Viele Gründe für schlechtes Abschneiden
IQB-Bildungstrend: Fachleute sind über Leistungsabfall der Grundschüler nicht erstaunt
LANDKREIS TUTTLINGEN - Defizite in Rechtschreibung, im Zuhören und im Rechnen: Die Grundschüler in Baden-Württemberg sind im Vergleich zu Gleichaltrigen in anderen Bundesländern stark abgesackt. So sieht das Ergebnis des neuen IQBBildungstrends aus, der vergangene Woche veröffentlicht wurde. Doch woran liegen die schwachen Leistungen?
Überrascht ist Slavica Ladurner, eine der Vorsitzenden des Gesamtelternbeirats in Tuttlingen, nicht über dieses Ergebnis. Sie sieht einen Zusammenhang zwischen den schlechten Leistungen und dem Lehrermangel: „Wenn noch nicht mal die vorgesehenen Stunden in den Hauptfächern gehalten werden können, gehört das für mich ganz klar zu einer der Ursachen“, sagt sie. Eltern und Elternvertreter in Tuttlingen hätten schon vor einem Jahr eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema gegründet.
Schreiben mit der Bitte um Unterstützung gingen an das Schulamt, die Stadt Tuttlingen und an das Kultusministerium. Immerhin sei erreicht worden, dass sich die Schulen untereinander aushelfen, wenn Not am Mann sei, erklärt Ladurner. Zweites, großes Problem: Der hohe Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund, die aus Familien kämen, in denen gar nicht oder nur schlecht Deutsch gesprochen werde. „Das ist auch bei uns an Elternabenden nicht einfach“, findet sie. Denn durch die Sprachbarriere würden einige Eltern nichts oder nur wenig verstehen.
30 000 Kinder an 1500 Schulen im Land sind für die IQB-Bildungstrends getestet worden. Diesmal seien anders als in den Vorjahren keine Tuttlinger Kinder dabei gewesen, so Hans-Peter Gökelmann, Rektor der Wilhelmschule und einer der beiden geschäftsführenden Rektoren der Stadt: „Nicht dass ich wüsste.“Für Gökelmann liegt nahe: „Die Schulen sind mit den großen Klassen überlastet.“Doch das sei nur ein Punkt eines vielschichtigen Problems. So seien etwa Kinder mit Migrationshintergrund, die die deutsche Sprache schlecht sprechen, in der Schule benachteiligt. Auch wenn die Schulen entgegensteuern würden, zum Beispiel durch Lesepaten in den Klassen und der Aktion „Mein erstes Buch“. „Es muss natürlich auch zu Hause Deutsch gesprochen werden.“
In keinem anderen Bundesland liegt der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund so hoch wie in Baden-Württemberg. Der Wert ist hier mit 44 Prozent um rund 13 Prozentpunkte über dem von Bayern, sagte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) bei der Vorstellung des Bildungstrends. Gökelmann bemängelt auch, dass die Schulen das Thema Inklusion nicht richtig im Griff hätten. „Wir bekommen nicht die entsprechenden Fachleute dafür.“Kollegen seien gezwungen, sich an den Schwächeren in der Klasse auszurichten. Und wie sieht aus seiner Sicht eine Lösung aus? Die Analyse des Bildungstrends werde in den Kultusministerien erfolgen und dann auf die Schulebene heruntergebrochen, ist sich Gökelmann sicher.
Kinder früh so zu fördern, dass sie dem normalen Grundschulunterricht folgen können, ist seit über 25 Jahren Aufgabe der Leiterin der Grundschulförderklasse der Spaichinger Schillerschule, Birgit Schmid, die diese 1991 aufgebaut hat. Es lernen dort bis zu 20 Kinder, die vom Schulbesuch zurück gestellt sind und in dieser Klasse zur Schulreife geführt werden. Schmid findet die Diagnose Migrationshintergrund schwierig. „Wir haben in Spaichingen so viele alteingesessene Migrantenfamilien, von denen teils schon die Kinder der Kinder kommen, die sind gut in der Schule, tragen das Schulleben mit. Denen gegenüber ist der Stempel einfach nicht gerecht.“Unter den Kindern, bei denen die Sprachentwicklung schwierig sei, seien viele deutsche Familien.
Sie würde sich wünschen, dass die „Schnittstelle Kindergarten/ Schule“besser ausgestattet werden würde und sie sieht als Ursache vor allem für die Sprachschwäche das Sterben des Gesprächs von Angesicht zu Angesicht in manchen Elternhäusern. Passives Berieseln durch Fernseher oder Computer spiele eine große Rolle. Sie und ihre Kollegin merken den Kindern an, ob sie morgens vor der Schule vor einer Mattscheibe gesessen hätten: am Blick, an der Lethargie. Allerdings: Bei allen Diagnosen gelte: „Wir reden nie von allen und ganz selten von der Mehrheit.“
Man sei übrigens inzwischen davon abgekommen in ausländischsprachigen Elternhäusern zu Deutsch als Umgangssprache zu drängen, denn dann würde weder die Sprache der Mutter noch Deutsch richtig gelernt. Drei Jahre verlässlicher Kindergartenbesuch würde das Sprachdefizit in Deutsch dann ganz sicher wieder ausgleichen. Kindergärten betrieben Sprachförderung und bräuchten hierfür mehr Unterstützung, findet Schmid.
Andreas Müller von der Pädagogischen Schülerförderung in Spaichingen, einer Nachhilfeinstitution, hat im Verlauf der 20 Jahre, in denen die Einrichtung besteht, einen spürbaren Anstieg an Bedarf für Nachhilfe im Grundschulbereich wahrgenommen. Der habe entgegen seiner Erwartung aber mit dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung nachgelassen. Die Klientel im Grundschulbereich sei bunt gemischt: vom Arzt- bis zum Arbeiterkind.
Es gebe inzwischen viele Unterstützungsmodelle an den Schulen. Als eine Ursache für das Abrutschen der Leistungen sieht Müller, dass bei Klassen mit vielen sprachlich unvorbereiteten Migrantenkindern das Niveau der ganzen Klasse angeglichen werde. Viel wichtiger aber sei, dass ständige Veränderungen im Bildungssystem verunsichert hätten und dass die so genannten Ganztagsschulen gar keine seien, sondern Ganztagsbetreuungen. Und das reiche eben beileibe nicht aus. Eine weitere wichtige Ursache seien die ersatzlosen Ausfallstunden, das im Gymnasialbereich dann dazu führe, dass stundenmäßig das G8 zum G7 werde, bei einem Stoff von G9. Sein Fazit: „Man muss den Staat in die Pflicht nehmen.“ Was ist der IQB-Bildungstrend? Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) ist ein wissenschaftliches Institut, das die Länder in der Bundesrepublik Deutschland bei der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung im allgemeinbildenden Schulsystem unterstützt. Das IQB hat den Auftrag, regelmäßig zu überprüfen, inwieweit die von der Kultusministerkonferenz gesetzten Standards in deutschen Schulen erreicht werden (sz)