„Kinder wollen probieren, Ältere verstehen“
Primtalmusikschul-Leiter Rainer Benner zu Schülern im fortgeschrittenen Alter
SPAICHINGEN - Ein Ensemble von Streichern, das dienstagnachmittags probt, vereint bei der Primtalmusikschule die Generationen: Senioren und Kinder musizieren gemeinsam. Aber wie ist das, wenn man im gesetzteren Alter ans Notenpult zurückkehrt oder neu anfängt? Geht das? Regina Braungart hat sich mit dem Leiter der Primtalmusikschule, Rainer Benner, unterhalten. Herr Benner, viele Leute lernen in ihrer Kindheit ein Instrument und hören dann auf, wenn sie erwachsen werden. Woran liegt das? Zum einen liegt es daran, dass die Zeit fehlt oder auch das Geld. Im Einstieg zu Beruf und Familie werden dann oft die Prioritäten anders gesetzt, dann wird das Musizieren nicht mehr so wichtig. Der Traum vom Instrument bleibt aber ja oft ein Leben lang bestehen, aber man traut sich dann nicht mehr, nach dem Motto, man hat ja eh alles verlernt. Stimmt das oder ist es eher wie mit dem Fahrradfahren? Das stimmt ganz sicher nicht. Es bleiben Grundkenntnisse bestehen. Natürlich geht bei Geigern die Fingerfertigkeit ein wenig verloren, bei Bläsern der Ansatz, weil sich die Muskulatur zurück gebildet hat, vielleicht ist die Kraft weniger geworden. Aber man verlernt ja das Notenlesen nicht oder die Grundfertigkeiten. Wie lang geht es dann, bis man wieder auf dem Stand ist? Je nachdem, wie man regelmäßig übt. Senioren haben den Vorteil, dass die die Zeit dazu haben. Natürlich kann es Einschränkungen geben, etwa, wenn bei Bläsern die dritten Zähne drin sind, die Finger unter Rheuma leiden oder das Augenlicht stark nachlässt. Eben es die Einschränkungen gibt, die ältere Menschen haben. Wer nach 20, 30 oder mehr Jahren wieder anfangen oder auch neu einsteigen will: Wo steht der, auf was muss er sich bei sich selbst einstellen, im Vergleich zum Instrument Lernen als Kind? Es ist ein ganz anderes Lernen. Ähnlich wie Skifahren. Kinder stellen sich auf die Bretter und sausen los, sie haben keine Angst. Ältere Menschen wollen oft zu schnell wieder auf dem ursprünglichen Stand sein, haben auch ein bisschen Angst vor dem Spielen, wollen perfekt sein. Sie stehen sich dann manchmal selbst im Weg. Aber vor allem im Einzelunterricht können sich die Lehrer gut darauf einstellen. Gibt es in Puncto Lernvermögen zusätzlich Unterschiede zwischen 50- und 70-Jährigen? Es gibt Unterschiede, denn mit 50 steht man noch im Berufsleben, sorgt für Kinder, da ist die Zeit nicht so da wie bei Rentnern. Ich habe eine 40-jährige Schülerin, die ist neu eingestiegen und hat zwei kleine Kinder. Aber was das Lernen angeht, ist zwischen Kindern und Älteren der Hauptunterschied, dass Kinder einfach probieren, während die Älteren es verstehen wollen. Wie erleben Sie Ihre älteren Schüler? Ich habe zwei über 70-jährige Wiedereinsteiger. Davon verliert der eine nach und nach das Augenlicht, aber er spielt. Das ist natürlich anstrengend, weil es über Vor- und Nachspielen geht, aber es ist auch sehr schön. Musik ist ein ganz starker Punkt in seinem Leben. Ein anderer hat früher in der Stadtkapelle gespielt und da war es zu viel für ihn, jetzt hat er Zeit und nimmt Unterricht. Das bedeutet aber, dass das Unterrichten von Älteren eine ganz andere pädagogische Herausforderung ist, oder? Natürlich. Aber wir haben sehr gute Lehrkräfte, die sich darauf einstellen. Was raten Sie älteren Musikliebhabern, denen ihr Instrument über die Jahre doch fehlt? Dass sie sich trauen, den Schritt zu tun, es einfach mal ausprobieren. Zum Beispiel das Streichensemble zusammen mit Kindern ist eine tolle Erfahrung – für die Kinder und die Senioren, für beide sehr bereichernd. Was kostet das Wiedereinsteigen über die Schule denn? Gerade Rentner haben ja oft nicht allzu viel Geld. Das ist ja gerade der Punkt bei vielen Älteren. Die sagen, jetzt hätten sie das Geld, das ihre Eltern nicht gehabt hätten. Einzelunterricht, 30 Minuten die Woche, kostet 80 Euro im Monat. Im Ensemble wird es aber immer günstiger bis zehn, zwölf Euro im Monat. Viele sagen auch, dass sie früher ein Instrument spielten, das eigentlich gar nicht ihr Wunschinstrument war – die machen dann beim Instrumentenkarussell mit und probieren drei Instrumente in drei Monaten aus – oder auch mal vier. Gerne würde ich eine Bläserklasse für ältere Menschen machen, so wie es sie an der Rupert-Mayer-Schule für Kinder gibt.