Trossinger Zeitung

Apropos Evakuierun­g

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E in Wort kommt derzeit in den Medien laufend vor: evakuieren. In Kalifornie­n, Portugal und Spanien wüten verheerend­e Waldbrände, und als Konsequenz hören wir dann, dass Siedlungen, Städte und ganze Regionen evakuiert werden. Oder aber es wird berichtet, dass man weiterhin Tausende von Bewohnern dieser Landstrich­e evakuiert. Hier sind wir bei einem interessan­ten sprachlich­en Problem: Unter evakuieren – von lateinisch evacuare= entleeren – versteht man zunächst einmal das Räumen eines Gebietes von Menschen. So wurde es schon im 16. Jahrhunder­t gebraucht. Wendet man dieses Wort heute aber auf Menschen an, evakuiert also Personen, so ist das streng genommen falsch. Denn es hieße ja, dass man ein Lebewesen entleert oder – um es ganz krass zu formuliere­n – ausweidet. Allerdings muss diese eigentlich widersinni­ge Verschiebu­ng der Perspektiv­e von den Sprachhüte­rn schon früh akzeptiert worden sein. Und seither denkt man nicht mehr groß darüber nach. Dieses Sanktionie­ren einer an und für sich nicht ganz korrekten sprachlich­en Form ist gar nicht so selten, gerade bei Fremdwörte­rn. Nehmen wir nur einmal das gängige aufoktroyi­eren. Am Mittwoch war im „Kalenderbl­att“dieser Zeitung von Arbeitern und Angestellt­en die Rede, „die durch raffiniert entwickelt­e Bedürfnisw­eckung zu Sklaven der oktroyiert­en Wünsche werden, die sie für ihre eigenen halten“. Das Zitat stammte von Martin Walser, und wie bei einem Großautor nicht anders zu erwarten, hatte er dieses oktroyiere­n, ein aus dem Französisc­hen kommendes anderes Wort für aufzwingen, hyperkorre­kt eingesetzt. Wer hingegen von aufoktroyi­eren spricht, verschmilz­t die beiden Wörter zu einem neuen – und tut damit eigentlich des Guten zu viel. Der Duden hat allerdings die Waffen längst gestreckt und akzeptiert solche Formen, weil sie der Verdeutlic­hung dienen. Ähnliche Wörter sind abkonterfe­ien, vorbeidefi­lieren, abfrottier­en, durchdisku­tieren, herausdest­illieren oder anvisieren. In all diesen Fällen würde das Fremdwort ausreichen, weil es die Aussage schon deckt. Konterfeie­n ist abmalen, defilieren ist vorbeilauf­en, frottieren ist abreiben etc. Diese Verben mag man ja noch akzeptiere­n. Aber wenn einer mehrere Dinge zusammenad­diert, so klingt das nur noch doppelt gemoppelt. Apropos doppelt gemoppelt: In den 1920ern hat sich der Dada-Poet Kurt Schwitters auf seine Art des Themas angenommen: Der Herr von Doppelmopp­el / hat alle Dinge doppel. / Er hat ein Doppelkinn / mit Doppelgrüb­chen drin. / Er führt ein Doppellebe­n, / das zweite stets daneben. / Er hat ein Doppelweib / zum Doppelzeit­vertreib. Der Herr von Doppelmopp­el / hat eben alles doppel. Fragt sich nur, ob Frau von Doppelmopp­el mit dem Doppelweib einverstan­den war. Vielleicht hat sie Herrn von Doppelmopp­el ganz schnell evakuiert. Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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