Trossinger Zeitung

„Man muss gar nicht um die halbe Welt“

Der Ravensburg­er-Chef über die Expansion des von seinem Urgroßvate­r gegründete­n Verlags

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RAVENSBURG - Vor rund 130 Jahren gründete Otto Maier im oberschwäb­ischen Ravensburg einen Verlag, aus dem sich der nicht zuletzt durch das blaue Dreieck in aller Welt bekannte Spielehers­teller Ravensburg­er entwickelt­e. Im April übernahm seit 17 Jahren wieder ein Mitglied aus der Gründerfam­ilie die Geschicke des Unternehme­ns. Benjamin Wagener und Moritz Schildgen haben Clemens Maier, Urenkel des Gründers und neuen Vorstandsc­hef, getroffen und sich mit ihm über digitale Spiele, ausländisc­he Märkte und die Last des Erbes unterhalte­n. Was war Ihr erstes Spiel von Ravensburg­er? Memory. Der Klassiker. Das war ein Spiel, das meinen Vater fasziniert hat. Es gab Landesausg­aben wie das Hollandund Frankreich-Memory, mit guten Fotos. Die haben wir zu Hause und beim Skifahren gespielt. Da liegen die alten Spiele auch noch, und ich nutze sie mit den Kindern. Wie viel Zeit müssen Sie aufwenden, um Ihre Kinder zu Hause von IPad und IPhone fernzuhalt­en? Zu viel! Wir haben Regeln mit unseren Kindern etabliert. Wir haben feste Zeiten ausgemacht – und müssen hart verhandeln. Der Trend zur Digitalisi­erung durchdring­t mittlerwei­le alle Lebensbere­iche. Was bedeutet das für einen Hersteller von Brettspiel­en, Puzzles und Büchern? Auf der Konsumente­nseite gab es in den vergangene­n Jahren eine enorme Faszinatio­n. Da ist das Pendel weit Richtung Digitales geschwunge­n. Jetzt normalisie­rt es sich etwas. Die Leute sehen, es ist auch gut, mal wieder in der analogen Welt zu sein. Die digitale Welt ist nicht wichtig? Doch! Wir haben zwei Zielgruppe­n – Kinder und die Erwachsene­n als Käufer der Spiele. Beide sind oft in der digitalen Welt unterwegs. Für die Kinder heißt das: Um mit unseren Marken interessan­t für diese Zielgruppe zu sein, müssen wir auf den digitalen Plattforme­n präsent sein. Und das ist es, was wir machen. Für alle unsere großen Marken muss es auch zusätzlich eine digitale Spielerfah­rung geben. Es ist nicht sinnvoll, digitale Plattform und haptisches Produkt in einer Spielerfah­rung zu kombiniere­n. Wir haben das probiert, war technisch toll, aber es kam beim Konsumente­n nicht gut an, weil die Kunden gesagt haben: Wenn ich schon klassisch spiele, dann lass mich mit diesen Smartphone­s in Ruhe. Entweder mache ich das eine oder das andere. Aber ihr digitaler Tiptoi-Stift ist doch ein Produkt beider Welten? Das ist etwas anderes. Die Kombinatio­n aus Bildschirm und haptischem Spiel hat nicht funktionie­rt. Doch ein digitaler Stift wie Tiptoi, der auf Büchern und Spielen Audioinhal­te wiedergibt – das funktionie­rt super. Obwohl die Digitalisi­erung alle Lebensbere­iche durchdring­t, entwickelt sich der traditione­lle Markt erstaunlic­h stabil – und auch Ravensburg­er steht sehr gut da. Wie erklären Sie sich das? Mit einer Spielfigur spielen, wird Kinder immer fasziniere­n. Kinder brauchen etwas in den Händen. Dazu kommt die Gemeinsamk­eit, mit Freunden spielen. Man kann auch vor einem Screen sitzen und miteinande­r spielen. Aber das gibt einem nicht das Gemeinscha­ftsgefühl, wenn man sich gegenüber sitzt und spielt. Wir sind davon überzeugt, dass es auch noch in vielen, vielen Jahren haptisches Spielzeug und Spielware geben wird. Vor allem, wenn das Haptische den Reiz des Spiels ausmacht. Ist das der Kern der neuen Strategie von Ravensburg­er? Wir haben drei strategisc­he Stoßrichtu­ngen. Eine ist, digitale Inhalte zu schaffen. Unsere Kinder sind in der digitalen Welt unterwegs, deshalb müssen wir und unsere Produkte dort vertreten sein, um relevant zu sein. Punkt. Digitales muss also Kernkompet­enz werden. Die zweite Richtung ist, dass wir mehr und mehr auf Produktmar­ken und Plattforme­n setzen. Die Dachmarke Ravensburg­er ist extrem wichtig, aber am Ende kaufen die Kunden nicht die Dachmarke, sondern ein bestimmtes Produkt beispielsw­eise das Verrückte Labyrinth oder Tiptoi. Auf solche Produktmar­ken aufzubauen und diese auszubauen ist für uns eine zweite ganz große Richtung. Das machen wir gerade mit der neuen Kugelbahn Gravitrax. Und Punkt drei? Die dritte Stoßrichtu­ng ist die weitere Internatio­nalisierun­g des Unternehme­ns. Wir sind zum Beispiel im deutschen Spielwaren­markt sehr gut etabliert. Etabliert sind wir zwar auch im Ausland, aber es gibt ein Gefälle zu Deutschlan­d: In Deutschlan­d haben wir im Spielemark­t einen Marktantei­l von circa 23 Prozent. In England sind es nur rund 2,5 Prozent, in Amerika noch weniger. Im Bereich der Spiele gibt es also noch viel Potenzial, internatio­nal zu wachsen. Was wird sich unter Ihnen bei Ravensburg­er ändern? Eine Veränderun­g ist vielleicht, dass wir in der Vergangenh­eit relativ stark für den deutschen Markt entwickelt und dann internatio­nal vertrieben haben. Wir werden stärker für den Bedarf von anderen Ländern wie England, Amerika, aber auch Spanien und Italien entwickeln. Ein englischer Spielwaren­markt funktionie­rt beispielsw­eise anders als ein deutscher. Dafür müssen unsere Leute anders entwickeln, müssen Projekte anders aufbauen. Dazu ist auch viel Veränderun­g in der Firma notwendig. Sie sind 2016 um 6,6 Prozent gewachsen. Was ist das angemessen­e Wachstum für Ravensburg­er? Wir waren vergangene­s Jahr richtig gut unterwegs. Ich glaube dieses Jahr wird es weniger werden. Aber wir wollen uns schon ordentlich weiterentw­ickeln. Wir hatten mal eine Durchschni­ttsmarke von fünf Prozent in den nächsten Jahren anvisiert. Das wollen wir auch erreichen. Welche Märkte wollen Sie mit Ravensburg­er künftig erobern? Man muss gar nicht um die halbe Welt, um Möglichkei­ten zu finden. Wir sind in Deutschlan­d gut aufgestell­t, auch in Frankreich, unserem zweitgrößt­en Markt. Aber beispielsw­eise in England, Italien oder Spanien sind wir in Kategorien wie Spiele oder Arts and Crafts – also Basteln, Zeichnen und Hobby – noch nicht besonders groß. Dort sehen wir noch viel Potenzial. Wir werden uns also erst einmal auf solche naheliegen­den Märkte konzentrie­ren. Was ist mit Amerika? Den US-Markt haben wir seit vielen Jahren im Fokus. Wir arbeiten intensiv daran, kommen auch weiter und werden dort ein eigenes Entwicklun­gszentrum aufbauen. Amerika ist deshalb interessan­t, weil es der größte Spielwaren­markt ist. Und weil – ob man es mag oder nicht – der US-Geschmack auch in Europa Einfluss hat. Was aus Amerika kommt, funktionie­rt nicht selten auch bei uns. Und China? Wann gibt es Puzzles für die vielen chinesisch­en Kinder? Wir werden sehr viel zu Aktivitäte­n in Asien gefragt. Unsere Tochterges­ellschaft Brio hat eine Niederlass­ung in Japan. Das ist für uns sehr nützlich, denn so lernen wir diesen fremden Markt zu verstehen. Was China angeht, sind wir vorsichtig und beobachten den Markt mit viel Demut. Bis man versteht, was die Kunden dort wirklich brauchen, wie die Handelsstr­ukturen funktionie­ren, wer die richtigen Partner dort sind – das ist ein langfristi­ges Projekt. Was bedeutet das, dass Sie als Urenkel des Gründers nun das Unternehme­n führen? Ich freue mich sehr, dass ich das tun darf. Es ist eine Aufgabe, die mir Freude macht und die ich mit Demut übernehme – für das Unternehme­n, nicht für mich. Es gibt in unserer Familie einen Grundsatz: Das Unternehme­n ist wichtiger, als das Interesse von irgendeine­m Einzelnen. Es geht nicht um Clemens Maier, das ist keine OneMan-Show. Wie sieht die Belegschaf­t ihren Herrn Maier? Ravensburg­er ist ein Familienun­ternehmen, bleibt ein Familienun­ternehmen. Und dass es nun wieder von einem Herrn Maier geführt wird, unterstrei­cht den Charakter eines Familienun­ternehmens ein Stück mehr. Von daher höre ich da eigentlich immer recht Positives. Aus der Familie bin ich aber nicht allein aktiv: Meine Schwester und mein Cousin übernehmen als Aufsichtsr­atsmitglie­der auch Verantwort­ung. Diesen Aspekt des Familienun­ternehmens wollen wir wahren, weil er fest zu Ravensburg­er gehört. Es geht hier um Langfristi­gkeit, um Sicherheit, Beständigk­eit. Wenn Sie von Langfristi­gkeit in diesem Zusammenha­ng sprechen, wie sieht es aus mit der nächsten Generation der Familie Maier? Die sind ja alle noch klein. Wer weiß, vielleicht werden die irgendwann mal in der Produktion anfangen zu schaffen, und im Sommer als Ferienarbe­iter Kisten packen. Aber soweit sind wir noch lange nicht. Was Clemens Maier noch zum Weihnachts­geschäft, Zukäufen und Investitio­nen gesagt hat, steht unter www.schwäbisch­e.de/maier

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FOTO: FELIX KÄSTLE Ravensburg­er Vorstandsc­hef Clemens Maier: „Es geht nicht um Clemens Maier, das ist keine One-Man-Show“, sagt der Urenkel des Unternehme­nsgründers.

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