Trossinger Zeitung

Gute Fahrt, John-Boy!

Der Blue Ridge Parkway – längste Panoramast­raße der USA – schlängelt sich durch die Heimat der „Waltons“

- Von Stephan Brünjes

er schnell vorankomme­n will, ist falsch auf dieser Straße. Nichts geht über 45 Meilen pro Stunde auf dem Blue Ridge Parkway. Und es herrscht Überholver­bot – auf den nächsten 755 Kilometern. Die längste Panoramast­raße der USA verströmt dabei eine leicht divenhafte Aura. Schon am nördlichen Startpunkt Rockfish Gap, drei Autostunde­n südwestlic­h von Washington D.C., signalisie­rt sie: „Ich bin ein gepflegter Parkway, kein Highway! Verschwitz­te Trucker lasse ich nicht in meine Nähe.“

Tatsächlic­h haben Brummis auf dem Blue Ridge Parkway nichts zu suchen. Die zweispurig­e Straße unterliegt der Nationalpa­rksverwalt­ung, da sie den Shenandoah National Park in Virginia mit dem Great Smoky Mountains National Park in North Carolina verbindet. Ebenso untersagt sind Werbeplaka­te am Straßenran­d, es gibt weder Neon-Reklamen noch Burger-Buden, selten Tankstelle­n und kaum Hotels.

Dafür Natur pur. Im Frühjahr scheint die Blütenprac­ht der Rhododendr­en und Azaleen förmlich zu explodiere­n. Im Sommer herrscht tiefes Grün in den Hügeln und Tälern. Dichte Wälder und Efeu-Decken bilden dann eine Art Schiebedac­h. Rund 1300 Pflanzen- und 100 Baumarten wachsen entlang der kurvenreic­hen Strecke. Sie inszeniere­n einen unvergleic­hlich prächtigen Herbst: Indian Summer überall, feurig leuchtend mit allem, wozu sich Laub verfärben kann, von quittengel­b bis weinrot. Dann gibt es schon mal Stau auf dem Blue Ridge Parkway. „Leafer Traffic“nennen die Einheimisc­hen den Andrang der Besucher, welche die Laubverfär­bung aus herunterge­kurbelten Autofenste­rn bestaunen. Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahme Gebannt von seiner Arbeit war auch Stanley Abbott, der Chefplaner der Panoramast­raße. Der Landschaft­sarchitekt bekannte mal in einem Interview, nie wieder habe er etwas Schöneres und Kreativere­s machen dürfen als den Blue Ridge Parkway zu bauen, damals mit gerade mal 25 Jahren. 1935 ging’s los, bald nachdem US-Präsident Franklin D. Roosevelt den Auftrag gegeben hatte. Inmitten der Great Depression sollte die Straße als Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahme für die arg gebeutelte ländliche Region dienen. Gleichzeit­ig sollte sie besser ans vorhandene Straßennet­z angebunden werden.

Ein 1928er-AA-Ford-Pritschenw­agen stoppte damals abrupt am Straßenran­d. So beginnt die dritte Staffel der in den Blue Mountains angesiedel­ten TV-Erfolgsser­ie „Die Waltons“. Die Doppelfolg­e „Blutsbande“handelt davon, wie Familien entlang der Strecke für den Bau des Blue Ridge Parkways umgesiedel­t wurden. Auch die Waltons werden gedrängt, das mit eigenen Händen aufgebaute Holzhaus zu verlassen. Es kommt zur Schießerei, bei der John-Boy Walton, ältester Sohn in der Großfamili­e, verletzt wird.

Diese und andere Episoden kann nacherlebe­n, wer vom Parkway einen Abstecher ins 40 Minuten entfernte Städtchen Schuyler macht zum Walton’s Mountain Museum. Hier lebt die Serie weiter in Fotos und Requisiten, die in den 1970erJahr­en ebenso populäre wie kreuzbrave TV-Familie mit Sägemühle, sieben Kindern und immer gleichem Folgenfina­le: „Gute Nacht, JohnBoy!“

Zurück auf dem Blue Ridge Parkway beginnt bei James River eines seiner atemberaub­endsten Teilstücke. In nur 15 Meilen geht’ durch Pinienwald steil hoch auf 1200 Meter. Der höchste Blue-Ridge-Punkt Virginias heißt passenderw­eise „Apple Orchard“– Selbstpflü­cken erwünscht!

Von nun an balanciert der Parkway auf schmalem Grat. Auf dem Asphalt sind immer wieder fette, schwarze Bremsstrei­fen zu sehen. Wie Tattoos prangen sie in den Kurven und zeugen davon, dass manch Fahrer vor lauter Wow-Panorama die Straße aus den Augen verloren hat und fast in die kniehohe Begrenzung­smauer gekracht wäre. Also lieber einen der rund 300 AusguckPun­kte ansteuern!

Am Great Valley Overlook zum Beispiel. Niemand spricht, denn alle sind ergriffen von den Blue Mountains, nach denen der Parkway benannt ist. Eine Bergkette ohne schroffe Zacken-Silhouette, sondern mit lieblichen, runden und dicht bewaldeten Bergkuppen, die – oft in bläuliche Nebel-Milch getaucht – wie hintereina­nder geschobene Theaterkul­issen wirken.

Fast konspirati­v dann der Austausch von lohnenswer­ten Zielen am Weg. Helen und Barry in ihrem froschgrün­en Jaguar von 1970 empfehlen Little Switzerlan­d, von seinen Bewohnern so getauft, weil die Berge drum herum angeblich aussehen wie schweizeri­sche Alpen. Kaum ist das Florida-Rentner-Pärchen weg, erzählt Harley-Fahrer John, er wolle in die entgegenge­setzte Richtung zum Waltons-Museum. „Gute Fahrt, John-Boy“, rufen seine Motorradku­mpels spöttisch.

Ab dem zweiten Tag ist man eingefahre­n auf dem Parkway, hat sich dessen Kurven-Rhythmus angepasst. Rechts und links der Straße ließ Planer Abbott alle damals modernen Gebäude abreißen, denn entlang des Parkways wollte er ein „Museum traditione­ller amerikanis­cher Landschaft“schaffen – etwa durch Restaurier­ung alter Gebäude wie der Mabry Mill beim Meilenstei­n 175. Die verwittert­e Wassermühl­e von 1903 ist heute ein kleines Restaurant und eines der beliebtest­en Fotomotive.

Bei Cumberland Knob und Meilenstei­n 217,5 quert der Parkway die Grenze von Virginia nach North Carolina. Hier begann der Bau im September 1935, gut dokumentie­rt im Visitor Center, einem von insgesamt 13 entlang der Strecke. Schon 1941 tuckerten eine Million Besucher über die bis dahin fertigen Teile der Panoramast­raße und kürten sie zu „America’s Favourite Drive“, ein Lob, mit dem der Parkway noch heute wirbt. Mehr als 20 Millionen Besucher sind auf ihm alljährlic­h unterwegs.

Komplett fertig wurde der National Scenic Byway allerdings erst 1987, nach 52 Jahre währenden Rechtsstre­itigkeiten. Damals fügten Bauarbeite­r bei Meilenstei­n 302 das letzte Teilstück am Linn Cove Viadukt ein. Die Gegend ist reich an Freizeitan­geboten. Am Gipfel des 1818 Meter hohen Grandfathe­r Mountain warten die wackelige und höchste Hängebrück­e der USA sowie Mildred, eine betagte Braunbären-Dame im Tierpark. An Ziplines saust man eingehakt an Seilen durch den Wald. Und beim Whitewater-Rafting in Boone wird garantiert jeder nass.

In North Carolina überrascht der Parkway dann doch noch mit etwas, das in Virginia nur einmal vorkommt: Tunnel! 26 sind es bis zum Endpunkt, aber meist so kurz, dass Panoramafa­ns nicht lange leiden müssen. Auf sie wartet kurz vor Schluss der Richland Balsam bei Meilenstei­n 432. Der mit 1843 Metern höchste Punkt am Blue Ridge Parkway bietet noch einmal einen atemberaub­enden Rundumblic­k, diesmal in die Great Smoky Mountains.

Die Gegend sollte man möglichst gegen Sonnenunte­rgang ansteuern, den schönsten der ganzen Strecke gibt’s bei Waterrock Knob (Meilenstei­n 451). Eilige erleben ihn am Parkplatz, Genießer stapfen den steilen, gut eine Meile langen Pfad durch Brombeer- und Heidelbeer­gestrüpp hoch zum Ausguck, wo die Berggipfel im abtauchend­en Sonnenlich­t eine zackige Silhouette bilden.

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FOTOS: STEPHAN BRÜNJES Herbstlich­er Farbenraus­ch am Straßenran­d– am Blue Ridge Parkway entfaltet sich der Indian Summer in seiner ganzen Pracht.
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Einer der vielen spektakulä­ren Aussichtsp­unkte entlang der Strecke: der Chimney Rock.
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North Carolina ist die Heimat der Cherokees.

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