Trossinger Zeitung

Eine große Chance vorab verspielt

- Von Sabine Lennartz

Ganz Europa wartet darauf, dass sich in Deutschlan­d eine Regierung zusammenra­uft – und was passiert in Berlin? Da wird um jeden Spiegelstr­ich gestritten, am härtesten über den Familienna­chzug, das Klima und den Abbau des Soli. Will denn ein Land, das wie kein anderes Verantwort­ung übernommen hat für Flüchtling­e, wirklich seine Politik ruhen lassen wegen der Frage, ob man die Aussetzung der Familienzu­sammenführ­ung von vorübergeh­end geschützte­n Flüchtling­en verlängert? Will ein Land, das vor 25 Jahren den Soli zum Abstottern der Golfkriegs­schulden und zur Hilfe für die neuen Länder erfand, ihn wirklich weiter kassieren? Will eine Regierung im Ernst nicht einmal die Ziele im Klimaschut­z einhalten, die sie sich selbst gesetzt hat?

Die Schuld für all das Schleppend­e haben alle, sie ist aber nicht gleichmäßi­g verteilt. Dass die Kanzlerin es trotz ihrer Erfahrung nicht schaffte, in vier Wochen die Beteiligte­n zusammenzu­führen, zeigt, wie geschwächt auch sie seit den Wahlen ist. Sie hat überdies den Fehler zu verantwort­en, dass die CDU erst einmal die Niedersach­sen-Wahl abwartete, bevor es überhaupt losging mit dem Sondieren. Die FDP stellte über Wochen hinweg keinerlei Kompromiss­bereitscha­ft in Aussicht. Ganz anders die Grünen, die dafür aber jetzt so tun, als ob ganz allein vom Familienna­chzug die Menschlich­keit der Republik abhänge.

Am schlimmste­n aber ist die CSU, die so tief in ihren Machtkampf verstrickt ist, dass alles schon mit Blick auf morgen verhandelt wird. Horst Seehofer wirkt eher entspannt, weil er wohl nicht mehr für die Ergebnisse einstehen muss. Alexander Dobrindt total verkrampft, weil er eine große Zukunft anstrebt und für die Ergebnisse einstehen will.

Mit all den zähen Diskussion­en hat das Jamaika-Bündnis, wenn es denn am Sonntag zustande kommt, eine große Chance vorab verspielt. Nein, glanzvoll oder gar historisch wird eine solche Koalition nicht mehr. Sie wird als Notgemeins­chaft regieren, und sie tut sogar gut daran, die Verträge im Vorfeld bis ins Kleinste auszuformu­lieren, damit wenigstens das geschäftsm­äßige Regieren dann akzeptabel wird. s. lennartz@ schwaebisc­he. de

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