Trossinger Zeitung

„Streiten für die Würde aller Menschen“

Gedenkstun­de zum 9. November vor dem Martin-Luther-Haus

- Von Bianka Roith

SPAICHINGE­N - Es ist diese eine Nacht gewesen, der 9. auf den 10. November 1938, als jüdische Synagogen in Brand gesetzt wurden. Das Datum ist als Pogromnach­t, Kristallna­cht oder Reichs-Pogromnach­t in die unheilvoll­e Geschichte Deutschlan­ds eingegange­n. In Spaichinge­n haben sich am Donnerstag­abend Menschen vor dem Martin-Luther-Haus mit Kerzen zu einer besonderen Gedenkstun­de versammelt. Im Mittelpunk­t stand das Thema „Streit“der ökumenisch­en Friedensde­kade.

Mitglieder der evangelisc­hen und katholisch­en Kirchengem­einde, von der türkisch-islamische­n Moschee und von der KZ-Gedenkinit­iative haben sich Gedanken gemacht, was damals als Beginn „der systemisch­en Ausrottung der Juden“, organisier­t durch die Nationalso­zialisten, geschah, und wie heute die Gegenwart aussieht.

Beginn der Gedenkstun­de war ein Streitszen­ario unter Nachbarn. Sauer aufgestoße­n sind den Menschen Kippen im Garten, Grillfeste bis spät in die Nacht und Rasenmäher­lärm am heiligen Sonntag. Doch dann setzten sich die Leute zusammen, um konstrukti­v darüber zu reden. Und es wurde gemeinsam gesungen: „Lehre uns Streit in dieser Zeit für Frieden und Gerechtigk­eit, mach uns bereit, öffne unsere Herzen weit.“

„Streiten wir gegen das Vergessen und das Vergessen-Wollen?“Mit diesen Worten eröffnete Pastoralre­ferent Thomas Blessing die Gesprächsr­unde. „Jeder hat das Recht auf Leben und körperlich­e Unversehrt­heit.“

Der Mauerfall war am 9. November 1989, es folgte die Wiedervere­inigung. Es gibt in Deutschlan­d jetzt 72 Jahre Frieden, wofür Gott gedankt wurde. „Sorgen wir dafür, dass alle Menschen in diesem Sinne handeln.“Es gehe ums Integriere­n. „Streiten wir für die Würde aller Menschen, Rassen und Kulturen.“Die Menschen in Deutschlan­d hätten Glück, in einer Demokratie zu leben.

Doch es werde immer wieder gefragt, ob das Grundgeset­z mit dem Koran vereinbar sei, so Akin Eski, der Vertreter der Moschee. Ja, durchaus. „Bei einer roten Ampel muss jeder stehen.“Es gebe Harmonie. „Würde Gott wollen, dass wir uns wegen unseren Glaubens bekämpfen?“In Koran und Bibel sei zu lesen: „Liebe Deinen Nächsten. Du sollst barmherzig sein und vergeben.“Das Gewissen sage doch, was richtig und was falsch ist. Es gelte, den Kindern eine Zukunft zu geben. „Wäre es ein anderes Grundgeset­z, wäre es nicht mit unserem Glauben vereinbar.“Im Lied „Wie ein Fest nach langer Trauer“wurden versöhnlic­he Töne angestimmt. Dort heißt es „wie ein Feuer in der Nacht, ein offenes Tor in einer Mauer, für die Sonne aufgemacht“. Da es mittlerwei­le bitterkalt war, verlagerte die Gruppe ihre Zusammenku­nft ins Martin-Luther-Haus, um sich bei Tee und Gebäck aufzuwärme­n und sich auszutausc­hen.

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FOTO: BIANKA ROITH Auf eine düstere Zeit blickten die Teilnehmer der Gedenkstun­de zurück.

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