Wohnraum an der falschen Stelle
Kritiker bemängeln falsche Bautätigkeiten – Dörfer bluten deshalb aus
RAVENSBURG (sz) - In Deutschland wird oft am Bedarf vorbei gebaut. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Demnach werden auf dem Land zu viele Häuser und in den Zentren zu wenige Wohnungen gebaut. Der Grund: Die Ausweisung von Neubauflächen ist erfahrungsgemäß leichter als die Nachverdichtung im Zentrum. Dabei wäre diese gerade für kleine Städte entscheidend, um attraktiv zu bleiben.
RAVENSBURG - Das Einfamilienhaus, Symbol für Zuhause, Traum vieler Familien, Wunsch zahlreicher Bausparer, prägendes Gebäude ganzer Ortschaften, genau dieses Einfamilienhaus soll eine extrem zerstörerische Wirkung auf ländliche Gebiete in Deutschland haben. Es soll Schuld sein an dem Niedergang ganzer Landstriche, Schuld an Zersiedlung, Schuld an Leerständen, Schuld an sinkenden Immobilienpreisen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Generell sei das Problem, das die Untersuchung der IW-Immobilienexperte offenbart, dass am Bedarf vorbei gebaut wird. In den großen deutschen Städten und Ballungszentren werden zu wenige Wohnungen gebaut, in den ländlichen Gebieten zu viele große Wohnungen und Einfamilienhäuser. Daraus resultiere eine Unterversorgung mit Wohnraum in Ballungszentren und ein Überangebot in ländlichen Gebieten.
Zudem nimmt der Bedarf in Ballungszentren und wirtschaftlice starken Gebieten, wie Süddeutschland, allgemein zu, während in ländlichen und strukturschwächeren Gebieten der Bedarf abnimmt. Gründe hierfür sind neben Flüchtlingen auch der vermehrte Zuzug aus dem europäischen Ausland, die Binnenwanderung innerhalb der Bundesrepublik – auch Landflucht genannt, und der demografische Wandel dort, wo die schwindende einheimische Bevölkerung nicht durch Neubürger ausgeglichen wird.
Für diese Entwicklung, gibt es mehr Gründe, als von den Machern der Studie genannt werden. Sie kommen zu dem Schluss, dass die niedrigen Zinsen und die Menge an verfügbaren Grundstücken sowohl die Finanzierung als auch den Kauf von Immobilien trotz stetig steigender Baukosten so attraktiv machen. Für Fred Gresens, Vorsitzender der Architektenkammer Baden-Württemberg, liegen die Ursachen woanders. Weg des geringsten Widerstands Doch welche Rolle spielt dabei das Einfamilienhaus? Es ist einfach zu planen und zu bauen. Die Genehmigungsverfahren bei den Verwaltungen sind seit Jahren genauso eingespielt wie die Planung durch die Architekten und die Arbeiten bei den Baufirmen. Oder andersherum: Neue Wohnformen setzen sich kaum oder nur langsam gegen diese traditionelle, millionenfach bewährte Bauform durch. Das kritisiert Gresens, wenn er sagt, dass sich viele Kommunen in der Vergangenheit den Weg des geringsten Widerstands gegangen seien. „Die Dorfmitte gehört meist vielen Eigentümern, die Äcker am Rand meist den Kommunen, da ist es einfacher Neubauflächen auszuweisen.“Die Ausweisung von neuem Bauland sei simpler als die Nachverdichtung. Denn da gründe sich in der Regel eine Bürgerinitiative, um dies zu verhindern. Wegen dieser Widerstände gegen Neubauvorhaben, entscheiden sich auch Investoren häufig für unkomplizierte Neubaugebiete in Randlagen. Die Folge ist die Zersiedlung.
Noch einfacher macht das Bauen am Rand der Paragraf 13b des Baugesetzbuches, der im März vom Bundestag beschlossen wurde. Dieser sieht, grob vereinfacht, vor, unter bestimmten Voraussetzungen schnell und einfach Wohnbau auf Flächen in Randlagen von Orten zu ermöglichen – das beschleunigte Verfahren für Bebauungspläne der Innenentwicklung im Außenbereich, wie es heißt. Wenn also am Rand schon ein Gebiet mit Einfamilienhäusern bebaut ist, kann es einfach erweitert werden. Gresens kritisiert die Nutzung dieses Paragrafen: „Das beschleunigte Verfahren macht es noch einfacher, Äcker zu versilbern.“Das beschere Bürgermeistern auch die ein oder andere Wählerstimme. Weshalb viele das Gesetz missbrauchen würden, für Gebiete mit Einfamilienhäusern. Leerstände und sinkende Preise „Viele Dörfer bluten deshalb aus“, bedauert Gresens, während am Rand sogenannte Wildschweinsiedlungen mit vermeintlichen Traumhäusern entstünden. Denn eine Folge intensiver Wohnbebauung im Außenbereich sei die geringere Nutzung der bestehenden Infrastruktur im Ortskern, da die Wege weiter werden. Vieles verlagert sich auf die ehemals grüne Wiese. Das Zentrum wird unattraktiver für Geschäfte, Dienstleister und für Wohnungssuchende. Die Folge: Leerstände und sinkende Immobilienpreise. Mehr Einwohner ziehen weg; doch dieses Mal nicht in den Außenbereich. Dieser verliert ebenfalls an Wertigkeit und Attraktivität, wenn der Ortskern ausstirbt. Die weiteren Teile der „SZ“-Immobilienserie sowie Grafiken zum Thema Wohnungsbau im Süden Deutschlands finden Sie unter: www.schwaebische.de/ wohnraum