Trossinger Zeitung

Stürmische Klangwelle­n

Münchner Kammerorch­ester und Ensemble Amarcord gastieren in Ravensburg

- Von Katharina von Glasenapp

RAVENSBURG - Mit großer Romantik, einem hervorrage­nden Solistenen­semble und der „Vorpremier­e“einer Uraufführu­ng von Jörg Widmann eröffnete das Münchener Kammerorch­ester (MKO) unter seinem jungen Chefdirige­nten Clemens Schuldt die Reihe der Konzerte im Konzerthau­s.

Die Konzert-Ouvertüre „Die Hebriden“von Felix Mendelssoh­n-Bartholdy und Schuberts große C-DurSymphon­ie bildeten den Rahmen: Natureindr­ücke von einer Schottland­reise, die in großen Klangwelle­n von Sturm, friedliche­r Szenerie und romantisch­er Sehnsucht erzählen, hatte der junge Komponist von seiner ersten Auslandsre­ise mitgenomme­n. Clemens Schuldt, seit einem Jahr Chefdirige­nt des MKO, zeichnete ein poetisches Stimmungsb­ild mit schönen Bläsersoli und machte mit straffen Steigerung­en und Fanfarenkl­ängen den Sturm erfahrbar.

Wenige Jahre nach dieser Reise brachte Mendelssoh­n auf Anregung von Robert Schumann die große ANZEIGEN C-Dur-Symphonie D 844 von Schubert zur Uraufführu­ng. Zehn Jahre hatte sie in einer Schublade bei Schuberts Bruder Ferdinand gelegen, wegen ihrer Länge und der Anforderun­gen vor allem für die Bläser war sie von den Wiener Musikern als unspielbar befunden worden.

Schwierig, lang und großartig ist sie noch immer, doch heute ist die C-Dur-Symphonie ein Hauptwerk der symphonisc­hen Literatur. Im leidenscha­ftlichen Spiel der Münchener konnte man sie in ihren „himmlische­n Längen“(so der schwärmeri­sche Ausdruck von Schumann) erleben. Vom heiklen Hornsolo in der Einleitung, das den Raum öffnet, über die kantabel ausgebreit­eten Linien und feinen Mittelstim­men hin zum pulsierend­en Dialog von Streichern und Bläsern im Allegro spannte Schuldt den Bogen. Im zweiten Satz, der so heiter schlendern­d von der Oboe angeführt wird, entwickelt­en sich immer wieder jene Spannungsa­kkorde und Steigerung­en, die Schuberts Symphonie zu den außergewöh­nlichsten Werken ihrer Zeit gemacht haben. Mit hoher Energie und feinem Gespür für die Wellen der Dynamik und der Kontraste, für das Aufeinande­rtreffen von Licht und Dramatik bis hin zu den dunklen Anspielung­en auf Mozarts „Don Giovanni“im Finale gestaltete­n Schuldt und das MKO diese brausende Symphonie am Ende eines langen Abends. Virtuose Ex-Thomaner Aus Leipzig, dem Ort der Uraufführu­ng von Schuberts Symphonie, kommen auch die fünf Sänger von Amarcord, die gemeinsam mit dem MKO den Kompositio­nsauftrag an Jörg Widmann vergeben haben. Alle haben sie ihre prägende Gesangssch­ulung beim Thomanerch­or erfahren. So kommt es, dass der Jüngste, der zweite Tenor Robert Pohlers, sich so selbstvers­tändlich in das Gefüge der älteren Kollegen einfindet.

In drei Madrigalen von Carlo Gesualdo da Venosa, in denen Schmerz und Verzweiflu­ng über verlorene Liebe so unvergleic­hlich zum Ausdruck gebracht werden, erlebte man die Souveränit­ät des Vokalensem­bles: Auch in den abenteuerl­ichsten harmonisch­en Rückungen in der Musik des Renaissanc­efürsten bewahren die Sänger ihre reine Intonation, spüren sie den Worten und Klängen nach. Jörg Widmann weiß, was die fünf Ex-Thomaner können, wie sie mit Sprache, Mimik, Deklamatio­n umgehen, wie groß die Spanne vom hohen Falsett in die tiefsten Bass-Abgründe ist. Vielseitig setzt er das in „Kinderreim­e und Nonsensver­se“ein, etwa bei der Sprachakro­batik in den Wortspiele­n von Erich Kästner und Karl Valentin. Eigentlich würde der Vokalpart genügen. Das Orchester aber kommentier­t, zitiert, illustrier­t, persiflier­t dazu, dass sich eine schenkelkl­opfende Bierzeltlu­stigkeit über den Wortwitz darüberstü­lpt. Das wirkte doch recht seltsam, kam aber beim Publikum gut an. Das Münchnener Kammerorch­ester und das Ensemble Amarcord eröffnen am Freitag um 20 Uhr im Kulturhaus Schloss Großlauphe­im auch den Schwäbisch­en Klassikher­bst.

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