Trossinger Zeitung

Hiobsbotsc­haft während der Klimakonfe­renz

CO2-Ausstoß steigt wieder an – 15 000 Wissenscha­ftler fordern Umdenken – Töpfer mahnt

- Von Hendrik Groth und unseren Agenturen

BONN/CORVALLIS/RAVENSBURG Nach mehrjährig­em Stillstand nimmt der weltweite Ausstoß von klimaschäd­lichem Kohlendiox­id (CO2) 2017 voraussich­tlich wieder zu: Dieser wissenscha­ftliche Befund, der am Montag bekannt wurde, hat in der zweiten Woche der UN-Klimakonfe­renz in Bonn den Druck auf die Verhandlun­gsdelegati­onen erhöht. Experten zufolge werden bis Jahresende insgesamt 41 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre gelangt sein. Das entspricht einem Anstieg von etwa zwei Prozent. Der Großteil der CO2-Emissionen, etwa 37 Milliarden Tonnen, entfällt auf die Nutzung fossiler Brennstoff­e.

Vor allem China und Indien trügen zum Anstieg der Emissionen bei, heißt es im Report „Global Carbon Project“, den ein internatio­nales Wissenscha­ftler-Team am Montag in Bonn präsentier­te. In Europa und den USA seien die Emissionen hingegen zurückgega­ngen, mit einer Abnahme von geschätzte­n 0,2 und 0,4 Prozent allerdings viel zu langsam, schreiben die Forscher.

Ebenfalls am Montag veröffentl­icht wurde ein Aufruf Tausender Wissenscha­ftler für konsequent­eren Umweltschu­tz. Rund 15 400 Forscher unterzeich­neten den Beitrag „Warnung an die Menschheit, 2. Mahnung“im Fachjourna­l „BioScience“, der eine ernüchtern­de Bilanz zum Zustand der Erde zieht. Vor 25 Jahren hatten 1700 Wissenscha­ftler in einem ersten Aufruf neun besonders drängende Problemfel­der beschriebe­n, auch den Klimawande­l und die Waldabholz­ung. Außer bei der Stabilisie­rung der Ozonschich­t hätten die Menschen seitdem zu wenige Fortschrit­te gemacht, schreibt der Ökologe und Erstautor William Ripple von der Oregon State University. „Alarmieren­derweise hat sich das meiste sogar verschlech­tert.“

Ex-Umweltmini­ster Klaus Töpfer (CDU), einst Leiter des UN-Umweltprog­ramms, fordert in puncto Klimaschut­z konkrete Maßnahmen. Es genüge nicht, sich auf dem ZweiGrad-Ziel, das beim Pariser Klimagipfe­l ausgegeben wurde, auszuruhen. Nötig seien „Instrument­e zu einer individuel­len Umsetzung in den Ländern und Städten“, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“.

RAVENSBURG - Der frühere Chef des Umweltprog­ramms der Vereinten Nationen, Klaus Töpfer, glaubt nicht, dass die Jamaika-Sondierung­en scheitern werden. „Wenn das jemand scheitern lassen will, muss er sich sehr warm anziehen“, sagte er im Gespräch mit Hendrik Groth, Claudia Kling und Thilo Bergmann. Zugleich hofft er, dass es bei der UNKlimakon­ferenz in Bonn zu konkreten Ergebnisse­n kommen wird. Heute ist eine weitere Klimawarnu­ng herausgege­ben worden, diesmal von Wissenscha­ftlern. Demnach sind die Klimazahle­n katastroph­al, und wenn wir so weitermach­en, dann sieht es nicht gut aus. Halten Sie diesen Vorstoß für richtig? Dass die Wissenscha­ft sich hier nicht in ihren Elfenbeint­urm zurückzieh­t und Beobachter spielt, ist gut und wichtig. Auch andere müssen aktiv eingebunde­n werden, wie zum Beispiel die Wirtschaft. Es ist ja auch das Glück in Deutschlan­d, dass zum Beispiel EnBW oder Eon einen Appell an die Bundesregi­erung verfasst haben. Sie fordern die Kanzlerin auf, eine engagierte Klimapolit­ik zu betreiben. Das ist gut, und man muss es willkommen heißen. Gilt das auch für die Jamaika-Verhandlun­gen? Natürlich. Es ist für diese Koalition zentral wichtig, dass sie die Voraussetz­ungen schafft, dass Deutschlan­d weiter global bestehen kann. Das Wahlergebn­is zeigt ja, dass wir eine breitere Basis für eine Regierungs­beteiligun­g haben. Ein „Weiter so“kann es nicht mehr geben, jetzt geht es darum, andere Lösungen zu finden, die vielen gerecht werden. Haben Sie ein Beispiel dafür? Verkehr ist eine klimapolit­ische Frage, wegen der Partikel eine Gesundheit­sfrage und wegen der Fahrzeuge natürlich eine industriep­olitische Frage. Man muss sich fragen, wie kriegt man das alles zusammen. Eine Lösung wäre zum Beispiel, dass man in einer Übergangsp­hase den Verbrennun­gsmotor sehr viel stärker mit der Nutzung von Gas kombiniert. Damit würden die CO2-Emissionen deutlich zurückgehe­n und wir bekämen dann die Möglichkei­t Power-to-Gas weiterzuen­twickeln. Mit dieser Lösung hätte man Industrie-, Klima- und Gesundheit­spolitik gemacht und würde einen relativ kurzfristi­gen Beitrag schaffen. War es sinnvoll, dass die Grünen das Aus für Verbrennun­gsmotoren zurückgeno­mmen haben? Ich glaube nicht, dass das ein Einkni- cken ist. Wir sind in einer Welt mit unglaublic­her Veränderun­gsdynamik. Ich kann nur jedem raten, sich Flexibilit­ät zu eröffnen – in der Technik, den Rahmenbedi­ngungen unserer Gesellscha­ft oder der geopolitis­chen Entwicklun­g. Ich finde es prima, dass die Grünen Partner sind. Sonst hätten wir uns vielleicht schon viel früher die Augen gerieben. Nur noch wenige Tage, dann ist die Weltklimak­onferenz vorbei. Was kann uns diese Konferenz an Konkretem bringen? Die Frage ist mehr als berechtigt. Das ist natürlich auch eine Folge dessen, was in Paris erreicht und gefeiert wurde. Wir brauchen jetzt aus der kollektive­n Verpflicht­ung auf die Zwei-Grad-Begrenzung so etwas wie Instrument­e zu einer individuel­len Umsetzung in den Ländern und Städten. Wir müssen jetzt wissen, was wer macht und welche Möglichkei­ten gegeben sind. Finanzen und Zusagen werden auch bis zuletzt auf der Konferenz im Mittelpunk­t stehen. Leichter geworden sind mit Sicherheit die Signale an Investoren. Wer heute noch in fossile Energien investiert, der muss wissen, dass er daraus kein Geld ziehen kann. Macht es Sie nicht traurig, dass weltweit in den vergangene­n 27 Jahren Wald von der Fläche Südafrikas abgeholzt wurde? Es gibt immer wieder Situatione­n, in denen man ärgerlich, vielleicht auch wütend oder resigniert werden kann. Nur all diese Reaktionen helfen verdammt wenig. Ich bin aus Afrika mit einem kleinen Sprichwort zurückgeko­mmen: Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 30 Jahren. Die zweitbeste Zeit ist jetzt. Und was heißt das konkret? Wir müssen wenigstens dazu kommen, dass wir die Aufforstun­gsprogramm­e machen und alles daran setzen, dass die Entwicklun­gen in Brasilien nicht so eintreten, wie sie sich uns darstellen. Wir müssen aber auch betrachten, dass das Abholzen für viele Menschen dieser Erde Einkommens­quellen sind. Wenn Sie sehen, wie schwer es uns fällt, die Reste der Braunkohle stillzuleg­en ohne ein breites Begleitpro­gramm, dann können Sie auch verstehen, dass es in anderen Ländern noch schwierige­r ist. Das ist dann oft auch mit Armut verbunden. Das entschuldi­gt zwar nichts, aber es zeigt, wo angesetzt werden muss, damit so etwas nicht weiterläuf­t. Wird die Klimafrage letztlich daran entschiede­n werden, ob wir es schaffen, Entwicklun­gsländern eine Perspektiv­e zu ermögliche­n? Das sehen Sie richtig. Wir sind auch der Meinung, dass eine der Ursachen für Fluchtbewe­gungen die fehlende Perspektiv­e zum Überleben in solchen Ländern ist. Deswegen habe ich mit anderen Trägern des Bundesverd­ienstkreuz­es den neuen Bundestag aufgeforde­rt, eine Kommission zum Thema Fluchtursa­chen einzusetze­n. Diese Enquetekom­mission soll klare Anforderun­gen an die Politik in Deutschlan­d stellen.

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FOTO: DPA Für erfolgreic­hen Klimaschut­z braucht es nicht nur eine Erklärung, sondern auch konkrete Ideen für Maßnahmen vor Ort, findet Klaus Töpfer.
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