Pflege ist nicht nur für alte Leute
Die Stiefkinder der Pflegeversicherung sind die Jüngeren – Zu wenig Unterhaltung
BERLIN - Bei Pflege denkt man in der Regel an alte, kranke oder demente Leute. Doch 13,5 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland sind unter 60 Jahren. Und die haben ganz andere Wünsche als die älteren. Sie wollen nach Möglichkeit allein oder mit anderen in einer WG wohnen.
Jüngere Pflegebedürftige haben auch ganz andere Probleme als die Alten. Von den jüngeren leiden 35 Prozent unter Lähmungen, 32 Prozent unter Intelligenzminderungen, 24 Prozent an Epilepsie und zehn Prozent haben das Down-Syndrom. „Ein 30-Jähriger mit einem DownSyndrom kann ganz anders am Leben teilhaben als ein 80-Jähriger, der bettlägrig und schwer dement ist“, sagt Christoph Straub, Chef der Barmer Ersatzkasse.
Doch genau daran hapert es. Die meisten wollen ihr eigenes Dach über dem Kopf haben oder in eine Wohngruppe ziehen. 84 Prozent derjenigen, die in einer betreuten Wohngemeinschaft leben, sagen, das sei ihre Wunschwohnform. Noch zufriedener sind mit 93 Prozent die allein Lebenden. Doch viele sind mit ihrem Wunsch nach einem Leben ohne ihre Eltern gescheitert.
Für Straub bedeutet dies, dass man nicht nur altengerechtes Wohnen in den Mittelpunkt der Bemühungen stellen muss, sondern auch altersgerechtes Wohnen. „Ein 30-jähriger Pflegebedürftiger hat in einer Wohngruppe mit 80-Jährigen nichts verloren.“Er wolle auch nicht permanent auf sein Handicap reduziert werden, sondern ausgehen, sich bewegen, ins Fußballstadion gehen, Freunde treffen, im Internet surfen. Dazu müsse neuer Wohnraum geschaffen werden.
Denn Pflegeheime wurden von jüngeren am schlechtesten bewertet und auch am wenigsten genutzt. Insgesamt beziehen jüngere Pflegebedürftige meist Pflegegeld oder beschäftigen einen Pflegedienst, auch zur Verhinderungspflege.
Ein besonders trauriges Ergebnis des Pflegereports ist, dass sich die Hälfte der Jüngeren viel mehr Ausflüge, Urlaub oder Reisen wünscht. Und 30 bis 40 Prozent sehnen sich nach häufigeren Freundesbesuchen, mehr Sport und Bewegung und auch mehr Kultur. Sie wollen so leben wie ihre Altersgenossen und können es nicht. „Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff betont die Teilhabeorientierung der Pflege. Tatsächlich ist hier noch viel zu tun“, sagt Heinz Rothgang.
Es fehlt aber nicht nur an Freizeitangeboten, sondern auch an teilstationären und Kurzzeitpflegeplätzen. Derzeit nutzen nur neun Prozent der jungen Pflegebedürftigen die Kurzzeitpflege. Aber 19 Prozent würden gerne auf dieses Angebot zugreifen. Ähnliches gilt für die Tagespflege. 13 Prozent nehmen sie in Anspruch, 20 Prozent wünschen sie sich. Viele möchten nur ein- oder zweimal pro Woche in die Tagespflege.
Wenn man den Wunsch nach Tagespflege erfüllen will, müssten rund 4000 zusätzliche teilstationäre Plätze neu aufgebaut werden, heißt es im Report. Bei einem Ausbau der Kurzzeitpflege wären es 3400 neue Plätze.