letzten Jahren zugenommen zu haben. Dies würde unseren Erwartungen für den Klimawandel entsprechen, eine eindeutige Zuordnung der beobachteten Tendenzen zum Klimawandel steht noch aus. Spätfrost wiederum hatten wir schon immer. Aber wegen der Verschiebung des Frühjahrs nach vorne und wegen der milden Winter ist man da ein Stück weit entwöhnt und empfindlicher geworden. Ich glaube jedoch nicht, dass wir in Zukunft häufiger mit diesen Spätfrösten rechnen müssen. Mit welchen Veränderungen müssen wir sicher rechnen? Zwei Phänomene sind sehr prägnant: Einerseits die Vorverlagerung des Vegetationsbeginns. Der Winter endet heutzutage früher und die Vegetation treibt zwei bis drei Wochen früher aus. Dieses beobachten wir seit Beginn der 90er-Jahre deutlich. Und diese Beobachtungen beziehen wir auf die Beobachtungen der 60erund 70er-Jahre. Die Leute, die in den Siebzigern zur Schule gegangen sind, können das gut mit ihren Kindheitserinnerungen abgleichen. Und andererseits – das erlebe ich auch persönlich als sehr prägnant – eine gefühlte Zunahme der Niederschlagsintensität. Ich sage deshalb gefühlt, weil dieses Phänomen sehr schwierig mit Messreihen zu belegen ist. Es ist ein sehr lokales Phänomen und uns fehlen meistens die Daten, um das statistisch sauber nachzuweisen. Aber eine tendenzielle Zunahme der Niederschlagsintensität kann man auch global beobachten. Sind Borkenkäfer und Buchsbaumzünsler Folgen des Klimawandels? Diesen Zusammenhang gibt es, ja. Überall dort, wo es eine unmittelbare Verbindung zur Temperatur gibt, steht das mit der globalen Erwärmung in Zusammenhang. Eine unmittelbare Folge des Temperaturanstiegs ist, dass es mehr Insektenpopulationen pro Jahr gibt. Einige dieser Insekten werden auch als Schädlinge wahrgenommen, die sich dann massiver ausbreiten können. Prägt sich der Klimawandel regional unterschiedlich aus? Der Obstbau am Bodensee sollte tendenziell von der Erwärmung profitieren, also einen positiven Effekt haben, und das Ertragspotenzial der Apfelbauern beispielsweise erhöhen. Gleichzeitig wird hier wohl der Apfelwickler häufiger auftreten. Dieses Insekt macht dem Apfelanbau zu schaffen. Sollte es zusätzlich noch feuchter werden am Bodensee, müssten die Apfelbauern mit einem verstärkten Auftreten des Apfelschorfes rechnen. Das wiederum impliziert jedenfalls auch, dass möglicherweise mehr Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen werden. Frost ruinierte heuer aber einen beträchtlichen Teil der Apfelernte. Ein Extrem. Es ist zwar denkbar, dass es in der Übergangsphase zu gehäuften Kälteeinbrüchen wie diesen kommt. Aber das ist jetzt reine Spekulation. Zum jetzigen Zeitpunkt gehe ich davon aus, dass Spätfröste nicht häufiger auftreten werden. Befinden wir uns denn in einer klimatischen Übergangsphase? Genau das fragt man sich: Ist das noch die Übergangsphase oder ist das schon das neue Klima? Das macht die Anpassung so schwierig für die Landwirtschaft. Wichtig ist es, da genau zu beobachten und die Landwirte intensiv zu begleiten und regelmäßig zu analysieren, wo es klimatische Trends gibt, mit denen Landwirte arbeiten können. Die Frage nach der Schuld: Wie positioniert sich da Ihr Institut? Ziemlich eindeutig: Wir gehen davon aus, dass die von Menschen verursachten Treibhausgasimmissionen zu zwei drittel für den Klimawandel verantwortlich sind. Dafür gibt es starke Indizien. Bisher sehen wir das zwar nur indirekt an den Temperaturen. In vielleicht 15 Jahren werden wir allerdings so weit sein, dass wir das mit entsprechenden Satelliten auch direkt sehen können: Anhand der geringeren langwelligen Rückstrahlung der Erde, die einen größeren Anteil aufgrund der Treibhausgase zurückbehält. Sobald das sichtbar wird, ist das dann aber ein Fakt. Bis dahin müssen wir uns mit den Indizien begnügen, wie dem sehr plausiblen Zusammenhang der seit 150 Jahren ansteigenden Temperaturen und dem gleichzeitig zugenommenen Ausstoß an Treibhausgasen.