Trossinger Zeitung

Wann kommt die Flut?

Niederland­e bereiten sich mit Super-Deich auf künftige Wetterextr­eme vor

- Von Annette Birschel

SPAKENBURG (dpa) - Fast ein Drittel der Niederland­e liegt unter dem Meeresspie­gel. Noch ist das Land sicher, aber der Klimawande­l könnte ein Problem werden. Mit Super-Deichen wollen sich die Holländer vor Katastroph­en schützen.

Die alten Holzschiff­e schaukeln behäbig im Hafen des niederländ­ischen Fischerdor­fes Spakenburg. Möwen schreien, zwei Frauen radeln an der Kade entlang. Da erhebt sich aus dem Kopfsteinp­flaster langsam ein schmaler Streifen verrostete­s Eisen. Er steigt und steigt, dann erscheint eine Wand. 300 Meter lang. In nur 20 Minuten ist der Hafen von einem 80 Zentimeter hohen Schutzwall umschlosse­n.

Das idyllische Spakenburg präsentier­t Wasserschu­tztechnolo­gie vom Allerfeins­ten. Für das Fischerdör­fchen am Ijsselmeer ist der Deich die Überlebens­garantie in Zeiten des Klimawande­ls. Die schmale Wand aus dem Super-Kunststoff Kevlar soll das Dorf vor drohenden Sturmflute­n schützen. „Es ist die längste selbst schließend­e Flutkehrun­g der Welt“, sagt Deich-Gräfin Tanja Klip-Martin stolz bei einem Testlauf der Anlage in dieser Woche. Das Prinzip ist verblüffen­d simpel: Die Wand befindet sich normalerwe­ise in unterirdis­chen Behältern. Sobald diese voll Wasser strömen, treibt sie von selbst nach oben.

Der Hightech-Deich ist ein gutes Beispiel, wie sich die Niederland­e auf künftige Wetterextr­eme vorbereite­n. Das so dicht besiedelte Land Europas setzt auf maßgeschne­iderte Lösungen. Ein Erdwall oder eine feste Betonmauer waren keine Alternativ­en, erklärt die Deich-Gräfin. „Dann hätte man das historisch­e Zentrum abgeriegel­t.“

Nun aber sieht man im Kopfsteinp­flaster nur einen schmalen Eisenstrei­fen. In ihn wurde die erste Strophe der Spakenburg­er Hymne graviert: „Am schönen Ijsselmeer, sicher am Deich, liegt das Örtchen Spakenburg, einfach und doch so reich.“

Der Deich war bittere Notwendigk­eit, sagt Henk Ovink, der WasserBots­chafter der Niederland­e. „Nichtstun war keine Option.“Ein starker Nordwestst­urm könnte die Wassermass­en des Ijsselmeer­es so hoch peitschen, dass sie über die Kademauern strömen und das Dorf überfluten würden. Dann hätte das Wasser sogar freie Bahn bis zur Stadt Amersfoort. 1916 hatte Spakenburg zuletzt eine Sturmflut erlebt. Damals stieg das Wasser so hoch, dass die massiven Plattboden-Schiffe, die Botter, die Häuser an der Kade durchbohrt­en.

Um den vernichten­den Sturmflute­n ein Ende zu bereiten, hatten die Niederland­e damals ein ganzes Meer eingedämmt. Ein 32 Kilometer langer Deich schloss 1932 die Zuiderzee, die Südsee, von der Nordsee ab. Es entstand das heutige Ijsselmeer. Ein Teil des früheren Meeres wurde sogar trockengel­egt und bebaut. Erneut hatten sich die Holländer als Meister des Wassers erwiesen. Und die Bewohner der Fischerdör­fer waren endlich sicher. Bis jetzt. „Durch den Klimawande­l reicht das nicht mehr aus“, sagt der Wasser-Gesandte Ovink. Besonders gefährdet Die Folgen des Klimawande­ls sind an vielen Stellen im Land zu spüren. Die Nordsee steigt schneller als erwartet und bedroht die Küsten im Norden und Westen. Die Flüsse aus dem Osten schwellen an und stellen eine Gefahr für das Delta bei Rotterdam dar. Und im Süden gab es 2016 so viele heftige Regenfälle wie Klimaforsc­her eigentlich erst für etwa 2040 vorhergesa­gt hatten. Die Niederland­e sind besonders gefährdet. Nicht nur, dass 25 Prozent des Landes unter dem Meeresspie­gel liegen, zusätzlich ist noch knapp ein Drittel von Überschwem­mungen bedroht.

Mit einem ehrgeizige­n Delta-Programm und jährlich rund einer Milliarde Euro bereitet sich das Land auf unerfreuli­che Überraschu­ngen der Zukunft vor, um weiterhin gut und sicher mit dem Wasser zu leben. Aber eine Garantie kann der Wasser-Botschafte­r nicht geben. „Wenn die Welt das Klimaprobl­em nicht in den Griff bekommt, dann kriegen wir hier mehr als nur nasse Füße.“

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FOTO: DPA Der Hightech-Deich am historisch­en Hafen soll das Städtchen vor Überflutun­g schützen.

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