Wenn Bäume in den Himmel wachsen
Bonsai-Kunst und sachkundiger Rückschnitt können das Fällen ersparen
RAVENSBURG - Bäume wachsen nicht in den Himmel. Das alte Sprichwort stimmt. Zumindest teilweise, denn manchmal werden diese Pflanzen doch größer und mächtiger, als es dem Gartenbesitzer lieb ist. Die kleine Konifere im Vorgarten entwickelt sich mit den Jahren zum raumgreifenden Nadelbaum, der Ahorn hinter dem Haus wirft zu viel Schatten, und unter der Linde müssen im Herbst Berge von Laub entsorgt werden. Das alles nervt so manchen Hausbesitzer. Irgendwann knattert dann die Kettensäge. Das sichert zwar Brennholz für einige kalte Tage, aber trotzdem ist das Fällen eines Lieblingsbaumes immer auch eine traurige Arbeit.
Wenn ein Baum zu groß geworden ist, muss allerdings nicht zwangsläufig die Radikallösung her. Man kann auch Bäume stark zurückschneiden, sie gewissermaßen nach Bonsai-Vorbild trimmen. Fachleute formen daraus ausgefallene Einzelstücke, die einem Garten exotischen Reiz verleihen. Sind die Bäume noch nicht zu mächtig, können sie auch ausgegraben und in Töpfe gesetzt werden. Das gelingt am besten bei Rhododendren, weil sie einen kompakten Ballen haben. Ursprung liegt in China „Pun-tsai“– so lautet das chinesische Wort für „Pflanzen auf einem Tablett“. Im Reich der Mitte wurde diese Kunst, Miniaturbäume in flachen Schalen zu ziehen, schon um 700 n. Chr. gepflegt, dann von Japan übernommen und weiterentwickelt. So finden sich erste Erwähnungen von Bonsais in japanischen Schriftrollen aus der Kamakura-Periode (11921333). Die westliche Welt entdeckte den Reiz der Miniaturbäume in kleinen, flachen Schalen erst sehr spät. Mitte des letzten Jahrhunderts erlebte diese gärtnerische Kunstform in Europa ihren Durchbruch, und so gibt es auch in Deutschland heutzutage einige Bonsai-Baumschulen. Malcolm und Kath Hughes führen im Anhang ihres neuen Ratgebers „The Little Book of Bonsai“insgesamt sechs einschlägige Betriebe auf. Auch wenn man vermutet, dass die englischen Autoren nur eine Auswahl getroffen haben, so wird doch die Exklusivität dieser Spezialbetriebe deutlich.
Auch Joachim Fleischer, Gartenfachmann und Autor des Ratgebers „Auf des Messers Schneide“aus Grünkraut bei Ravensburg, hat sich in den letzten Jahren in diese besondere Kultur der Baumpflege eingearbeitet. Er bietet in seinem Gartencenter eine Ausstellung verschiedener Bonsai-Pflanzen, die er selbst herangezogen hat. In der kalten Jahreszeit bekommen sie ihren Platz unter Glas, weniger empfindliche Kulturen stehen aber ganzjährig im Freiland. Dort findet der Besucher dann Beispiele dafür, wie man durch gekonnten Schnitt erstaunliche Ergebnisse erzielt. Wie bei den verschiedenen Zypressen, die durch ihre prächtigen Puschel am Ende der Äste einfach ein Hingucker sind. Für Bonsai-Interessierte bietet Fleischer am Freitag, 10. November, und am Dienstag, 14. November, jeweils um 14 Uhr im Gartencenter Grünkraut einen Vortrag unter dem Thema „Wie aus alten Bäumen Bonsais werden“. Platz ist im kleinsten Vorgarten Die britischen Autoren Malcolm und Kath Hughes gehen in ihrem flott aufgemachten Ratgeber zunächst auf die Geschichte der Bonsai-Kultur ein, um dann mit zahlreichen Tipps Neulingen in dieser Disziplin Hilfestellung zu geben. Vor allem räumen sie mit einigen Irrtümern auf. Etwa, dass Bonsais klein bleiben, weil sie im Topf wachsen, nur Zimmerpflanzen sind und vor allem sehr schwierig zu kultivieren. Das alles stimmt nach Meinung der Experten nicht. Malcolm Hughes ist unter anderem Mitglied der Royal Horticultural Society und Berater der World Bonsai Federation. Nach ausführlichen Pflegeund Schnittanleitungen folgen 20 Porträts jener Bäume, die am häufigsten als Bonsai gezogen werden. Allein dieses Kapitel lässt einen zum Fan dieser Kunst werden. Eine Kunst, die zwar Geduld verlangt, aber immer mehr Bedeutung gewinnen dürfte, je kleiner die Grundstücke werden. Denn selbst im Mini-Vorgarten ist Platz für einen prächtigen Ahorn – in der Schale. Buchtipp: Malcolm & Kath Hughes: „The Little Book of Bonsai. Alles, was man wissen muss.“144 Seiten. 15 Euro. BLV-Verlag. ISBN 978-3-8354-1627-7.